Shingal. Im Irak 2003 als Al-Qaida-Ableger gegründet, nutzte die heute als »Islamischer Staat (IS)« bekannte und weltweit zur Ikone des Terrors avancierte Terrororganisation das im Irak hinterlassene Sicherheitsvakuum aus. Nach dem Tod ihres Gründers und engen Osama bin-Laden-Vertrauten az-Zarqawi übernahm der radikale, irakische Islamgelehrte Ibrahim al-Badri, der sich nun Kalif Abu Bakr al-Baghdadi nennt, die Führung. Anders als die übrigen Al-Qaida Ableger außerhalb des Iraks, schürte die Gruppe um az-Zarqawi und al-Badri einen besonderen Hass auf Schiiten, die im Irak ab 2003 nach Jahrzehnten der Unterdrückung die Macht an sich rissen.
Auf die gestürzte Ordnung unter der Diktatur Saddam Husseins folgte ein erbarmungsloser Bürgerkrieg zwischen Schiiten, Sunniten und Baathisten. Angestaute, jahrzehntelang vom Hussein-Regime unterdrückte Wut entbrannte. Die ohnehin kärgliche Infrastruktur wurde im Laufe der US-Intervention endgültig zerstört, das Leid der Zivilbevölkerung spitzte sich zu. Die anfänglich als Befreier bejubelten US-Truppen wurden zunehmend als Besatzer wahrgenommen, deren Versagen auf das Fehlen einer Nachkriegs-Strategie zurückzuführen ist. Schnell kippte die euphorische Stimmung der Iraker in Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit um. Im Schatten des Chaos formierten sich bereits verschiedenste Gruppen, die in den folgenden Jahren nun um die Macht kämpfen sollten. Darunter zahlreiche Terrororganisationen wie der IS. Im Irak waren und sind Terrorgruppen wie der IS für unzählige Bombenanschläge verantwortlich. Am 14. August 2007 attackierten Extremisten zwei ezidische Dörfer im Süden Shingal und töteten bei dem bisher zweitschwersten Sprengstoffanschlag der Menschheitsgeschichte rund 800 Menschen auf einem Schlag. Über 1.500 Eziden wurden verletzt.
Syrischer Bürgerkrieg: Zerstörtes Haus in Azaz
by VOA’s Scott Bobb
Im Jahr 2011 erfassten die Proteste des Arabischen Frühlings schließlich das Nachbarland Syrien. Regionale Mächte witterten ihre Chance, Einfluss auf Syrien zu erlangen und korrumpierten mit Hilfe radikaler Organisationen die ursprünglich demokratischen Proteste. Friedliche Demonstrationen wurden bewusst manipuliert und führten zu zunehmenden Gewaltexzessen der syrischen Regierungsstreitkräfte gegen die Demonstranten. Kurz darauf begannen die Oppositionsgruppen mit dem bewaffneten Kampf. Aus den Reformhoffnungen der Demonstranten entwickelte sich einer der erbittersten Bürgerkriege der letzten Jahrzehnte. Das so entstandene Sicherheitsvakuum erkannten auch radikal-terroristische Organisationen wie die Al-Qaida im Irak, zu dem der IS noch formal gehörte. Im Durcheinander stieg die Terrororganisation des IS schnell zu einer beachtlichen Armee auf. Auch, weil der Westen vermeintlich moderate Oppositionsgruppen in Syrien aufrüstete und ausbildete, von denen man glaubte, sie würden den syrischen Diktator Assad schnell stürzen können. So gelangten Waffen und militärisch ausgebildete Kämpfer in die Reihen des IS und anderer Terrororganisationen wie der Al-Nusra-Front.
Der Bürgerkrieg in Syrien gipfelte schließlich in einen Stellvertreterkrieg globaler Mächte. Die Extremisten agierten nun als Söldner der regionalen und globalen Staaten, die man zu kontrollieren glaubte. Der IS, das zeigt insbesondere das Beispiel der Hegemonialbestrebung der Türkei, lässt sich jedoch nicht (mehr) kontrollieren. Denn die Söldner verfolgen eigene, den Interessen der regionalen und globalen Mächte disparat gegenüberstehende Ziele. Während international um Lösungen gerungen wurde, entwickelten die radikalen Gruppierung in Syrien eine Eigendynamik. So schnell, dass sie nicht mehr auf die Untersützung anderer angewiesen waren. Die Eigendynamik des IS wird getrieben von einer schier unbegrenzten Anzahl an Rekruten aus dutzenden Staaten, basierend auf einer menschenverachtenden Ideologie, der jegliches Mittel zur Umsetzung ihrer Ziele recht ist. Die Kämpfer kamen nicht nach Syrien, nur um Assad zu stürzen, sondern um selbst die Macht über die gesamten Regionen an sich zu reißen.
