Seit der – im Herbst 2013 gestarteten – Emma-Kampagne „Prostitution – Frauenkauf geht gar nicht“ wird wieder vermehrt über Sexarbeit diskutiert. Aus diesem Anlass haben wir hier ein kleines Dossier zum Thema zusammengestellt.
Wie eine Bestätigung der Emma-These, dass in der Sexarbeit Frauen die gehandelte Ware seien („Frauenkauf“), wirkt der Name der Seite kaufmich.com. Aber wird tatsächlich „mich“ – also die die sexuelle Dienstleistung anbietende Frau (in Ausnahmefällen: der die Dienstleistung anbietende Mann) – gekauft? Oder besteht auch im Falle von Sexarbeit ein Unterschied zwischen
-- dem/der ArbeitskraftbesitzerIn,
-- der Arbeitskraft selbst
und
-- dem Produkt, das im Zuge der Anwendung der Arbeitskraft hergestellt wird, bzw. der Dienstleistung, die im Zuge der Anwendung der Arbeitskraft verrichtet wird? –
Ein aktueller Arbeitskonflikt
Nicht wegen dieser terminologischen Frage, sondern aus einem ganz anderen Grund steht die Seite kaufmich.com gegenwärtig in Kritik: Über diese Seite bieten Sexarbeiterinnen ihre Dienstleistungen an, und es sind die Sexarbeiterinnen selbst, die mit dem Seitenbetreiber im Clinch liegen. Der Grund: Bisher wurden die Telefonnummern der Sexarbeiterinnen, die ihre jeweilige Nummer online stellen, allen Besucherinnen der Seite angezeigt. Seit kurzem wird den Seitenbesucherinnen nur noch eine begrenzte Anzahl von Nummern zur Verfügung gestellt, was für eine ganze Reihe von Sexarbeiterinnen zu massiven Umsatzeinbußen führte.
Dazu erschienen in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Artikeln:
-- http://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/sex/protestierende-sexarbeiterinnen-ausgesperrt-arbeitskampf-bei-einem-grosen-deutschsprachigen-portal-fur-sexuelle-dienstleistungen/ = http://www.trend.infopartisan.net/trd0814/t340814.html
-- „Kaufmich“ lässt nicht mehr verkaufen (de.indymedia.org v. 13.8.)
-- Huren protestieren gegen Onlineabzocke. Portal »Kaufmich.com« erschwert Sexarbeiterinnen Kontaktaufnahme mit Kunden (junge Welt v. 15.8.)
und ein Blog zum Thema wurde eröffnet:
-- http://sexarbeiterinnenprotest.blogsport.eu/.
Außerdem erschienen bei Labournet.de diese und vergangene Woche zwei weitere Artikel zum Thema Sexarbeit:
-- Gesundheitsschutz – Sexarbeit – Spam-Attacken
und
-- Vorsicht, Mietwucher! Stolpersteine und Ausbeutung im Gewerbe.
Aus diesen Anlässen sei hier eine Sammlung von aktuellen Texten zum Thema Sexarbeit zusammengestellt:
Der Emma-Appell gegen Prostitution und der Gegenappell „für Prostitution“
-- Der Emma-Appell:
http://www.emma.de/sites/default/files/upload/pdf/appell_emma_6_2013.pdf
-- Wikipedia-Artikel dazu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Appell_gegen_Prostitution
-- Appell für Prostitution:
http://sexwork-deutschland.de/politik/appell-fuer-prostitution/
-- Wikipedia-Artikel dazu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Appell_F%C3%9CR_Prostitution
Kein Lager, auf das zu schwören
Der Appell FÜR Prostitution negiert das Phänomen Zwangprostitution jedenfalls begrifflich: „Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung.“
Wenn aber Prostitution „Sex gegen Geld ist“ und wenn Vergewaltigung heißt, dass die sexuellen Handlungen gegen den Willen der vergewaltigten Person stattfinden (egal, ob der Täter und seine Helfershelfers der Vergewaltigten Geld dalassen oder nicht), so gibt es sehr wohl Zwangsprostitution: Dass Geld fließt und von der Vergewaltigten mangels greifbarer Alternativen auch angenommen wird, schließt Nicht-Freiwilligkeit nicht aus.
