Friedrichroda/Gotha: Kampagne gegen Nazis und deutsche Gedenkpolitik – ein Fazit

Antifa-Kundgebung in Friedrichroda

Nach 2009, 2012 und 2013 organisierte auch in diesem Jahr ein Bündnis von Antifa-Gruppen aus Gotha und Südthüringen im Vorfeld des Volkstrauertages und zum Volkstrauertag selbst Aktionen gegen den Naziaufmarsch in Friedrichroda und die Bedingungen dieses Aufmarsches überhaupt. Die Stadt Friedrichroda läutete in diesem Jahr endgültig den Strategiewechsel weg von der jahrelangen Politik der Ignoranz ein – allerdings ohne von der Verharmlosung des Nationalsozialismus abzuweichen.

 

Strategiewechsel in öffentlicher Berichterstattung und Stadtpolitik

 

Mehr als zehn Jahre haben Presse, verantwortliche Politik und Stadtbevölkerung in Friedrichroda geschwiegen und die Nazis ohne weitere Beachtung oder mit heimlicher Sympathie (genau wissen wir das nicht) laufen lassen. Nachdem im vergangenen Jahr durch die Aktionen des Antifa-Bündnisses diese Strategie nicht mehr ohne größere Imageschäden zu verkraften war und bröckelte, ist sie im Jahr 2014 vollständig verworfen worden. Die Lokalpresse berichtete Tage vor dem Aufmarsch in Friedrichroda sowohl über die Aktionen des Antifa-Bündnisses wie auch über die bürgerlichen Protestregungen. Letztere fielen zwar verhalten aus, aber, was ihre inhaltliche Stoßrichtung anging, waren sie von langer Hand vorbereitet. Bereits im Februar hatten sich Bürgermeister Klöppel und der Friedrichrodaer Stadtrat das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz eingeladen, um sich von den wichtigsten Helfern der NSU-Mörderbande erklären zu lassen, durch welches Vorgehen man sich die Nazis und die Nestbeschmutzer von der Antifa wirkungsvoll vom Hals halten könne. Es wurde also die Extremismus-Doktrin bemüht und der antifaschistische Protest mit dem Treiben der Nazis auf eine Stufe gestellt – soweit war man schon im Vorjahr. Gegen solche, wie es im Jargon des Antikommunismus heißt, "Extremisten" sollten sich die Bürger Friedrichrodas rote Karten in die Fenster hängen. Soviel sei vorab gesagt: Von dieser Aktion bemerkte man gar nichts. Rote Karten waren im Stadtbild nicht zu finden. Auf Bemühen zivilgesellschaftlicher Kräfte aus dem Landkreis Gotha und ganz Thüringen kam auch ein Aufruf zustande, der zur Beteiligung am Protest gegen die Nazis aufrief. Dieser wurde von Bürgermeister Klöppel höchstpersönlich zensiert und unterschrieben, was bei uns als Antifa-Bündnis auf Verwirrung stieß. Schließlich rief der Bürgermeister, dem es um die Diffamierung von vermeintlichem "Extremismus" ging, zur Kundgebung der "linksextremen" Antifa auf, die sich prompt zum Sachverhalt äußerte.

 

Aktionswoche

 

Das Antifa-Bündnis Gotha rief in der Woche vor dem Volkstrauertag zur Aktionswoche auf und veranstaltete mehrere Vortrags- und Infoveranstaltungen, auch außerhalb des Gothaer Landkreises. Wie schon im Vorjahr lag ein Schwerpunkt der Antifa-Kampagne auf der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheitsbewältigung in den Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus. Auch andere als die unmittelbar in die Vorbereitung involvierten Aktivist_innen verstanden den Aufruf zur Aktionswoche als Gelegenheit und Aufforderung aktiv zu werden. Herausragendstes Beispiel, neben allerlei kleineren und größeren Plakatieraktionen, ist die Aufhübschung des Vaterland-Denkmals in Friedrichroda mit rosa Farbe. Die Dorfgemeinschaft kochte vor Wut und überlegt sich zusammen mit ihren Nazis schon Strafmaßnahmen für potentiell in Frage kommende Täter. Der Anmelder der Nazidemo, Marco Zint, sprach über Facebook schon offene Drohungen gegen das antifaschistische Hausprojekt des Juwel e.V. in Gotha aus und der in herausragender Weise widerliche NPD-Nazi Mario Lehner aus Hörselgau gab einen Einblick in die Gedankenwelt potentieller Mörder. Auf Facebook schlägt Lehner vor: "Die ehrlosen Dreckschweine gehören zerhäckselt und zusammen mit der Gülle auf den Acker ausgebracht."