Zwei zerstörte Panzer an einer Moschee in Azaz, Syrien | Christiaan Triebert
Kämpfer, die nicht für das irdische Leben, sondern für das Leben im Jenseits kämpfen. Selbsternannte Gotteskrieger auf dem Weg nach sexueller Befriedigung im Paradies, die von vielen sunnitischen Stämmen im Irak und Syrien unterstützt werden. Das Ziel: Ein Kalifat-Staat, der unter anderem den gesamten Nahen Osten umfassen soll. Die Bilanz nach drei Jahren Krieg in Syrien: Rund 200.000 Tote, über 10.000.000 Vertriebene und Flüchtlinge. Den einzigen Schutz boten vor allem die Kurden im Norden des Landes, wo Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG den Minderheiten aber auch sunnitischen Flüchtlingen Schutz boten und eine Selbstverwaltung ausriefen. Im Irak sollen baathistische Untergrundorganisationen zumindest mit dem IS sympathisieren, insbesondere die Gruppe um Izzat Ibrahim ad-Duri, der rechten Hand Saddam Husseins. In Syrien erstarkt, kehrte der IS nun zu seiner Geburtsstätte – dem Irak – zurück.
Am 10. Juni begann der IS, zu diesem Zeitpunkt noch ISIS, mit dem Sturm auf die irakische Metropole Mosul. Nun als selbstständige, von der Al-Qaida abgespaltenen Organisation. Praktisch über Nacht nahm die Terrorgruppe die Stadt ein, vor allem weil die demoralisierten irakischen Sicherheitskräfte flüchteten und sich nicht für die Maliki-Regierung in Bagdad opfern wollten. Es folgte die Übernahme der Region Anbar und weiterer Städte und Ortschaften. Das Kalifat nahm nach und nach Gestalt an, die Terroristen kontrollierten nun erstmals grenzübergreifend weite Teile Nordsyriens und des Nordiraks. Schließlich wurde das Kalifat ausgerufen. So wurde der IS nicht nur direkter Nachbar der Kurden in der Autonomen Region Kurdistan, sondern auch der Êzîden in Shingal im Nordirak. Die seit 2.000 Jahren in Mosul lebende christliche Gemeinde, Assyrer, Aramäer, Chaldäer und Mandäer, waren gezwungen aus ihrer Heimat zu flüchten. Der IS preschte mit beispielloser Brutalität stetig Richtung Bagdad vor. Auf dem Weg zur irakischen Hauptstadt nahm er dutzende Städte ein und vertrieb die verhassten schiitischen Turkmenen und Iraker, Shabak, Yarsan, Assyrer, Aramäer, Mandäer, Kurden und Eziden.
Beisetzung verdurstete Kinder im
Shingal Gebirge | © êzîdîPress
Aufgrund der strategischen Bedeutung der irakisch-syrischen Grenzregion Shingal marschierten am 11. und 12 Juni tausende Pêşmerga-Soldaten in das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden ein. Die dort stationierten irakischen Sicherheitskräfte flüchteten zuvor wie schon aus Mosul. Shingal, eine zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittene Region, ist das traditionelle Siedlungsgebiet der Êzîden, in dem sie mit rund 500.000 Anhängern einen Bevölkerungsanteil von 85 bis 90 Prozent ausmachten. In den folgenden Wochen griffen IS-Terroristen die Region immer wieder an den Außengrenzen an und drohten öffentlich mit einer Offensive. Am 3. August verwirklichte der IS dann seine Okkupation. Die zu tausenden in Shingal stationierten Pêşmerga-Soldaten flüchteten wie zuvor bereits die irakische Armee und überließen die Menschen ihrem eigenen Schicksal: Es folgte ein Völkermord an den Êzîden. Die internationale Staatengemeinschaft beobachtete nun mit eigenen Augen, welches Monster sie in den vergangenen Monaten und Jahren mit hervorgerufen hatte und sah sich nun gezwungen, gegen dieses Ungeheuer eine breite Anti-IS-Koalition zu formieren. Bilder und Fernsehberichte der ins Gebirge vertriebenen und gestrandeten Flüchtlinge entsetzen die Menschen weltweit.
