„Reichsbürger“ auch in Baden-Württemberg aktiv

Reichsbuerger-Pulli

In der Kritik an den neuen „Montagsmahnwachen für den Frieden“ und ihren rechten Tendenzen wurden sie in letzter Zeit immer wieder erwähnt: Die „Reichsbürger“, eine seltsam anmutende Strömung der extremen Rechten, die selbsternannten Gegenregierungen angehören. In ihrem reichlich verschrobenen Weltbild existiert das „Deutsche Reich“ fort und ist die Bundesrepublik 'illegitim'. Unbemerkt von der kritischen Öffentlichkeit treiben auch in Baden-Württemberg diverse reichsbürgerliche Gruppierungen ihr Unwesen. So firmiert u.a. die „Reichsbürger“-Organisation „Germanitien“ unter einer Adresse in Heilbronn bei Stuttgart.

Reich-lich rechts - Was sind „Reichsbürger“?
Antifa-Gruppen haben sie kaum auf dem Schirm oder schenken ihnen im Gegensatz zu NPD und den Kameradschaften nur wenig Aufmerksamkeit. Zu skurril und lächerlich wirken die verschiedenen „Reichsbürger“-Gruppen. Allen „Reichsbürgern“ gemeinsam ist, dass sie die aktuelle Bundesregierung, die Bundesrepublik und deren Behörden als illegitim betrachten. Für sie handelt es sich dabei lediglich um eine „Firma“, ein „Besatzerprodukt“ oder die „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft-BRD“, kurz OMF-BRD. Stattdessen, so ihre Überzeugung, existiere das „Deutsche Reich“ weiter, wahlweise geht es dabei um das deutsche Kaiserreich oder das „Dritte Reich“. Entsprechend sind auch die Grenzvorstellungen der „Reichsbürger“-Gruppen. Eine Mehrheit beansprucht mindestens die so genannten „Deutschen Ostgebiete“ für ihr Reich, also das was bis 1945 Ostpreußen, Hinterpommern, Schlesien und Ost-Brandenburg war. Diese Vorstellung teilt aber nicht eine einzige Gruppe, sondern es gibt inzwischen Dutzenden von ihnen. In der Szene herrscht damit eine Art von „reichsbürgerlichen Kleinstaaterei“. Ständig werden neue Staaten und Reichsregierungen ausgerufen.
Das Konzept erinnert ein wenig an eine Folge der beliebten US-Comedy-Serie „Big-Bang-Theory“, in der Ober-Nerd Sheldon die WG von ihm und seinem Mitbewohner Lennart zu einem souveränen Staat erklärt, um künftig keine Steuern mehr zahlen zu müssen.
Doch stecken hinter den „Reichsbürgern“ eindeutig extreme Rechte. Jan Freitag, Politikwissenschaftler von der Uni Chemnitz, analysiert: „Wenn man aber ein bisschen hinter die Fassaden schaut, erkennt man doch relativ schnell, dass sie auch Verschwörungstheorien verfolgen, revisionistische Ansatzpunkte, die auch dem Rechtsextremismus entstammen, auch völkische Elemente versuchen mit aufzunehmen und meist auch gewisse antisemitische Elemente in ihre Ideologie integrieren.“

Obwohl sich das „Reichsbürgertum“ sehr 'strange' ausnimmt, wäre es falsch, diese Strömung der extremen Rechten zu ignorieren. Zum einen geht von einzelnen „Reichsbürgern“ eine gewisse Gefahr aus. Waffenfunde bei Hausdurchsuchungen, sowie Bedrohungen und sogar einzelne Geiselnahmen offenbaren das gefährliche Potenzial. Immer wieder drohen die „Reichsbürger“gruppen ihren (vermeintlichen) Feinden beispielsweise mit Todesstrafen.
Zum anderen erfreut sich die „Reichsbürger-Ideologie“ in der traditionellen Nazi-Szene steigender Beliebtheit und sorgt gleichzeitig für eine Politisierung der verschwörungstheoretischen Szene. Im Grunde handelt es sich ja um eine Verschwörungsfantasie, allerdings eine explizit extrem rechte. 
 
