Interview: Streik an der Universität von Sao Paulo siegt

Streik an der Universität von Sao Paulo

Beschäftigte der Universität von São Paulo haben 116 Tage lang für höhere Löhne und gegen Privatisierung gekämpft – mit Erfolg. Ein Interview mit Diana Assunção, Vorsitzende der Gewerkschaft der nicht-akademischen MitarbeiterInnen der Universität von São Paulo (SINTUSP) und führendes Mitglied der Liga Revolutionäre Strategie – Vierte Internationale.

 

Vergangenen Freitag ist in der brasilianischen Stadt São Paulo nach 116 Tagen ein Streik an der Universität zu Ende gegangen – der längste in ihrer Geschichte. Was war das Ziel dieses Arbeitskampfes?

 

Die 17.000 nichtakademischen MitarbeiterInnen der Universität hatten die Arbeit niedergelegt, nachdem der Rektor die Löhne eingefroren hatte. Fürs kommende Jahr sollte es 0 Prozent Lohnerhöhung geben – obwohl wir in Brasilien unter einer sechsprozentigen Inflation leiden.

 

Außerdem waren die Beschäftigten ohnehin mit der Situation unzufrieden, weil die Lehre und die Arbeitsbedingungen zunehmend prekarisiert werden. Private Firmen überschwemmen die Uni, der Lehrbetrieb wird dem Markt immer mehr angepasst. Ein Beispiel ist das Universitätskrankenhaus: Es soll aus der Universität ausgegliedert und dann möglicherweise privatisiert werden – und das, obwohl es ein wichtiges Ausbildungszentrum für Ärzte ist, und die Bevölkerung in unserer Region behandelt. Das war auch ein Banner des Streiks.

 

Wie haben sich die Streikenden organisiert?

 

Die Beschäftigten der Uni haben sich in der Gewerkschaft SINTUSP organisiert, sie hat eine lange Tradition der direkten ArbeiterInnendemokratie. Unsere Versammlungen sind immer demokratisch und neben der Gewerkschaftsführung gibt es einen "Rat der VertreterInnen der Basis", die in jedem Sektor gewählt werden.

 

Doch im Streik ist ein Gremium notwendig, das alle Streikenden repräsentiert, auch diejenigen, die nicht in der Gewerkschaft sind. Deswegen haben wir ein "Streikkommando" gebildet, das direkt aus VertreterInnen aller Sektoren der Universität gewählt wird. Das ist wie in einem Rätesystem – jeder kann auch wieder abgewählt werden.

 

Doch die grundsätzlichen Entscheidungen werden in demokratischen Versammlungen getroffen, in denen jedeR ArbeiterIn das Mikrofon in die Hand nehmen kann. Die SINTUSP hat eine seit Jahrzehnten währende Kampftradition, aber dieses Kommando konnte die alte Garde der Gewerkschaft mit neuen AktivistInnen vereinen, die bei den massiven Jugendprotesten vom Juli 2013 in Brasilien ihre ersten Erfahrungen gemacht haben.

 

Wie hat die Bevölkerung auf Ihren Streik reagiert?

 

Wir haben viele Demonstrationen organisiert, um unseren MitbürgerInnen deutlich zu machen, dass es bei unserem Streik um mehr ging als um Löhne – nämlich um eine gute öffentliche Bildung und die Gesundheitsversorgung. Die Solidarität war groß – z.B. haben unsere Leute für Ärmere, die das nicht bezahlen können, Blut gespendet. Auf ihren Plakaten hieß es dann: "Der Rektor gibt sein Blut dem Unternehmer, wir geben unser Blut für die Bevölkerung." Als es in einem Armenviertel nebenan gebrannt hatte, haben die Streikenden die BewohnerInnen mit Essen versorgt.

 

Hatten die Studierenden Verständnis für Ihren Arbeitskampf?

 

Es sind fast 90.000 – unsere größte Schwäche war, dass die meisten von ihnen leider nicht dabei waren. Wenn sie mitgemacht hätten, hätten wir wesentlich mehr Durchsetzungskraft gehabt. Aber es gab einige, die sich für das Bündnis von Arbeitenden und Studierenden einsetzen.

 

Wie haben sich die Behörden verhalten?

 

Der Rektor war während des gesamten Streiks unnachgiebig. Die Regierung versuchte, den Kampf zu ignorieren. Im Oktober gibt es Wahlen – unmittelbar davor will sich natürlich kein Kandidat damit unbeliebt machen, dass er gegen einen viermonatigen Streik für die öffentliche Bildung Stimmung macht. Auch nicht Geraldo Alckmin, Gouverneur des Bundesstaates São Paulo – er stellt sich zur Wiederwahl. Nichtsdestoweniger haben die Behörden durchgegriffen: Die Militärpolizei hat mehrfach Streikposten auf dem Campus attackiert, ein Mitglied des Streikkommandos wurde 45 Tage lang eingesperrt.

 

Wie ging der Streik zu Ende?

 

Wir haben gesiegt, unter anderem konnten wir eine Lohnerhöhung um 5,2 Prozent sowie einen rückwirkenden Bonus von 28,6 Prozent durchsetzen. Die Lohnkürzungen, die der Rektor gegen die Streikenden durchzusetzen versucht hatte, müssen zurückgenommen werden. Vereinbart wurde auch, dass es keine nachträglichen Repressalien gegen Streikenden geben soll. Dieses Ergebnis wurde von der Gewerkschaftsversammlung angenommen.

 

Natürlich werden wir weiter dafür kämpfen, dass das Krankenhaus Teil der Universität bleibt. Doch die wichtigste Errungenschaft war die Stärkung der Avantgarde der ArbeiterInnen, die nach dem Streik weiterhin ein Mobilisierungskommando bilden. Hier sind Lehren für die ganze ArbeiterInnenklasse in Brasilien zu finden.

 

Interview: Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

 

Eine kürzere Version des Interviews erschien in der jungen Welt am 24.09.