Normale Schlägerei oder Attacke eines rassistischen Hells Angel?

Erstveröffentlicht: 
16.10.2014

Ein 29jähriger Jordanier wird in einem Altstadtlokal krankenhausreif geschlagen. Niemand hilft ihm. Die Polizei geht derzeit von einer „normalen“ gegenseitigen Körperverletzung aus. Der Betroffene spricht von Morddrohungen und rassistischen Beschimpfungen durch ein Mitglied der Hells Angels. Eine Zeugin sagt: „Für die Drohungen und die rassistischen Beleidigungen haben sich die Polizeibeamten einfach nicht interessiert.“

 

„Rassisten werden hier nicht bedient.“ Das steht in der Wirteerklärung, die auch das Altstadtlokal unterschrieben hat, in dem ein 29jähriger Jordanier am 20. September krankenhausreif geschlagen wurde. Geholfen hat dem Medizinstudenten, wie er erzählt, niemand – auch nicht im Nachhinein. Er sei von einem Kellner sogar aufgefordert worden, mit seiner blutenden Kopfwunde vor dem Lokal auf Polizei und Krankenwagen zu warten, erzählt er uns. „Die haben mir nicht einmal irgendein Tuch gegeben, um das Blut abzuwischen.“

„Deutschland den Deutschen“

Das Pärchen, das ihn angegriffen habe, habe ihn vor der Tür weiter rassistisch beschimpft und bedroht. Mehrfach hätten die beiden unter „Deutschland den Deutschen“-Rufen den Hitlergruß gezeigt. Dazwischen hätten sich die beiden dann auch noch ein Bier bestellt und auch bekommen, während es munter so weiter ging. „Irgendwann hat der Typ sein Hemd aufgeknöpft, mir ein Hells Angels-Tattoo auf seiner Brust gezeigt und gemeint, dass ich tot sein werde, bevor es zu einem Prozess kommt.“

Eigentlich wollte Nezar. R. (Name geändert) an jenen Samstag in seinen Geburtstag hinein feiern. „Ich war mit einer Freundin im Kino. Dann haben wir uns noch mit einem Kumpel und einer anderen Freundin in dem Lokal getroffen.“ Doch er konnte gerade einen Schluck von seinem Bier nehmen, bevor es Ärger gab. „Ich hab mich zurück gelehnt, dabei hat die Bank gewackelt, auf der zwei Tische weiter ein Pärchen saß.“ Diese hätten sofort angefangen, ihn zu beschimpfen. „Scheiß Ausländer“, sei unter anderem gefallen. „Ich habe dann rüber gerufen, sie sollten damit aufhören. Dafür seien wir doch alle zu alt.“

Platzwunde, Schädelprellung, gebrochenes Bein

Der 60jährige Mann, „ein muskulöser, tätowierter Typ“, sei dann zu dem Tisch gekommen, an dem Nezar R. mit seinen Freundinnen saß, habe ihn weiter beschimpft und ihm schließlich mit der Faust gegen den Oberkörper geschlagen. „Ich bin aufgestanden und ein paar Schritte auf ihn zugegangen, da hat mir jemand etwas über den Kopf geschlagen, das sich wie ein Maßkrug oder Aschenbecher angefühlt hat.“ Wie sich im Nachhinein herausstellte, das sagen Zeugen, war es die Freundin des Mannes, die Nezar R. mit dem Unterboden Cocktail-Glases eine massive Platzwunde am Kopf beibrachte. Außerdem erlitt er eine Schädelprellung. Darüber, was dann passierte sind R.s Erinnerungen verschwommen. „Ich weiß nicht mehr ob ich hingefallen oder umgeknickt bin oder ob der Mann mich getreten hat.“ Fest steht indes, dass das Sprunggelenk des 29jährigen gebrochen ist. Außerdem versetzte ihm der Mann noch einen Faustschlag ins Gesicht. „Es zeigen sich Blutungen aus Nase, Mund und Ohren“, heißt es später im Bericht des Krankenhauses.

