Sich auf antiemanzipatorische Bewegungen oder Staaten positiv zu beziehen, kann für Linke niemals die richtige Antwort sein.
Von Gaston Kirsche
Wie geht es weiter nach der Unterstützung der kämpfenden Milizen in Kobanê? Internationale Solidarität ist als Retroveranstaltung oder als kosmopolitischer Kampf gegen Unterdrückung möglich. Spendensammlungen zum Waffenkauf für die kurdischen Milizen lassen den alten Militanzfetisch bewaffneter nationaler Befreiungsbewegungen wieder auferstehen, Geschichten von erkämpften Freiräumen und revolutionärer Emanzipation machen die Runde. Retroradikalität wie zu Zeiten der Blockkonfrontation.
Auf der anderen Seite mangelt es nicht an Kritik an der autoritären und zentralistischen Quasi-Staatspartei PYD und ihrem Personenkult um den weisen »Serok« (Führer) Abdullah Öcalan. Nur wird diese nicht gerne gehört. Im Raum stehen wenig beachtete Vorwürfe über die Unterdrückung konkurrierender politischer Parteien im Einflussbereich der PYD/PKK. Gerhard Hanloser (46/2014) bringt hier das Kunststück fertig, die Kritik des syrisch-kurdischen Anarchisten Shiar Neyo kurz zu erwähnen, aber gleichzeitig Rojava ein einzigartiges »fortschrittliches Projekt«, einen »Lichtstrahl« zu nennen, so als ob in Syrien nicht 2011 ein hoffnungsvoller, emanzipatorischer Aufstand begonnen hätte, der zu Beginn Elemente einer sozialen Revolution enthielt.
Solidarität mit den Kämpfenden in Kobanê müsste nicht so positivistisch sein. Es gilt, gegen die Isolierung der Milizen und die Unterstützung des »Islamischen Staats« (IS) durch die Türkei zu protestieren, gegen die Stigmatisierung der PKK dort. Und als Linke in Deutschland die Gelegenheit zu ergreifen, gegen das seit 1993 bestehende PKK-Verbot anzugehen, gegen die Kriminalisierung von Migrantinnen und Migranten als »kurdische Terroristen«.
Die notwendige Solidarität könnte an die Debatten rund um die Jahrtausendwende zur Kritik nationaler Befreiungskonzepte anknüpfen und sich als Kraft der Negation von Unterdrückung und Ausbeutung positionieren: Gegen eine Behinderung des Kampfes der PYD und der Freien Syrischen Armee, FSA, in Rojava, gegen das Verbot der PKK in Deutschland – aber nicht für die Programmatik und militaristische Praxis von PYD und PKK.
Zur »Waffen für Rojava«-Party am 5. Dezember in Hamburgs Roter Flora wird, wie in anderen Städten auch, dagegen »die demokratische Selbstverwaltung in den kurdischen Gebieten Nordsyriens (Rojava)« hochgehalten. Seit vor vier Monaten Kobanê auf der Weltkarte sichtbar geworden ist, bemühen sich auch radikale und nicht so radikale Linke hierzulande um internationale Solidarität.
Dass die der PKK mehr als nahestehende PYD in drei kurdischsprachigen Regionen Syriens an der Grenze zur Türkei autonome Regionen errichten konnte, wäre ohne den seit 2011 andauernden Aufstand gegen das syrische Assad-Regime nicht denkbar gewesen. Elias Perabo und Harald Etzbach (48/2014) erinnern daran, dass aus dem Aufstand gegen das Assad-Regime in vielen anderen Regionen Syriens ebenfalls eine kommunale Selbstorganisation entstand. Die wurden hierzulande kaum wahrgenommen, auch nicht, wenn sie militärisch bedrängt und niedergekämpft wurden – von der Armee des Ba’ath-Regimes, vom IS. Solidarität mit den Aufständischen in Syrien hat es vor der Rojava-Kampagne kaum gegeben, und die wenigen solidarischen Aktivisten waren nicht in der Lage, das Abgleiten des sozialen Aufstands in einen immer militarisierteren Bürgerkrieg öffentlichkeitswirksam zu kritisieren. Die Militarisierung war die absehbare Konsequenz daraus, dass gerade der zivilen Aufstandsbewegung jede Unterstützung – und sei es nur die propagandistische durch die linke oder linksliberale Öffentlichkeit im Westen – vorenthalten wurde. Keine Friedensbewegung nirgends, kaum Kritik des brutalen Ba’ath-Regimes. Schlimmer noch: Die antiimperialistische deutsche Linke hat den Aufstand gegen Assad von Anfang an unter einen generalisierten »Kollaborationsverdacht« mit dem Westen gestellt.