 

Ebenfalls im Rahmen der Aktionswoche wurde in Friedrichroda ein Flugblatt an die Haushalte verteilt, das die Gründung einer Bürgerinitiative für zeitgenössisches Desinteresse an deutschen Zuständen verkündete und in satirischer Form die Haltung der Bevölkerung Friedrichrodas zum Naziaufmarsch und zu gesellschaftspolitoschen Themen überhaupt persiflierte. Kern der Aktionswoche waren allerdings die beiden Protestveranstaltungen am Samstag und Sonntag.

 

Antifa-Demo am 15. November in Gotha

 

Kurz nach 17 Uhr startete die antifaschistische Vorabenddemo vom Bahnhof durch die Gothaer Innenstadt. Während des Laufens gab es Live-Musik von Björn Peng und Aika Akakomowitsch. Zur Auftaktkundgebung sprach neben einer Vertreterin des Antifa-Bündnis Gotha, die Vorsitzende des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes / Bund der AntifaschistInnen (TVVdN/BdA), Elke Pudszuhn. Zwischenkundgebungen gab es vor dem Rathaus, dort sprach Madeleine Henfling von der Thüringer Bürgerbündnis-Vernetzung und ein Vertreter der Antifa Gotha, und am Neumarkt, wo jemand von uns sprach. Die Beteiligung außerhalb der autonomen Antifa-Szene aus dem näheren Umkreis Gothas fiel bescheiden aus. Großes Interesse daran, eine radikale Kritik deutscher Gedenkpolitik am Vorabend des Volkstrauertages auf die Straße zu tragen, bestand nicht. Vielleicht ist eine Demo auch der falsche Ort solcher Auseinandersetzungen. Immerhin tanzten einige dutzend Antifas bei hervorragenden Soundverhältnissen durch Gothas Innenstadt gegen Nazis, deutsche Opfermythen und das wenige Stunden später einsetzende Tanzverbot, das während des Volkstrauertages gilt. Begleitet wurde die Demonstration von mehreren Mannschaftswagen der Thüringer Polizei. Glücklicherweise gab es trotz einem Betreuungsverhältnis von etwa eins-zu-eins keine größeren Stressereien durch die Staatsmacht.

 

Antifa-Kundgebung am 16. November in Friedrichroda

 

Das Interesse, gegen den Naziaufmarsch und die städtische NS-Verharmlosung zu protestieren, war am Volkstrauertag und in Friedrichroda selber schon größer als noch am Abend zuvor in Gotha. An der Kundgebung beteiligten sich neben den Antifas auch Vertreter linker Parteien und der Gewerkschaften. Besondere Härte bewies Friedrichrodas Bürgermeister Thomas Klöppel, der mit ein paar Kollegen tatsächlich, wie angekündigt, an der Antifa-Kundgebung als Zuhörer teilnahm und sich eineinhalb Stunden antifaschistische Kritik an seiner eigenen Politik und Ideologie anhörte. Auf der Kundgebung war neben den Redebiträgen des Vortages noch ein Redebeitrag zur Situation in Friedrichroda und einer zur kritischen Auseinandersetzung mit der Extremismusdoktrin zu hören sowie ein kurzes Statement der Landtagsabgeordneten der Partei "Die Linke", Johanna Scheringer-Wright. Außerdem wurde ein anonym zugegangenes Schreiben verlesen, das wohl von den Aktivist_innen stammt, die das hässliche Vaterland-Denkmal verschönerten und den Nazis einen farbigen Empfang bereiteten. Diese Nazis marschierten mit etwa 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu ihrem rosa Denkmal und hielten das "Heldengedenken" ab.

 

Mit dem Bekenntnis der Stadt Friedrichroda und der Thüringer Zivilgesellschaft künftig mehr gegen den Aufmarsch unternehmen zu wollen kommt am Volkstrauertag nun ein weiterer Akteur ins Ignorantenstadl am Waldesrand hinzu. 2015 kann kommen.

 

Weitere Bilder, sowie eine Sammlung der gehaltenen Redebeiträge gibt es hier: http://www.agst.afaction.info/index.php?menu=news&aid=673