Anstelle der Pêşmerga rückten noch am selben Tag Einheiten der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG aus Westkurdistan (Nordsyrien) in Shingal ein, um den flüchtenden Eziden Feuerschutz vor den heranrückenden IS-Terroristen und den nun zu Mördern geratenen Nachbarn zu geben. Tausende Êzîden wurden von den IS-Terroristen noch in Shingal massakriert. Alleine im Dorf Kucho wurden rund 600 Êzîden hingerichtet, Frauen und Kinder entführt, weitere tausend Frauen befinden sich in der Gewalt des IS. Rund 500 Frauen, Männer und Kinder wurden von IS-Terroristen in einem Massengrab lebendig begraben.
Bis heute kämpfen nun verschiedenste Einheiten in Shingal gegeneinander. Um die Macht über die Region, Eziden um ihre Ehre, für den Erhalt ihrer Kultur und Religion. Denn für Êzîden steht eines fest: Ist Shingal verloren, bedeutet das auch ein Ende der êzîdîschen Religion im Nahen Osten, wo sie vor über 4.000 Jahren aus der alt-iranischen Religon im Westen hervorgegangen ist. Shingal bildet die Halsschlagader der êzîdîschen Geschichte, Religion und Kultur. Um dieses mesopotamische Erbe zu retten, forcierten sich auch êzîdîsche Einheiten.
Hêza Parastina Şingal (HPŞ)
Name: Hêza Parastina Şingal, kurz HPŞ; dt. Verteidigungskraft Shingal
Gründung: August 2014
Stärke: > 2.200
Kämpfer: Êzîden
Operationsgebiet: Shingal
General: Qasim Şeşo
Kommandeure: Heydar Şeşo (Oberkommandeur), Şêx Dawid, Qasim Pîr Avdo
Wappen: Farben Rot und Weiß gem. êzîdîscher Tradition. Sonne als heiliges Symbol der êzîdîschen Religion
Die HPŞ wurde zeitgleich im Zuge der Angriffe des IS in Shingal am 3. August von Qasim Şeşo gegründet und ist die bisher größte Widerstandseinheit der Êzîden im Kampf gegen den IS-Terror. Erste erfolgreiche Aktionen der HPŞ war die Verteidigung der zentralen Pilgerstätte in Shingal namens Şerfedîn als auch der Schutz der Zivilisten, die in das Gebirge geflohen waren. Einheiten der HPŞ waren zudem an der Sicherung des von der YPG erkämpften Fluchtkorridors beteiligt. Weiterhin versorgte die HPŞ Zivilisten im Gebirge und wehrte mehrfach Angriffe der IS-Terroristen ab. Versuche von IS-Sturmkommandos in das Gebirge einzudringen, wurden von der HPŞ an den Taleinfahrten unterbunden.
Die HPŞ, so ein Beschluss der Kommandeure und Stammesführer, wird zusammen mit der YBŞ die zukünftige Miliz der Êzîden in Shingal stellen. Der Beschluss sieht außerdem vor, dass die Êzîden in Shingal sich keiner politischen Partei oder Armee unterwerfen werden, ohne den Parteien eine Interessensvertretung in der Region abzusprechen. Die Zukunft Shingals soll jedoch von Êzîden selbst bestimmt werden. Die Kämpfer der HPŞ sind mehrheitlich freiwillige Êzîden sowie ehemalige êzîdîsche Pêşmerga-Soldaten. Oberkommandeur der HPŞ ist Heydar Şeşo, ehemaliger irakischer Parlamentsabgeordneter, der innerhalb der êzîdîschen Gesellschaft einen guten Ruf genießt.