Dass PYD und PKK mit diesem Regime kooperiert haben, spielt heute auch keine Rolle. Unglaubwürdig sind Demonstrationsaufrufe zur Unterstützung des »kurdischen Befreiungskampfes« in Rojava, wie in Hamburg für den 29. November, wenn darin behauptet wird, dort hätte »sich nämlich die kurdische Bevölkerung von den Fesseln des autoritären Ba’ath-Regimes befreit und damit begonnen, ein alternatives Gesellschaftsmodell, den demokratischen Konföderalismus, zu etablieren«. Inklusive einer »Alternative zur postkolonialen Ökonomie der Ausbeutung«. Klingt gut, aber dass im größten der drei Kantone von Rojava, Qamishli, ausgerechnet ein Großgrundbesitzer dem Volksrat vorsteht, ist nur einer von vielen Widersprüchen im Detail. Siamend Hajo, Eva Sabelsberg (43/2014) und Felix Klopotek (47/2014) haben zur Kritik der positiven Darstellung der PYD/PKK wichtige Punkte genannt. Dies bedeutet keineswegs, für die lokalen Konkurrenten oder Gegner der PKK Partei zu ergreifen – weder die klientelistisch-nationalistischen irakisch-kurdischen Parteien mit ihren Peshmerga noch die FSA und schon gar nicht die den IS unterstützende Türkei oder das Schlachthaus Iran können für emanzipatorische Linke positive Referenzpunkte sein. Eine emanzipatorische Linke kann sich nicht positiv auf antiemanzipatorische, konterevolutionäre (proto-)staatliche Herrschaftsapparate beziehen.
Aus der eigenen Position der Ohnmacht in diesem Land, weit entfernt davon, eine gesellschaftliche Gegenmacht darzustellen oder einen spürbaren Beitrag zur fortschrittlichen Aufhebung von Kapitalverhältnis und deutschem Nationalstaat leisten zu können, können radikale Linke so frei sein, ohne Rücksicht auf Realpolitik und Diplomatie eine Solidarität der Negation zu propagieren, die keine Rücksichten auf schönzuredende Alliierte oder Solidaritätsobjekte nehmen muss. Dabei sollten die politökonomischen Rahmenbedingungen beachtet werden: Im Postfordismus haben sich seit den achtziger Jahren die Bedingungen für Befreiungsbewegungen erheblich verändert. Peripheren Befreiungsbewegungen, die im Fordismus auf die Errichtung eines eigenen Nationalstaates und eine nachholende ökonomische Entwicklung abzielten, ist in nachfordistischen Zeiten vollständig der Boden entzogen. Eine autozentrierte Entwicklung einer abgeschotteten Nationalökonomie ist heute kaum mehr möglich.
