Veranstaltung im Rahmen der Reihe »Bullenwagen klauen und Adorno rezitieren? Zum Verhältnis von Theorie und Praxis«. Mehr Informationen zur Veranstaltungsreihe: http://grow.noblogs.org/ ankuendiger/
Will man politisch intervenieren, muss man sich
fragen: Wo kommt das Elend her, was man bekämpfen will und gibt es einen
systematischen Grund dafür? Jede Praxis, der nicht eine derartige
Analyse vorausgeht, läuft dreierlei Gefahr: aus Empörung zu handeln, das
Falsche zu bekämpfen und die eigene Bedeutung zu überhöhen. Aus
Empörung zu handeln ist schlecht, weil nicht jede Empörung über die
Zustände einen guten Grund hat, Empörung vielmehr oft genug die
herrschenden Verhältnisse affirmiert. Das Falsche zu bekämpfen wäre
wirklich blöd, weil man so ziemlich sicher nicht sein Ziel erreicht. Die
eigene Bedeutung zu überhöhen führt im Resultat genau zu der
Frustration, die Praxisfans gerne jenen vorwerfen, die einen Begriff
vom kritisierten Gegenstand einfordern, bevor man sich auf die Straße
oder vor das Werkstor stellt. Das Bittere an den hiesigen Verhältnissen
ist vielmehr, dass der Ausgangspunkt noch für jede politische Aktivität
die Einsicht in die eigene Ohnmacht sein muss – weder hat man sich die
politische noch die ökonomische Position ausgesucht und daran kann man
unmittelbar auch nichts ändern. Außerdem sind diverse Ideologien zur
Rechtfertigung dieser Verhältnisse so unglaublich erfolgreich, dass
Gesellschaftskritiker*inne n anerkennen müssen, dass sie ganz schön alleine da stehen.
Um das zu ändern, braucht man das Rad nicht neu erfinden. Es fehlt
nicht an der einen neuen Methode, die den Durchschnittsbürger*innen
Irrsinn und Brutalität von Rassismus und Sexismus endlich klar werden
lässt. Es mangelt nicht an der einen kämpferischen Erfahrung, die der
Arbeiterin im Callcenter die systematische Ausbeutung vor Augen führen
könnte. Das, was die meisten von ein paar Einsichten abhält, ist die
einfache und harte Überzeugung, dass es im Großen und Ganzen schon
passt, wie es hier läuft und ein paar Reformen mit dem aufräumen
könnten, an dem sich mehr oder weniger Leute stoßen. Und auch
Linksradikale, die vielleicht schon mal in das Buch »Das Kapital«
geschaut haben, machen diverse »praktische Vorschläge«, die direkt oder
indirekt Kapital und Ware, Nation und Staat geistig umarmen. Woran man
wieder merkt, dass es auf die richtige Analyse ankommt.
Vernünftige Kritik einzufordern, bevor man sich in die politische
Aktivität stürzt, ist übrigens alles andere als zu sagen, es gäbe
politisch nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Aufklärung ist bitter nötig.
Zum Beispiel darüber, dass nicht die Banken, die Politiker*innen und
die Chef*innen zu bekämpfen sind. Weil sie lediglich Charaktermasken
sind, die ihre Funktion für Kapital und Staat erfüllen – und mit ihrer
Bekämpfung das Prinzip nicht ins Visier gerät. Will man etwa gegen die
Zehntausenden Hungertoten etwas unternehmen, muss man die Prinzipien
benennen und bekämpfen, die einerseits den Überfluss an Essen und
gleichzeitig das Elend und den Mangel hervorbringen. Wie unsinnig oder
vernünftig die konkrete Praxis dann sein mag – ohne die richtige Theorie
ist sie jedenfalls verloren und affirmiert auch in ihrer linksradikalen
Fassung nicht selten genau die Prinzipien, die sie zu bekämpfen
vorgibt.
Diskussionsveranstaltung mit Ilka Schröder (schreibt unter anderem für
Jungle World, konkret und Phase 2). Von 1999 bis 2004 war sie
Abgeordnete des Europaparlaments. 2001 trat sie aus ihrer Partei aus, da
sie die »Politik der Grenzabschottung gegenüber Flüchtlingen« und den
»Umbau der Bundeswehr in eine effektive Angriffstruppe« nicht länger
mittragen wollte.
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