Yekîneyên Berxwedan Şingal (YBŞ)
Name: Yekîneyên Berxwedana Şingal, kurz YBŞ; dt. Widerstandseinheit Shingal
Gründung: 6. August 2014 (Pressemitteilung), initiiert von der YPG
Stärke: > 1.000 (keine genauen Angaben)
Kämpfer: Êzîden
Operationsgebiet: Shingal
General: Şêx Xelef
Kommandeure: u.a. erfahrene YPG- und HPG-Angehörige
Wappen (inoffiziell): Farben Rot und Weiß gem. êzîdîscher Tradition. Sonne als heiliges Symbol der êzîdîschen Religion
Drei Tage nach dem Überfall der IS-Terroristen und dem Einmarsch der kurdischen Volksverteidigungseinheit aus Westkurdistan in Shingal wurde die YBŞ unter der Initiative der YPG ins Leben gerufen. Die YBŞ bestand zunächst aus erfahrenen YPG Kämpfern, ehe sie mit der Ausbildung freiwilliger Êzîden begann. Kurze Zeit später wurde ein YBŞ eigenes Ausbildungslager mit dem Namen Derwêşê Evdî gegründet. Die YBŞ war und ist an allen Aktionen der YPG in Shingal beteiligt. So etwa bei der Verteidigung der Flüchtlinge im Gebirge, der Errichtung eines Fluchtkorridores und der Abwehr von Angriffen auf die Taleinfahrt zum Gebirge. Die YBŞ operiert insbesondere im südlichen Bereich des Gebirges und sichert wichtige Straßenkreuzungen im Norden, die zur Versorgungslinie der Widerstandskämpfer gehören. Jene Versorgungsroute wurde ebenfalls von der YPG und der YBŞ errichtet und immer wieder gegen Angriffe verteidigt. Kämpfer der YBŞ und der HPŞ kämpfen gemeinsam und verteidigen die unter der Kontrolle der Êzîden stehenden Ortschaften. Die YBŞ wird auch als “Tawisî Melek Brigade” bezeichnet, so Kheri Shingaly, êzîdîschstämmiger Politiker und Kämpfer der YBŞ Einheit.
Yekîneyên Parastina Gel (YPG)
Name: Yekîniyên Parastina Gel, kurz YPG; dt. Volksverteidigungseinheit
Gründung: 2012
Stärke: > 45.000 (keine genauen Angaben)
Kämpfer: Hauptsächlich Kurden, Eziden, Christen und andere Minderheiten
Operationsgebiet: Westkurdistan, Rabia-Shingal
General: Sîpan Hemo
Kommandeure und Sprecher: rund 330, u.a. Rêdûr Xelîl, Can Polat, Cemşîd Osman, Mehmut Berxwedan
Wappen: Traditionelle Farben der Kurden grün, rot und gelb.
Die YPG entstand im Laufe des Krieges 2012 in Syrien und wurde schnell zu einer effektiven Miliz gegen die Angriffe radikaler Organisationen auf Kurden, Araber, Christen, Eziden, Assyrer, Aleviten und anderen Minderheiten. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Gefechten mit syrischen Regierungstruppen und der Freien Syrischen Armee. Innerhalb der YPG kämpfen erfahrene Kommandeure und Kämpfer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).
Am 3. August marschierte die YPG zur Verteidigung der Eziden in Shingal ein und leistete zunächst alleine Widerstand gegen den Vormarsch des IS. Der von der YPG errichtete Fluchtkorridor rettete über 80.000 Êzîden, die im Gebirge eingekesselt waren, das Leben. Kämpfer der YPG sicherten den Fluchtkorridor und brachten die Êzîden über die syrische Grenze in Flüchtlingslager nach Rojava, wie auch Westkurdistan genannt wird, und ermöglichten so eine Flucht auch in die südkurdischen Regionen. 17 YPG Kämpfer wurde während der Errichtung und Verteidigung des Fluchtkorridores getötet. Zudem verteidigten sie die hauptsächlich êzîdîschen Flüchtlinge im Gebirge, indem sie Angriffe der IS-Terroristen erwiderten. Die Menschen im Gebirge wurden mit Wasser und Nahrung versorgt. Für die absolute Mehrheit der Êzîden gilt die YPG daher als Retter, die zehntausende Êzîden vor dem sicheren Tod bewahrte. Rund 200 YPG Kämpfer beteiligten sich anfänglich an der Verteidigung der Pilgerstätte Şerfedîn an der Seite der HPŞ. Im Kampf gegen den IS in Shingal ist die Erfahrung der YPG von enormer Bedeutung. Schweres Kriegsgerät wurde teilweise nach Shingal verlagert, sodass eine effektivere Verteidigung gegen die Terroristen ermöglicht wurde. Die YPG-Einheiten sind von Assyrer der MFS-Miliz unterstützt worden.