„Da hat sich niemand eingemischt. Es hat mir auch sonst niemand geholfen.“

Eine Freundin von Nezar R. alarmierte Polizei und Krankenwagen. Er selbst wurde, wie schon erwähnt, vom Kellner aufgefordert, dass Lokal zu verlassen und draußen zu warten. Das Pärchen wollte zunächst türmen. „Warum sie dann doch geblieben sind, weiß ich nicht. Aber irgendjemand hat gerufen, dass man die beiden kenne, weil sie Stammgäste seien. Vielleicht lag es daran.“ Stattdessen zogen es die beiden offenbar vor, ebenfalls vor die Tür zu gehen und Nezar R. weiter rassistisch zu beschimpfen. „Ich sei ein Scheiß Ausländer und solle wieder in das Loch zurück kriechen, aus dem ich gekommen bin. Ich wisse ja gar nicht, mit wem ich mich anlege.“ Und schließlich hätte der Mann gedroht, ihn umzubringen. „Da hat sich niemand eingemischt. Es hat mir auch sonst niemand geholfen.“

Die hinzugerufenen Polizeibeamten, die nach etwa zehn Minuten eintrafen, hatten nach Aussagen einer Freundin von Nezar R. offenbar nur wenig Interesse, die rassistischen Beschimpfungen und Morddrohungen zur Kenntnis zu nehmen. „Für die war das einfach eine Kneipenschlägerei. Alles andere wollten sie nicht wissen.“

Polizei:  „Aussagen mit möglicherweise fremdenfeindlichem Hintergrund“

Normale Kneipenschlägerei – das entspricht laut Polizeisprecher Michael Rebele auch dem „derzeitigen Stand der Ermittlungen“. Demnach hätten auch die Frau und der Mann Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Sie hätten Gesichtsprellungen erlitten. Die Auseinandersetzung im Lokal selbst habe nach momentanen Erkenntnissen keinen rassistischen Hintergrund gehabt. Das Schaukeln mit der Bank habe sich hochgeschaukelt.“ Draußen vor dem Lokal sei es nach einer Zeugenaussage „zu Aussagen mit möglicherweise fremdenfeindlichem Hintergrund“ gekommen. Die beiden Beschuldigten Nezar H. und der 60jährige Mann hätten die Aussage bislang verweigert. „Das sah alles nach einer wechselseitigen Körperverletzung auf. Das ist, so leid es mir tut, das zu sagen, am Wochenende oft Alltag. Deshalb tauchte es nicht im Polizeibericht auf.“

„Mir wurde gedroht, dass ich umgebracht werde. Das hätte die Polizei zumindest zur Kenntnis nehmen sollen.“

Nezar R. lag, wie er sagt, schon im Krankenwagen als die Polizei eintraf, benommen und nur halb bei Bewusstsein. Er erstattete zunächst nur Anzeige und vereinbarte, dass ein Polizeibeamter später seine Aussage aufnehmen werde. Fünf Tage verbrachte der Student im Krankenhaus und musste am Bein operiert werden. Dort hat er nun eine Metallplatte. „Von der Polizei hat sich niemand gemeldet, um meine Aussage aufzunehmen.“ Stattdessen flatterte dem 29jährigen neun Tage später eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung wegen Körperverletzung ins Haus. „Der Typ behauptet jetzt, er hätte in Notwehr gehandelt.“

Für R. ist das Verhalten der Polizei völlig unverständlich. „Mir wurde gedroht, dass ich umgebracht werde. Das hätte die Polizei zumindest zur Kenntnis nehmen sollen.“ Ein Freund, der an dem Abend dabei war, habe mittlerweile massive Angst davor, eine Aussage zu machen.  „Ich habe mittlerweile auch Angst, selbst als Angeklagter vor Gericht zu stehen, obwohl ich das Opfer bin“, sagt R..

Verein organisiert Anwältin

Mittlerweile hat sich der Verein „Keine Bedienung für Nazis“ des Falls angenommen und eine Rechtsanwältin für Nezar R. organisiert, über die er nun seine Aussage machen wird. „Der Betroffene ist schockiert, insbesondere auch darüber, dass niemand außer seine drei BegleiterInnen ihm zur Hilfe kamen“, heißt es in einer Pressmitteilung des Vereins, der zu einem Treffen eingeladen hat.

Wir haben auch die Verantwortlichen des Lokals, dessen Namen wir vorerst nicht nennen, um eine Stellungnahme gebeten und werden weiter berichten.