In dem Buch »Postfordistische Guerilla« hat das Autorenkollektiv Gruppe Demontage, an dem ich beteiligt war, 1998 die PKK als nominell sozialistische Guerilla mit einem völkischen Programm kritisiert. Die Kurdistan-Solidarität blockte damals die Kritik als unerhört, weil PKK und Nazis gleichsetzend. Heute wird behauptet, der unumstrittene PKK-Anführer Abdullah Öcalan sei mittlerweile vom Anarchismus beeinflusst, er und die PKK hätten sich von ihrem früheren Politikverständnis abgewandt (Thorsten Mense, 45/2014). Leichtfertig wird über die offensichtlichen Widersprüche hinweggegangen, die sich aus dem Führerkult, dem Militarismus, dem Bezug auf »Volk« als politischem Subjekt und dem Umgang mit Oppositionellen geradezu aufdrängen: »Militärisch agierende Befreiungsbewegungen stellen mit ihrem Gewaltapparat nicht nur die Keimzelle des zukünftigen Staates dar, sie sind auch immer selbst politisch durch eine Militarisierung gefährdet«, schrieben wir in der »Postfordistischen Guerilla«: »Um die Chance zu haben, einer Verstaatlichung und Militarisierung zu entgehen, müssen Befreiungsbewegungen darauf zielen, die Machtapparate zu zerstören, und nicht darauf, sie zu erobern.« Und Rojava ist eben keine »Kommune«, sondern ein von einer nicht gerade für Pluralismus bekannten Partei beherrschter Protostaat. Rojava kann vermutlich im Kriegszustand auch nur schwer etwas anderes sein, im Kampf gegen den IS. Hier einen Vergleich mit dem sozialrevolutionären Aufbruch in Katalonien 1936/37 anzustellen (Gerhard Hanloser, 46/2014) ist absurd, geschichtslos und pure Projektion.
Nach dem Scheitern des kapitalistischen wie auch des staatssozialistischen Entwicklungsversprechens ist der Jihadismus als Produkt der Strukturkrise der kapitalistischen Vergesellschaftung auf der Erfolgsspur. Denn viele Staaten zerfallen in der Peripherie, Nationalökonomien werden zwecks Bereicherung irregulär privatisiert, unter Rackets und Cliquen aufgeteilt. Identitäre, volks- oder religionsgemeinschaftliche Bewegungen bekämpfen die Reste wohlfahrtsstaatlicher Solidargemeinschaften. Ihre brutale Gewalt basiert darauf, dass sie die Vernichtungskonkurrenz als Grundlage des Kapitalverhältnisses bis zur ultimativen, eliminatorischen Konsequenz betreiben. Als ultima ratio für die abgeschriebenen Verlierer der Strukturkrise in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems sind islamistische Armeen wie der IS eine attraktive Alternative. Dazu kommen subjektive Faktoren, die in einer rein ökonomischen Herleitung nicht aufgehen. Männlichkeitswahn und Allmachtsphantasien, Todessehnsüchte und Jenseitshalluzinationen spielen eine ebenso große Rolle wie die Sehnsucht deformierter Persönlichkeiten nach Unterwerfung unter eine ultraautoritäre Struktur, in der sich niemand eigenständig Gedanken über sein Leben und Sterben zu machen braucht. Auch wer gerne verschwörungstheoretische und antisemitische Weltbilder pflegt, findet hier schnell Anschluss.
Zwei gegenteilige Reaktionen sind möglich auf die sozialen Verwerfungen, Abstempelungen zur ökonomischen Wertlosigkeit in der regulären Rumpf-Nationalökonomie und die Perspektivlosigkeit angesichts der Krise des gegenwärtigen kapitalistischen Akkumulationsregimes: Erstens das Engagement für eine gerechtere Weltordnung jenseits des Kapitalverhältnisses; zweitens der Anschluss an eine identitäre, autoritäre Bewegung, welche sich im rabiat geführten Verteilungskampf um die Vorherrschaft über Territorien, Ressourcen und Bevölkerung gegen das Andere – Fremde, Unislamische etc. – richtet. Dass unter den Verdammten der Erde als Reaktion auf die weltweite Krise der Jihadismus als extreme Form der Vernichtungskonkurrenz Zulauf hat, weist auf die Brutalität des kapitalistischen Weltsystems zurück.