Kämpfer der YPG waren und sind zudem an der Verteidigung der strategisch wichtigen Grenzregion Rabia im Nordirak beteiligt. Dort kämpfen sie gemeinsam mit Pêşmerga-Soldaten und vereinzelt irakischen Sicherheitskräften gegen den IS. Derzeit verteidigt die YPG die kurdische Region Kobanî in Westkurdistan, die der IS mit einer Großoffensive am 15. September ins Visier genommen hat.
Hêzên Parastina Gel (HPG)
Name: Hêzên Parastina Gel, kurz HPG; dt. Volksverteidigungskräfte
Gründung: 27. November 1978
Stärke: > 10.000 (keine genauen Angaben)
Kämpfer: Kurden, Aleviten, Eziden
Operationsgebiet: Nord- (Türkei), Süd- (Irak), West- (Syrien) und Ostkurdistan (Iran) sowie Rabia-Shingal
General: Murat Karayilan
Kommandeure: Dr. Bahoz Erdal, Cemil Bayik, Seyitxan Heval, Karakoçan u.v.w.
Wappen: Traditionelle Farben der Kurden grün, rot und gelb.
Militärischer Arm der kurdischen Freiheitsbewegung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Spezialeinheiten der erfahrenen Guerilla sind wenige Tage nach dem Einmarsch der IS-Terroristen in Shingal vorgedrungen und haben vor allem die YPG Kräfte unterstützt. Aufgrund ihrer teilweise jahrzehntelangen Gerillaerfahrung war es den Einheiten möglich, im unwegsamen Gebirge tausende von Flüchtlingen zu erreichen und Angriffe der IS-Terroristen abzuwehren. HPG Kräfte beteiligten sich ebenfalls bei der Errichtung des Fluchtkorridores und seiner Sicherung. Mehrfach konnten sie Angriffe auf weitere Dörfer im Norden Shingals verhindern und die IS-Terroristen zurückschlagen. Die genaue Zahl der HPG Guerillas in Shingal ist nicht bekannt, beläuft sich schätzungsweise aber auf über 100. Ohne die erfahrenen Kommandeure der HPG, so interne êzîdîsche Quellen, wäre es kaum möglich gewesen, die Menschen vom Gebirge zu retten.
Pêşmerga
Name: Pêşmerga; dt. “Die dem Tod ins Auge blickenden”
Gründung: 1920
Stärke: ≈ 200.000
Kämpfer: Kurden, Eziden, Christen, Yarsan
Operationsgebiet: Südkurdistan, Irak
General: Mesûd Barzanî (Präsident Südkurdistans)
Kommandeure: dutzende
Wappen: Kurdische Nationalflagge. Traditionelle Farben grün, rot und gelb. Sonne als Symbol der Ur-Religion der Kurden (Êzîdentum)
Reguläre Armee der Autonomen Region Kurdistan. In der Vergangenheit kämpften die Pêşmerga als Guerilla insbesondere gegen die irakischen Machthaber, vor allem gegen Saddam Hussein und galten als unerschrockene Kämpfer. Mit dem Einmarsch der USA im Jahr 2003 konnten die Kurden ihre Macht in Südkurdistan festigen und eine Autonome Region ausrufen. Dank ihrer Erfahrung und geographischen Kenntnisse der Region waren sie für die US-Streitkräfte von besonderer Bedeutung.
