La grande tristezza

L'Unità
Erstveröffentlicht: 
06.08.2014

Medientagebuch

 

Sie war einst das Sprachrohr der Resistenza gegen Mussolini und den Faschismus. 90 Jahre später beklagt Italien das Ende der linken Zeitung „Unità“

 

Von Maxi Leinkauf

 

Die Unità gibt es nicht mehr. Basta. Finito. „Sie haben uns getötet“, stand vor ein paar Tagen in fetten Lettern auf dem Titel der vorletzten Ausgabe. Seit dem 1. August kann man das traditionsreiche linke Blatt nicht mehr kaufen. Grande tristezza! Zumindest klagen sie alle, Leser, (linke) Politiker, Intellektuelle. „Die Unità war für uns Italiener mehr als eine Zeitung“, sagt auch Simone, der in der Hafenstadt Livorno einen Kiosk betreibt. „Die Kinder haben sie früher auf den Straßen verteilt oder den Erwachsenen nach Hause gebracht. Sie bekamen dafür ein Mittagessen oder Bonbons. Durch die Unità entstand auch ein sozialer Raum.“

 

Die Zeitung gehörte in den 70ern zum Inventar jedes Philosophie-Studenten. „Wir trugen Parkas, und einige Mutige hatten die Unità in der Tasche“, singt der Liedermacher Francesco Guccini, ein bisschen der Hannes Wader Italiens, in einem nostalgischen Song über die 68er. Nur noch Vergangenheit? Das Blatt lebte zuletzt jedenfalls mehr von seinem Mythos als von den Lesern.

 

Antonio Gramsci, der Antifaschist, Philosoph und Held der italienischen Linken, hat die Zeitung 1924 gegründet – als Sprachrohr seiner Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Sie sollte die Einheit der Arbeiterklasse manifestieren und war eine Kampfansage an Mussolini, der die Zeitung verbot. L’Unità rief die Italiener zur Resistenza gegen den Faschismus auf und konnte sich mit brillanten Autoren schmücken: Calvino, Pasolini, Hemingway. In den Nachkriegsjahren erreichte die Auflage mehrere hunderttausend Exemplare. Auch der Schriftsteller Antonio Tabucchi schrieb einige Jahre für die Unità und hat ihr ein literarisches Denkmal gesetzt. In einem seiner Romane steht eine junge Frau jeden Tag auf der Piazza Santa Maria Novella in Florenz und verteilt die Zeitung, bei Sonne und Regen. Sie trägt sie so stolz „wie eine Blume im Ohr“.

 

Die Unità begleitete den Ungarnaufstand und den Prager Frühling, Mafia-Attentate und den Mauerfall. Weltweites Aufsehen erregten die Interviews mit Fidel Castro oder Alexander Dubček. Nach dem Niedergang des realen Sozialismus im Osten implodierten auch die italienischen Kommunisten. Die Zeitung verlor ihr Profil, wurde eher rosa als rot. In den vergangenen Jahren stand sie dem Partito Democratico (PD) nahe. Der aber wollte sie jetzt nicht retten und fand kein Finanzierungsmodell, auf das sich alle Geldgeber einigen konnten. Weil er es sich mit seinen Linken nicht verscherzen will, twitterte Ministerpräsident Matteo Renzi: „Wir werden die Zeitung wiederbeleben.“ Doch auch er weiß, seine moderaten Wähler lesen Repubblica.

 

Und so scheint das Ende der Unità in eine Zeit zu passen, in der sich viele Italiener fragen, was „links“ überhaupt noch bedeutet. Im verschlafenen Dorf Castellina, in den Hügeln der Toskana, sitzt il signor Guido vor seiner Bar. Hier lag bislang jeden Tag die Unità auf dem Tresen. „Was soll ich jetzt lesen?“, fragt er traurig und philosophiert ein bisschen. „Wenn es keine Ideologien mehr gibt, dann gibt es auch keine Hoffnung mehr, und kein Ziel.“ Schrecklich sei das. „Früher dachten wir an die Gemeinschaft, heute denkt jeder nur noch an sich.“ Aber Italiener wissen sich immer zu behelfen. Seit dieser Woche liegt auf seinem Tresen die Gazzetta dello Sport.