Eine Position jenseits Emmas Gleichsetzung von Prostitution und ‚Frauenkauf’/„Sklaverei“ einerseits und der Glorifizierung von Sexarbeit generell als „freie Wahl“ nimmt die Mädchenmannschaft-Autorin Anna-Sarah ein:
-- Jenseits von „choosing my choice“ und „käuflichem Geschlecht“ – feministische Debatten über Sexarbeit
„Die andere Seite der eingangs erwähnten Medaille ist es jedoch ebenso wenig: Nämlich unterkomplexer ‚I choose my choice’-Feminismus, welcher bestehende Machtverhältnisse ausblendet und jede Kontroverse auf eine Frage der ‚Freiwilligkeit’ eindampft. Die Idee, dass alles was Frauen tun, dufte, empowernd und immun gegen Kritik ist, solange sie es ‚sich so ausgesucht’ haben, ist für feministische Analysen nämlich auch nicht unbedingt weiterführend.“
Die Autorin des Artikels kommt auch in einer Sendung von Radio Bermuda Mannheim zum Thema „Prostitution und Sexarbeit in Mannheim“ zu Wort:
-- http://www.freie-radios.net/61396
Einer von einigen weiteren Texten bei der Mädchenmannschaft
-- Nicht nur Opfer: Sexarbeiter_innen von Helga
http://maedchenmannschaft.net/nicht-nur-opfer-sexarbeiter_innen/
Texte im Mädchenblog
Auch beim Mädchenblog, der im Rahmen der linken Blog-Community blogsport.de (und blogsport.eu) erscheint, wurden einige Artikel, die – beiläufig oder ausführlicher – auf das Thema „Sexarbeit“ eingehen, veröffentlicht. Aus letzter Zeit sind zu nennen:
-- Dodo wandte sich vor einem guten Jahr gegen die Klassifizierung von Sexarbeiterinnen als bloße „2. Klasse-Opfer“ von Vergewaltigungen:
Das „sei es doch ‚milieubedingt’. In anderen Worten, da geht es irgendwie okay. Sind ja nur Sexarbeiterinnen. Die müssen doch mit sowas rechnen. Und irgendwie ‚sind sie ja auch dazu da’, so die nicht allzu seltene Meinung – ein Klassiker‚argument’ für Prostitution ist immer noch ‚Ist doch besser, sie gehen zu Professionellen und leben da ihre Triebe aus, als daß sie wen vergewaltigen!’ Es wird ein Graben aufgemacht zwischen ‚guten Opfern’, die ins Bild passen, und ‚schlechten Opfern’, die irgendwie selbst daran schuld hätten, unserer Unterstützung nicht ‚würdig’ seien, ‚Schmuddelopfer’ sozusagen.“
(http://maedchenblog.blogsport.de/2013/02/26/keine-opfer-zweiter-klasse/)
-- Pia berichtete dort 2011 über Gentrifizierung und Sexarbeit und zitiert dabei auch den Aufruf für eine Kundgebung „Recht auf Straße – gegen Repression und Kriminalisierung in St. Georg“, die damals stattfand:
„Sexarbeit ist demnach als Arbeit anzuerkennen, die aufgrund unterschiedlichster Motive oder eben auch Zwangslagen – jenseits von Menschenhandel – ergriffen wird. Wer die Frage nach der Freiwilligkeit von Sexarbeit aufwirft, muss sich aber auch der Frage nach einer Freiheit der Wahl bezüglich der Lohnarbeit im kapitalistischen System widmen. Jenseits der vermeintlich ‚freien Berufswahl’ steht Lohnarbeit an sich überhaupt nicht zur Diskussion. Es entsteht ein gesellschaftlicher Zwang, welcher Lebensentwürfe jenseits von Lohnarbeit unmöglich macht.“
(http://rechtaufstrasse.blogsport.de/images/Rechtaufstrae.pdf)
Die Position der Gruppe Arbeitermacht
Die Gruppe Arbeitermacht veröffentlichte um den 8. März herum einen Artikel Bürgerlicher Feminismus und Prostitution. Der Artikel enthält durchaus vernünftige Positionen:
„Rechte für Sexarbeiter_innen zu fordern bedeutet für uns in erster Linie, die Frauen nicht als Opfer zu stigmatisieren, sondern sie als Frauen zu sehen, die eine (Lohn)arbeit gewählt haben, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Bedingungen sind in diesem Bereich oft besonders prekär, rechtlos und gesundheitsgefährdend. Davon abzugrenzen und gesondert zu diskutieren ist Zwangsprostitution, und im Zusammenhang damit auch Frauenhandel. Diese stellen klar Verbrechen und Vergewaltigungen dar und sind oft mit Sklaverei vergleichbar. Zwangsprostitution ist grundsätzlich abzulehnen und zu bekämpfen, dies steht nicht zur Diskussion.“
(http://arbeitermacht.de/ni/ni187fr/schwarzer.htm)
Auch Forderungen wie,
„Mindestlöhne, gleiche Löhne für Frauen, Öffnung von sog. ‚Männerberufen’, Arbeitszeitverkürzung und Aufteilung der Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder […, ] staatlich finanzierte Umschulungs- und Ausbildungsprogramme für Prostituierte […], die einen anderen Beruf ergreifen wollen.“
sind richtig. Freilich ändert dies nichts an dem grundlegenden Irrtum des Artikels, dass allein der Klassenwiderspruch ein Grund- oder Hauptwiderspruch heutiger Gesellschaften sei, und an der Irrtümlichkeit der daraus folgenden Gespensterjagd auf den sog. „bürgerlichen Feminismus“ (was jeden Feminismus meint, da in diesem marxistischen Diskurs jede Position, die besagte Haupt- oder Grundwiderspruchsthese nicht teilt, als „bürgerlich“ denunziert wird). Folglich soll es dann auch die „Arbeiterklasse“ sein, die für besagte Forderungen – einschließlich der „Öffnung von sog. ‚Männerberufen’“ für Frauen und „staatlich finanzierte Umschulungs- und Ausbildungsprogramme für Prostituierte […], die einen anderen Beruf ergreifen wollen“ – durchsetzt.
Frauen als Subjekte der einen und Prostituierte als Subjekte der anderen Forderung kommen im Diskurs der GAM nicht vor, was im Diskurs der GAM aber auch nur logisch ist, da Prostitution allein als Epiphänomen der kapitalistischen Verhältnisse und die bestehende Familienform allein als „bürgerliche“ analysiert wird (*).
„Die Prostitution ist dem Kapitalismus immanent. Sie stellt das Gegenmodell und gleichzeitig die Ergänzung zur bürgerlichen Ehe dar, welche überwiegend aus Gründen der (wirtschaftlichen) Sicherheit eingegangen wird und die menschlichen Bedürfnisse nach Sexualität nicht ausreichend befriedigt. Solange der Kapitalismus also, und mit ihm die Kleinfamilie als Mittel zur Sicherung des Privateigentums und zur Reproduktion einer bestimmen geschlechtlichen Arbeitsteilung nicht abgeschafft ist, solange die menschliche Sexualität nur in einer von der bürgerlichen Familie, Moral und Warenproduktion geprägten repressiven Form herausgebildet wird, bietet Prostitution den logischen Weg zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gegen Geld, die anderweitig nicht befriedigt werden können.“
- Prostitution gab es aber schon vor Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise (was freilich nicht den Umkehrschluss erlaubt, dass Prostitution ein omnihistorisches und nicht überwindbares Phänomen sei).
- Für die kapitalistische Produktionsweise ist der Tausch „Arbeitskraft gegen Geld“ charakteristisch, wobei der/die Arbeitskraftkäufer/in die mittels der Arbeitskraft erbrachte Dienstleistung bzw. das mittels der Arbeitskraft erzeugte Produkt an Dritte weiterverkauft und dabei einen Mehrwert realisiert. Wie die GAM oberflächlich bemerkt(*), aber analytisch nicht berücksichtigt, wird Sexarbeit aber oft von Solo-Selbstständigen – die dann von der GAM aber sofort als „kleinbürger[lich]“ aus ihrem politischen Horizont aussortiert werden – und nicht in einem Lohnarbeitsverhältnis erbracht.