Als IS-Terroristen am 10. Juni die irakische Metropole Mosul überrannten, stationierte man die Pêşmerga-Einheiten entlang der kurdisch-irakischen Grenze. Knapp zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak suchten daraufhin Schutz in den als sicher geltenden Regionen Südkurdistans. Christen, Eziden, Schiiten, Shabak, Turkmenen, Yarsan und auch moderate Sunniten sind in die von den Pêşmerga geschützten Regionen Südkurdistans geflüchtet. Wenige Tage nach der Übernahme Mosuls durch den IS marschierten die Pêşmerga auch in Shingal ein. Rund 10.000 Pêşmerga-Soldaten flüchteten jedoch kampflos, als der IS die Region Shingal am 3. August angegriffen hat. Das Vertrauen der Êzîden in die Pêşmerga ist schwer angeschlagen. Nur wenige Dutzend Pêşmerga waren an der Sicherung der Fluchtkorridore für die Menschen im Gebirge beteiligt, dort besonders in der Gemeinde Dugurê. Mit ihrer Ausrüstung und der nun vom Westen gelieferten schweren Waffen sind sie für die Streitkräfte in Shingal unersetzbar, um die Region Shingal endgültig zu befreien. Eine oft angekündigte Großoffensive der Pêşmerga ist bisher nicht erfolgt, wird aber in den nächsten Tagen erwartet, da sie zusammen mit YPG und HPG Kräften in Rabia bereits erste Erfolg erzielen konnten.
القوات المسلحة العراقية (ISF)
Name: القوات المسلحة العراقية, kurz ISF; dt. Irakische Sicherheitskräfte
Gründung: 1921
Stärke: > 600.000 (Aktive und Reserve)
Kämpfer: Iraker
Operationsgebiet: Irak
General: Haidar al-Abadi
Kommandeure: hunderte
Wappen: Wappen der irakischen Regierung
Die Irakischen Sicherheitskräfte umfassen alle Bodentruppen und Luftstreitkräfte des Iraks. Im Konflikt mit dem IS kommt den ISF eine verhängnisvolle Rolle zu: Sie zogen sich nach dem Sturm auf Mosul fast kampflos zurück und hinterließen schwerstes Kriegsmaterial, darunter dutzende Panzer, mit denen die IS Terroristen enorm an Schlagkraft gewinnen konnten. Es mangelte, trotz bester Ausrüstung, an der Organisation und der Kampfmoral der Truppen, zersetzt durch die schiitisch-sunnitische Feindschaft. Ex-Ministerpräsident Maliki verstärkte in seinen Regierungsjahren durch die Absetzung hoher, sunnitischer Generäle und ihrer Ersetzung durch unerfahrene schiitische Loyalisten diese Feindschaft.
Zahlreiche Massaker der IS-Terroristen an ISF Angehörigen sind dokumentiert. Darunter auch viele Kurden, Eziden, Christen, Turkmenen, Assyrer die für die ISF gearbeitet hatten. Tausende schiitische Freiwillige aus der Hochburg im Süden schlossen sich den ISF an. Von iranischen und kurdischen Truppen unterstützt, konnte die ISF über 20.000 umzingelte Turkmenen in Amerli vor dem IS-Terror retten. Mehrfach beteiligen sich irakische Soldaten an Aktionen kurdischer Pêşmerga-Truppen gegen den IS, so etwa bei der Rückeroberung des Mosul-Damms. Aus Shingal zogen sich die irakischen Sicherheitskräfte kampflos zurück, das hinterlassene Sicherheitsvakuum wurde zunächst von Pêşmerga-Soldaten wieder aufgefüllt. Kleinere Einheiten beteiligen sich nun beim Vormarsch der Pêşmerga von Rabia aus in Richtung Shingal.
Kampfpiloten der ISF flogen Hilfsgüter zu den auf dem Gebirge gefangenen Menschen und griffen Stellungen der IS-Terroristen aus der Luft an. Bei einer Rettungsaktion stürzte ein Helikopter ab, der irakische Pilot starb. Die êzîdîsche Politikerin Vian Dakhil als auch Mîrza Dinnayi waren ebenfalls Insassen und überlebten verletzt.
Anti-IS-Koalition
Nach dem Völkermord an den Êzîden geschmiedete Koalition dutzender Länder unter der Führung der USA. Mit Luftschlägen versucht die Anti-IS-Koalition im Irak als auch in Syrien den Vormarsch des IS zu stoppen. In Shingal greifen Streitkräfte der Koalition immer wieder Stellungen des IS an. Mehrere Länder beteiligten sich zudem an Hilfsgüterlieferungen und Rettungskationen der Flüchtlinge im Shingal-Gebirge, die den Beginn der Anti-IS-Koalition darstellten. Inzwischen beteiligen sich dem US-Verteidigungsministerium nach über 60 Staaten an der Koalition.
Luftschläge der USA, Großbritannien sowie der Niederlande sind bereits im Norden wie auch im Süden Shingals erfolgt.
