Joachim Güntner Heute, 13. Juli 2014, 05:30
Weil Jeff Bezos seine Angestellten wie Roboter behandle, kürte ihn der Internationale Gewerkschaftsbund zum «schlechtesten Chef der Welt». Und Buchverleger und Literaturagenten schimpfen den Amazon-Chef «Erpresser» wegen der Art, wie er um Rabatte kämpft.
Kapitalismus ist Wettbewerb, und der kennt harte Bandagen. Soll man sich über den Online-Händler Amazon aufregen, wenn er versucht, eigene Kosten zu minimieren und Zulieferbetriebe nach seiner Pfeife tanzen zu lassen? Der Kulturbetrieb allerdings reagiert empfindlich, wenn es sich bei den drangsalierten Zulieferern um Buchverlage handelt, und Menschenfreunde mögen es gar nicht, niedrige Kosten durch Ausbeutung billiger Arbeitskräfte zu erzielen. Der weltgrösste Buchhändler muss aufpassen, nicht als böser Bube dazustehen. Seine Kritiker mehren sich.
Boykottaufrufe
Anfang 2013 geriet Amazons deutsche Geschäftsführung in die Schlagzeilen, weil eine Dokumentation der ARD ans Licht brachte, unter welchen Konditionen die für das Weihnachtsgeschäft eingestellten Aushilfen arbeiteten: Aus ganz Europa unter teilweise falschen Lohnversprechen von Zeitarbeitsfirmen angelockt, in beengten Verhältnissen untergebracht, bewacht von Sicherheitsdiensten mit Verbindungen in die rechtsradikale Szene, von einem Tag auf den anderen kündbar, verdingten sie sich für 9 Euro brutto die Stunde. So ein Arbeitstag im Auslieferungslager von Amazon ist auch für Festangestellte kein Zuckerschlecken: Auspacken, Einlagern, Entnehmen, Verpacken und Verschicken von Lagerware sind simple Tätigkeiten, aber das Tempo ist straff, die am Tag zwischen und auf den mehrgeschossigen Regalen zu Fuss zurückgelegten Wege betragen leicht zwanzig Kilometer, die Pausen sind eng getaktet, die Arbeitsprozesse fragmentiert und optimiert, so dass für Gespräche weder Raum noch Zeit bleibt.
In Spitzenzeiten stacheln eigens eingestellte «Motivatoren» die Teams zu forcierter Leistung an. Die Arbeiter nach dem Tarifvertrag des deutschen Einzelhandels zu vergüten, lehnt Amazon ab. Und da die Firma das Gros des Umsatzes mit deutschen Kunden über Luxemburger Gesellschaften abwickelt, zahlt sie in Deutschland, ihrem zweitwichtigsten Markt nach den USA, kaum Steuern. «Ein asoziales Unternehmen» sei das, liess sich ein prominenter Fernsehredaktor des WDR vernehmen, und Günter Wallraff verbot seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch, fürderhin seine Bücher an Amazon auszuliefern. Interessierte Kreise in der deutschen Buchbranche kolportieren Berichte, dass sich bereits eine Gegenbewegung gegen den Online-Giganten gebildet habe: Immer mehr Leser wendeten sich von Amazon ab und kauften ihre Bücher wieder im stationären Handel, heisst es. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels glaubt dies durch Umsatzstatistiken belegen zu können. Nicht ausgemacht ist, wie viel Wunschdenken dabei mitspielt.
In den Vereinigten Staaten kann man seit kurzem Aufkleber mit dem Spruch «I Didn't Buy It On Amazon» aus dem Netz herunterladen . Initiiert hat die Kampagne der Autor Stephen Colbert, dessen Bücher in der Verlagsgruppe Hachette erscheinen. Damit sind wir bei dem Streit angelangt, der Amazon in den letzten Wochen Negativschlagzeilen beschert hat und immer noch beschert. Der Online-Händler will von den Verlagen erzwingen, dass sie ihm für E-Books die gleichen Rabatte einräumen wie für gedruckte Bücher, rund fünfzig Prozent. In den USA hat er sich zur Statuierung eines Exempels Hachette, in Europa die Verlagsgruppe Bonnier vorgeknöpft, wodurch Häuser wie Ullstein, Piper, Carlsen oder der Berlin-Verlag betroffen sind. Auch DTV, Bastei Lübbe sowie Hoffmann und Campe sind mit der Forderung nach höheren E-Book-Rabatten konfrontiert.
Totalitäre Phantasien?
Bisher teilte man sich die Erlöse für digitale Publikationen im Verhältnis siebzig zu dreissig. Die Verlage argumentieren, dass sie den Anteil von 70 Prozent benötigen, weil E-Books billiger verkauft werden, die Honorare der Autoren aber mit 25 Prozent höher ausfallen als die bei Druckwerken üblichen Anteile von 7 bis 12 Prozent des Ladenpreises. Beide Seiten geben sich in dieser Frage unversöhnlich, da das Geschäft mit E-Books stetig wächst (wenn auch mit abnehmenden Steigerungsraten) und als Markt der Zukunft gilt. Um Druck zu machen, entschied sich Amazon, von Hachette und Bonnier weniger Titel fürs eigene Lager einzukaufen und von Kunden keine Vorbestellungen für noch nicht erschienene Novitäten anzunehmen. Der Effekt ist, dass die Bücher nur mit grosser Verzögerung erhältlich sind – was im Grunde dasselbe bedeutet, wie wenn Amazon diese Titel ausgelistet hätte. Über eine «brutale und manipulative Taktik» schimpft die Association of Authors Representatives (AAR), ein Verband amerikanischer Literaturagenten; von «Erpressung» spricht der deutsche Börsenverein und hat Kartell-Beschwerde eingelegt.