- Die Ableitung der Prostitution allein aus dem Kapitalismus kann auch nicht erklären, warum – jedenfalls bisher – Sexarbeit eine weit überwiegend von Frauen ausgeübte und weit überwiegend von Männern konsumierte Dienstleistung ist.
- Ebenso findet auch in der sog. „bürgerlichen“ Familie gerade kein Tausch Lohnarbeit gegen Arbeitskraft statt, sondern die weit überwiegend weibliche Hausarbeit wird gerade unentlohnt („aus Liebe“ – so die patriarchale Ideologie) erbracht (und etwaige bestehende männliche Unterhaltspflichten sind gerade nicht als Lohn für konsumierte Hausarbeit konzeptioniert).
- Und die Machtposition in der sog. „bürgerlichen“ Familie haben auch nicht irgendwelche Kapitalist/innen, sondern Männer inne.
Diverse Stellungnahme gegenüber dem Bundesfrauenministerium
„Am 12.06.2014 fand im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Anhörung zum Thema ‚Regulierung der Prostitution’ statt.
Dem bufaS [Bundesverband der Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter] wurde neben vielen anderen Akteuren ein Fragebogen zur Beantwortung zugeschickt. Ebenso wurde er als sachverständiger Zusammenschluß eingeladen, an dem Gespräch teilzunehmen.
Antworten auf den Fragebogen und Stellungnahmen, die vorgestellt wurde:
bufas (Bundesverband der Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter)
BesD (Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleitungen)
BSD (Bundesverband sexuelle Dienstleistungen)
Ratschlag [Prostitution] Hamburg
LAG Männliche Prostitution NRW
DAH [Deutsche AIDS-Hilfe]“
Weitgehend hypothetische Diskussion bei lesarion:
‚Was würdest du von Lesben-Bordellen halten’?
Schließlich seien drei eher hypothetische Diskussionen über Sexarbeit von Frauen für Frauen bei der Lesben-Online-Community lesarion erwähnt:
-- Frauenpuff in Oberbayern (Eine userin fragte: „kennt Ihr einen – nur für Frauen??“)
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=320974&block=1
-- Lust (Eine Userin fragte: „Was haltet ihr von lesbischen Bordellen? Würdet ihr hin fahren und es in Anspruch nehmen?“; in der ersten Antwort sind „bereits bestehenden beiträge zu deinem thema“ erwähnt, aber nicht verlinkt)
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=375418&block=1
-- Lust – Teil 2
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=375495&block=1
Außerdem gab es dort um die vergangene Jahreswende vier ausführliche Diskussionen über den Emma-Appell gegen Prostitution:
-- „Prostitution – ein deutscher Skandal“
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=365213&block=1
-- Appell gegen Prostitution
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=364886&block=1
-- [mit gleichem Titel]
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=367376&block=1
-- Das habe ich mir ja ganz anders vorgestellt.
http://de.lesarion.com/forum/forum_antwort_ver3.php?id=366347&block=1
Einige Kritiken an Femen
Da sich die Emma bei ihrer Kampagne auch auf Aktionen Femen beruft (s. dort und dort) seien hier zum Schluss noch einige feministische Kritiken an Femen erwähnt:
-- Keine Solidarität mit FEMEN!
http://diss.blogsport.de/2013/02/08/keine-solidaritaet-mit-femen/
-- Offener Brief an Femen Germany
http://evibes.blogsport.de/2013/01/29/offener-brief-an-femen-germany/
-- Nein, nein, das ist nicht der Feminismus!
http://evibes.blogsport.de/2013/04/25/nein-nein-das-ist-nicht-der-feminismus/
-- Did Femen take over Feminism
http://www.mixcloud.com/evibes/did-femen-take-over-feminism/
-- Wer FEMEN nicht braucht: Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter_innen
(*) „Sexarbeiter_innen [nehmen …] durchaus unterschiedlichste Klassenpositionen ein. Als Angestellte in Bordellen stellen sie Lohnabhängige dar und sind stark von Stigmatisierung betroffen. Ein großer Teil der Sexarbeiter_innen ist auch selbstständig und dem Kleinbürgertum zuzuordnen."
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