Islamischer Staat (IS)
Name: Islamischer Staat, kurz IS
Gründung: 2003
Stärke: > 30.000 (nach CIA-Angaben)
Kämpfer: Radikale Islamisten aus dutzenden Ländern
Operationsgebiet: Irak, Syrien, Libanon, teilw. Jordanien
General: Abu Bakr al-Baghdadi
Kommandeure: für den Irak Adnan al-Sweidawi, für Syrien Fadel al-Hayali
Wappen: “Siegel des Propheten” und Erster Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses auf schwarzem Hintergrund
Für den Islamischen Staat (IS) sind Êzîden absolute “Ungläubige” (arab. Harbīs), weil sie keine Schriftbesitzer sind (arab. Ahl al-kitab) und nur Angehörigen von Buchreligion ein gewisser Schutz zukommt. Als “Harbīs” sind Êzîden in den Augen der IS-Terroristen daher Vogelfreie, mit denen nach belieben verfahren werden kann. Die Tötung, Versklavung, Gefangennahme als “Kriegsbeute”, Plünderung der Häuser, Zwangskonvertierung etc. sind aus ihrer Sicht “legitim”. Entsprechend brutal war und ist daher die Vorgehensweise gegen Êzîden. Tausende sind in Shingal durch den IS getötet, entführt und versklavt worden. Darunter viele hunderte Kinder, Frauen und Mädchen. Auf das Gebirge getrieben, starben hunderte an Dehydrierung und fehlender medizinischer Versorgung. Ebenso brutal ist der IS gegen andere Minderheiten in Mosul und weiteren Regionen des Iraks vorgegangen.
Weil sich die Kurden in allen Teilen Kurdistans entschlossen gegen den IS stellen und seine radikale Ideologie ablehnen, sind sie zu den Hauptfeinden des IS avanciert. Schon im vergangen Jahr sprachen radikale Islamisten in Syrien eine “Fatwa” (islamischen Rechtsgutachten) gegen Kurden aus, die zum Kampf und zur Tötung der Kurden aufrief. In Syrien bekämpfte der IS andere Terrororganisationen wie die Al-Nusra, ehe sie die massiven Luftschläge der Koalition in Syrien wieder zusammenführte.
Sunnitische Stämme
Der Vormarsch des IS ist für viele Analysten nur durch die Untersützung der einheimischen, sunnitischen Stämme möglich gewesen. Von der schiitischen Regierung im Irak und der baathistischen in Syrien unterdrückt, nutzten die sunnitischen Stämme den Feldzug des IS, um Rache zu nehmen. Ehemalige sunnitische Nachbarn, die friedlich mit Christen, Eziden, Shabak, Yarsan und Schiiten lebten, wurden zu Schlächtern. Nicht alle sunnitischen Stämme im Irak oder Syrien unterstützen den IS, jedoch eine große Mehrheit. Vereinzelt beteiligten sich jene Stämme auch im Kampf gegen den IS, so etwa der Stamm der Shammar in der Grenzregion Rabia.
Der Hass auf Schiiten im Irak, bedingt durch den seit 2003 schwelenden, blutig entbrannten Bürgerkrieg, einte die sunnitischen Stämme unter dem Banner des IS. In Shingal war der schnelle Vormarsch der Terroristen nur mit der Untersützung der Sunniten möglich gewesen, die die Êzîden stellenweise noch vor dem IS angegriffen haben. Sollte Shingal befreit werden, droht ein blutiger Krieg der ehemaligen Nachbarn.
Der irakische Bürgerkrieg, hauptsächlich zwischen Sunniten, Schiiten und Baathisten ausgetragen, wird das Land auch zukünftig nahezu unregierbar machen. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben den Keil zwischen den verschiedenen Konfessionen und Ethnien vertieft. Die Kurden im Norden des Landes arbeiten langfristig auf eine vollständige Unabhängigkeit hin. Zwischen die Fronten werden, wie schon zuvor, die Minderheiten geraten. Auch nach dem Ende des IS-Konfliktes droht damit ein jahrelang anhaltender Bürgerkrieg, der blutiger als je zuvor werden scheint. Schon jetzt folgt ein Racheakt dem anderen. Schiitische und sunnitische Milizen bekriegen sich im gesamten Land.