Den Schaden haben vorerst alle: die Verlage, die Autoren, die Kunden, und Amazon schneidet sich ins eigene Fleisch. In Anbetracht der Marktmacht, die der Internet-Riese mittlerweile besitzt , geht er freilich nur ein kalkuliertes Risiko ein. Dennoch wirft der harte Kurs die Frage nach der Zielsetzung auf: Wer so agiert, muss sehr starke Gründe haben. Rabattverhandlungen gehören zum Alltag zwischen Handelspartnern. Warum fällt Amazon diesmal so ins Extrem? Allein daran, dass der Konzern, der lange ein Hätschelkind der Wall Street war, seit Januar 17 Prozent seines Börsenwerts verloren hat, kann es nicht liegen. Verdächtigungen schiessen ins Kraut. Amazon wolle Verlage und Buchhändler überflüssig machen und «der einzige Intermediär» zwischen Autor und Leser werden, mutmasst Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins in Frankfurt. Dass dies Ziel illusionär ist, weiss Skipis sehr wohl. Noch eins drauf setzt der Zürcher Literaturagent Peter S. Fritz, wenn er in einer Radiosendung fragt, «ob es bei Amazon nicht irgendwelche totalitären Phantasien gibt».
Totalitäre Ambitionen, wie muss man sich das vorstellen? Malen wir für einmal das Szenario einer tiefschwarzen Zukunft: In dieser unschönen neuen Bücherwelt hätte Amazon, ungeachtet aller Kartellbehörden, eine Monopolstellung errungen. Nennenswerte Konkurrenz durch andere Händler würde nicht mehr existieren. E-Books läse man nur noch auf Amazons Gerät Kindle, das, wie man weiss, allein «proprietäre Formate» zulässt, Inhalte, die der Kunde ebenfalls bei Amazon erworben hat. In einem komplett geschlossenen System hielte der Online-Riese alle Glieder der Wertschöpfungskette in der Hand, nur die Urheber, zuständig für «content», würden noch als Externe gebraucht. Schon heute versucht sich Amazon als Verlag, wenn auch mit kläglichem Erfolg, und bietet überdies Plattformen an, wo Autoren den Selbstverlag probieren können.
Nehmen wir einmal an, es gelänge, den Verlagen die Mehrheit aller Schriftsteller und Publizisten abspenstig zu machen, und beim gefrässigen Moloch Amazon liefen alle Fäden der Buchbranche zusammen. Nun schlüge das Monopol auf die geistige Produktion und Rezeption durch und träte in seine «totalitäre» Phase ein. Amazon, der in seinem Profitinteresse das Kulturgut Buch nicht anders als Haushaltsgeräte oder Kosmetik behandelt, würde bestimmen wollen, was wir lesen, dafür aber nur ein einziges Kriterium kennen: den Absatz. Die konkrete Selektion bliebe Algorithmen überlassen. Da Vorlieben und Leseverhalten der Kindle-Benutzer transparent sind, lassen sich ihre Daten abschöpfen: Welche Stoffe «ziehen», welche Themen und Autoren führen umgekehrt dazu, dass der Leser das E-Book rasch wieder aus der Hand legt? Die Produktepalette hätte sich an dem messbaren Kundenverhalten zu orientieren. Am Ende, so die düstere Prognose, bestünde das literarische oder überhaupt künstlerische Angebot nurmehr aus dem Einheitsbrei des Gefälligen.
Einer zahlt immer die Zeche
Es mag ein jeder selbst ermessen, wie triftig solche Visionen sind. Doch selbst in ihnen erscheint, näher betrachtet, Amazon nicht als Tyrann, sondern als populistischer Herrscher, der den Mainstream kanalisiert und die Geschmäcker lenkt, um bessere Geschäfte zu machen. Die Furcht vor seinen Algorithmen ähnelt der guten alten Kulturkritik an Massenkonsum und konformistischer Verblödung. Amazons Kundenorientierung «totalitär» zu nennen, wirkt überzogen. Aber auch so bleibt manches an seinen Praktiken anstössig. Vor allem wäre daran zu erinnern, dass kundenfreundlich und menschenfreundlich nicht dasselbe sind. Für die Dumpingpreise oder die bequeme Lieferung frei Haus, welche den preisbewussten Kunden erfreuen, zahlt immer irgendwo jemand die Zeche, sei es ein Hersteller, der seine Ware nicht mehr reell kalkulieren kann, sei es ein mies entlohnter Dienstleister. Relentless.com – «unerbittlich» bzw. «gnadenlos» – hatte Amazons Gründer Jeff Bezos seine Firma ursprünglich nennen wollen.