Hausbesetzung in Wien
Ein Hausbesitzer bietet Punks vorübergehend kostenloses Wohnrecht. Dadurch sollen widerspenstige Altmieter aus dem Haus vertrieben werden. Doch der Plan geht schief: Mieter und Punks bleiben, die Polizei mobilisiert 1700 Beamte, um die Besetzer aus dem Haus zu holen.
Von Daniel Kortschak
Wer am Montagmorgen in der Nähe der Mühlfeldgasse 12 in Wien-Leopoldstadt unterwegs war, dürfte seinen Augen nicht getraut haben: weiträumige Polizeiabsperrungen, Dutzende Mannschaftswagen, ein Panzerfahrzeug und Wasserwerfer. Über den Häusern des zweiten Bezirks war stundenlang das Knattern eines Polizeihubschraubers zu hören. Ahnungslose Touristen, die zum nahen Freizeit- und Vergnügungspark Prater wollten, müssen sich gefühlt haben wie in einem Krisengebiet.
Anlass für eine der größten Polizeiaktionen der vergangenen Jahre war die Räumung eines seit drei Jahren von Punks besetzten Altbaus mit Wohnungen und einer ehemaligen Pizzeria im Erdgeschoss. Der Hauseigentümer, eine Immobiliengesellschaft, hatte ihnen seinerzeit von sich aus ein befristetes, kostenloses Wohnrecht angeboten. Offenbar, so vermuten Anwohner, hätten die verbliebenen Altmieter des Hauses dadurch zum Auszug motiviert werden sollen.
Ein aus Sicht des Eigentümers letztlich verhängnisvoller Plan: Einige Altmieter und zahlreiche Anwohner solidarisierten sich mit den Punks, die trotz eines gerichtlichen Räumungsbescheides im Haus blieben. "Freiwillig gehen wir nicht", lautete ihre unmissverständliche Botschaft.
Die Polizei mobilisierte daraufhin am Montag nicht weniger als 1700 Beamte aus mehreren Bundesländern, um die etwa zwei Dutzend Punks aus dem Haus zu holen. "Der Polizeieinsatz steht aus meiner Sicht in keinem Verhältnis zum Anlass. Hunderte Polizistinnen und Polizisten, ein Panzerwagen, Wasserwerfer, großräumige Absperrungen und Platzverbote verunsichern die lokale Bevölkerung. Dabei wäre Deeskalation angebracht", kritisierte der Wiener Grünen-Chef Georg Prack.
Die Polizei hingegen rechtfertigt das Großaufgebot mit der Gewaltbereitschaft der Hausbesetzer. Tatsächlich empfingen die Aktivisten die anrückenden Beamten mit Farbbeuteln, Flaschen und mit Fäkalien gefüllten Wurfgeschossen, ein Mann urinierte aus dem obersten Stockwerk des Hauses Mühlfeldgasse 12 auf die Polizisten. Als aus den Fenstern des Hauses Leuchtfackeln gehalten wurden, antwortete die Polizei mit einer massiven Ladung aus dem Wasserwerfer. Die Beamten zielten dabei direkt in ein geöffnetes Fenster.
"Lebensgefährliche Falle"
Um der Polizei das Vordringen ins Haus so schwer wie möglich zu machen, hatten die Besetzer den Hintereingang zubetoniert, zahlreiche Türen verschweißt und den Haupteingang mit alten Möbeln und Küchengeräten verbarrikadiert. Sperrgitter, die die Polizei am Vortag zur Abriegelung der von den Besetzern so genannten "Pizzeria Anarchia" herangeschafft hatte, waren für die Besetzer eine willkommene Verstärkung für ihre Barrikaden. Dass die Gitter unbewacht und ungesichert vor dem Haus abgestellt waren, sei ein "logistischer Fehler" gewesen, räumte ein Behördensprecher zerknirscht ein.
Die Polizei spricht indes von einer "Unzahl von Hindernissen und Barrikaden" die nur schwer zu räumen gewesen seien. Auch eine "lebensgefährliche Falle, bei der ein Herd aus großer Höhe auf die Einsatzkräfte fallen hätte sollen" sei im Haus errichtet worden, so die Landespolizeidirektion Wien in einer Pressemitteilung.
FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Jung zeigte sich darüber empört: "Ein zur äußersten Gewalt bereiter Mob bekämpft die Polizei mit allen Mitteln und nimmt dabei schwerste Verletzungen billigend in Kauf." Die Hausbesetzer hätten von "ihren Genossen aus Deutschland gelernt", wie man mit der Polizei Katz und Maus spielen könne, so der Rechtsaußen-Politiker.
Auch die Polizei war davon ausgegangen, dass die Wiener Aktivisten Unterstützung aus Deutschland bekommen könnten, etwa aus der Hamburger Hausbesetzer-Szene. Bis zu dreihundert Menschen hätten sich im Haus verschanzt, hieß es noch zu Beginn des Einsatzes. Mehr als zehn Stunden später wurden dann 19 Menschen aus dem Haus abgeführt. Von gewaltbereiter Unterstützung aus Deutschland keine Spur. Den Besetzern wird Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung vorgeworfen.
Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sich unter den den Dutzenden Demonstranten, die sich vor den Polizeiabsperrungen versammelt und mit den Besetzern solidarisiert hatten, der eine oder andere Deutsche war. Von den befürchteten Gewaltexzessen war bei diesen Protesten allerdings nichts zu bemerken. 12 Demonstranten wurden schließlich wegen Missachtung des polizeilichen Platzverbotes vorübergehend festgenommen. Sie erwartet nun eine Verwaltungsstrafe.
Wie schon bei den Protesten gegen den rechten Akademikerball im Januar wurde das Platzverbot auch diesmal wieder zeitweise gegen Journalisten angewendet, die über den Polizeieinsatz berichten wollten. Erst nach Protesten der Medienvertreter wurden sie wieder näher ans Geschehen herangelassen. Die Wiener Polizei betont hingegen, die Journalisten hätten stets die Möglichkeit gehabt, "sich im Aktionsraum zu bewegen".
Über die Kosten für den Großeinsatz der Polizei konnte deren Sprecher Roman Hahslinger am Abend nach dem Einsatz noch keine genauen Angaben machen. Experten gehen aber von zumindest 100 000 Euro aus. Eine Summe, die wohl aus der Staatskasse beglichen werden muss. Ein allfälliger Regress, etwa gegenüber dem Hauseigentümer, muss vom zuständigen Gericht geprüft werden. Derartige Forderungen gelten aber im Allgemeinen als schwer durchsetzbar.