Die im kommenden Jahr geplante Hartz-IV-Änderung wird verharmlosend „Rechtsvereinfachung“ genannt. Dahinter verbergen sich aber etliche gravierende Verschlechterungen für Erwerbslose.
Derzeit wird im Bundesarbeitsministerium ein sogenannter Referentenentwurf zur Änderung des Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) vorbereitet, der dem Bundestag demnächst vorgelegt werden soll. Nach den Plänen der Regierung soll das das Gesetzgebungsverfahren im kommenden Frühjahr abgeschossen sein, damit die Änderungen im April 2015 in Kraft treten können. Zurzeit ist nur der vorläufige Abschlussbericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe bekannt, in der das Bundesarbeitsministerium, die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände vertreten waren. Den Bericht werten Beobachter*innen als Vorlage für die Gesetzesschreiber*innen im Arbeitsministerium. Er enthält 36 Änderungsvorschläge zu Hartz IV, über die in der Arbeitsgruppe Konsens bestand.
Zunächst ist festzustellen, dass die Umsetzung einiger dieser Vorschläge tatsächlich zu Verbesserungen beziehungsweise Vereinfachungen für Arbeitslosengeld II Beziehende führen wird. Werden z.B. wie geplant Leistungen für ein ganzes Jahr bewilligt, müssen die viele Seiten umfassenden Anträge nicht mehr wie bisher alle 6 Monate gestellt werden. Außerdem sollen die verschärften Sanktionsregelungen für unter 25jährige gestrichen werden. Damit wäre die viel kritisierte Sonderstellung junger Menschen im Hartz-IV-Strafsystem endlich vom Tisch.
Unterm Strich werden diese Verbesserungen aber wieder aufgewogen, durch Verschlechterungen an anderer Stelle, die sich zum Teil hinter für Laien kaum verständlichen Verfahrensregelungen und Paragraphen verbergen. Über ein Dutzend solcher Vorschläge enthält der Bericht der Bund-Länder-AG. In diesem Artikel können lediglich beispielhaft einige dieser Änderungspläne in stark vereinfachter Form und unter Vorbehalt wiedergegeben werden. Ob sie tatsächlich alle in den Gesetzentwurf einfließen stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
Verschlechterungen sind unter anderem zu erwarten bei den Absetzbeträgen für Alg-II Beziehende, die einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehen. Diese dürfen bei gleichzeitiger Ausübung von Erwerbstätigkeit und Ehrenamt statt einer Pauschale von 200 € künftig nur noch die tatsächliche Aufwandsentschädigung aus dem Ehrenamt für sich behalten. Erschwert werden soll außerdem der Umgang von leistungsberechtigten Eltern mit Ihren getrennt lebenden Kindern. So soll es in Zukunft für ein Elternteil nicht mehr möglich sein, tageweise Leistungen für die Kinder zu erhalten, die z.B. am Wochenende zu Besuch kommen.
Die brisantesten Änderungen sind im Verfahrensrecht geplant. Künftig soll es den Jobcentern sehr leicht gemacht werden, in bestehende Leistungsansprüche einzugreifen und Leistungen zu kürzen, um eigene Rückforderungen bei den Leistungsberechtigten einzutreiben. Solche Forderungen entstehen während des Leistungsbezugs z.B. häufiger, wenn sich Änderungen beim Einkommen ergeben und dadurch Überzahlungen entstehen. Hier werden Forderungen mit dem Leistungsanspruch verrechnet, was als Aufrechnung bezeichnet wird. Das ist ohnehin schon Hartz-IV-Sonderrecht, denn eigentlich gilt für alle Sozialleistungen, dass eine Behörde nichts von einem Leistungsanspruch einbehalten darf, wenn dadurch das Existenzminimum unterschritten wird.
Zwar finden Aufrechnungen bereits jetzt in großem Umfang statt, aber die Möglichkeiten, Leistungen zu kürzen, sollen erheblich erweitert werden. Zudem sollen solche Kürzungen in Zukunft möglich sein, ohne dass Bescheide erlassen werden, die den gültigen Leistungsbescheid aufheben und abändern. Auch das ist verschärftes Sonderrecht: Denn für Bürger*innen gilt gewöhnlich, dass die Entscheidung einer Behörde (Verwaltungsakt) so lange gilt, bis sie durch einen neuen Verwaltungsakt aufgehoben wurde.
Weiter ist geplant, die Voraussetzungen zu lockern, unter denen Jobcenter Ersatzansprüche bei Leistungsberechtigten geltend machen können. Diese müssen dann das bezogene Arbeitslosengeld II wieder komplett zurückzahlen. Das soll künftig z.B. möglich sein, wenn Hartz-IV-Beziehende ihre Hilfebedürftigkeit nicht durch Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung verringert haben oder wenn sich die Bedürftigkeit gar erhöht, weil mögliche Einkommensquellen nicht (weiter) verfolgt wurden. An dieser Stelle wird Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet, denn wer kann sich schon anmaßen zu entscheiden, welche Bemühungen Einkommen zu erzielen Leistungsberechtigten in unterschiedlichen Lebenslagen zumutbar sind und abverlangt werden können. Erfahrene Beobachter*innen brauchen allerdings wenig Phantasie, um sich vorzustellen, dass s z.b. hoch verschuldete Städte wie Wuppertal das neue Instrumentarium rege nutzen werden, um sich geleistete Unterkunftskosten bei den Erwerbslosen zurückzuholen.
Während die Regierung vorhat, sämtliche Werkzeuge zu schärfen, mit denen Jobcenter ihre Forderungen eintreiben können, werden die Rechte der Erwerbslosen beschnitten, mit denen sie rechtswidrig vorenthaltene Leistungen vom Jobcenter zurückholen können. Stellt z.B. ein Sozialgericht fest, dass Arbeitslosengeld II zu Unrecht verweigert wurde, soll der Zeitraum abermals verkürzt werden, für den das Geld nachgezahlt werden muss.
Hinter scheinbar belanglosen gesetzlichen Detailfragen und für Laien unverständlichen Änderungen beim Verfahrensrecht verbergen sich Sozialleistungskürzungen und eine weitere Aushöhlung der Rechtsposition von Erwerbslosen. Die als „Rechtsvereinfachung“ getarnten Änderungspläne der Großen Koalition sind ein Wolf im Schafspelz und strikt abzulehnen. Erwerbslosengruppen wollen daher mit einer bundesweiten Kampagne die Öffentlichkeit über geplante Änderungen aufklären und politischen Druck erzeugen, um Schlimmeres abzuwenden.
Die Kampagne „AufRecht bestehen: kein Sonderrecht im Jobcenter“ Anfang Oktober Gab es in Verschiedenen Städten Aktionen (u.a. Bonn, Wuppertal und Frankfurt a.M.) einen Aktionstag zur Kampagne. Kampagnenmaterial, Termine, Infos über Aktionen und den Stand der Gesetzgebung sind zu finden unter .http://www.aufrecht-bestehen.de
Der Autor ist Berater beim
Erwerbslosen Verein Tacheles e.V. in Wuppertal