"Reichsbürger" in Baden-Württemberg
Über die Strukturen von „Reichsbürgern“ in Baden-Württemberg ist nur wenig bekannt. Hier einmal das wenig bekannte:
* Es gibt zum einen die Gruppe „Deutsches Reich Heute“ unter Führung Matthes Haug aus Bebenhausen bei Tübingen.
* Die Reichsbürger-Gruppe „Volks-Hilfe Deutsches Reich“ gibt an über Ableger in Karlsruhe, Lörrach, Ravensburg, Stuttgart und Schwäbisch Gmünd zu verfügen. Mutmaßlich handelt es sich dabei aber lediglich um Einzelpersonen.
* Weiterhin gibt es einen baden-württembergischen Ableger der Gruppe „Neubeginn“, die zur Neudeutschland-Gruppe um Peter Fitzek aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt gehört. Dem direkten Umfeld von Fitzek ist auch David Bilger aus 73669 Lichtenwald zuzurechnen, Leiter des „NeuZeit-Magazin“. Der baden-württembergische Ableger der Gruppe verfügte zeitweise über eine eigene Räumlichkeit in Geislingen.
* Die „Reichsbürger“-Organisation „Freies Deutschland“ verfügt nach eigenen Angaben über „Bürgerbüros in Fellbach, geleitet von Matthias Reckzeh, in Benningen, geleitet von Arnold Arndt, und in Breisgau, geleitet von Kay Lüders.
* Ein Michael Hübner ist der Verantwortliche der „Reichsbürger“-Gruppe „Deutsche Nationalversammlung“ für Baden-Württemberg. 

Eine unvollständige Chronik „reichsbürgerlicher“ Aktivitäten in Baden-Württemberg zeigt, dass es auch Veranstaltungen in Baden-Württemberg stattfinden:
* Am 16. Februar 2006 referierte der „Reichsbürger“ Matthes Haug aus Tübingen-Bebenhausen in Umkirch bei Freiburg vor 19 Personen. 
* Ein „Volks-Bundesrath“ der „Reichsbürger“bewegung traf sich am 18. Oktober 2008 zum ersten Mal im Gasthaus „Zur Traube“ in Wendlingen.
* Der, der Reichsbürger-Szene zuzuordnende, Stefan Andreas Görlitz (ehemals ein Vorstands-Mitglied der „Interim Partei Deutschland“) wollte am 29. Oktober 2008 im TSV-Sportheim von Balingen-Frommern zum Thema „Aktuelle Rechtslage in Deutschland - Die Selbstbedienungsrepublik“ referieren. Als den Verantwortlichen diese Hintergründe bekannt werden untersagen sie kurzfristig die Veranstaltung. Eine vorbildliche Reaktion!
Lokale Ansprechpartner der „Reichsbürger“-Partei „Interim Partei Deutschland“ (IPD) wären laut Zeitungsbericht ein Jürgen Scheck und ein Roland Eberhard gewesen.
* Am 14. Februar 2009 fand im „Seminarhaus Gernsbach“ im gleichnamigen Ort ein Vortrag der Reichsbürger-Gruppierung „Volks-Hilfe“ statt.
* Am 26. Februar 2009 fand im Gasthof „Stern“ in Frickenhausen bei Stuttgart der Vortrag „Lass los und lebe“ des Arbeitskreis „Volks-Hilfe“, einer Gruppe aus der „Reichsbürger“-Szene, mit 15 bis 20 Teilnehmern statt.
* Am 28. Februar 2009 fand im Bereich Schwäbisch Gmünd die 19. Tagung der „Reichsbürger“-Vereinigung „Volks-Bundesrath“ statt.
* Am 12. Mai 2009 fand der Vortrag „Deutschland unter Fremdverwaltung“ im „Satyagraha-Zentrum“ in Stuttgart-Feuerbach statt, der von Personen aus dem „Reichsbürger“-Spektrum abgehalten und organisiert wurde.
* Am 23. Mai 2010 fand im Raum Schwäbisch Gmünd die 21. Tagung der „Reichsbürger“-Gruppe „Volks-Bundesrath“ statt.
* Der Reichsbürger-Guru Peter Fitzek hielt am 25. Januar 2013 in Geislingen einen Vortrag.
* Am 30. Juni 2013 fand im Restaurant „Namaskar“ in Stuttgart - Bad Cannstatt die Gründungsveranstaltung des Landesverbandes Baden-Württemberg der „Reichsbürger“-Gruppe „Deutsche Nationalversammlung“ statt. 
* Am 7. Juli 2013 soll im „Großraum Mannheim“ eine Vorstellung der „Reichsbürger“-Gruppe „Deutsches Polizeihilfswerk“ stattgefunden haben.
* Am 11. Juni 2014 soll im Ristorante L'Andora in Unterreichenbach-Dennjächt im Landkreis Calw ein Informationstreffen der Reichsbürger-Gruppe „Germanitien“ stattgefunden haben.
* Am 18. Juni 2014 fand im „House of Companies“ in Talheim bei Heilbronn ein Informationstreffen der Reichsbürger-Gruppe „Germanitien“ statt.

„Germanitien“ in Heilbronn
In der Ausgabe vom Juni 2013 ihres Newsletters verkündet die 2011 gegründete „Reichsbürger“-Organisation „Germanitien“, dass sie ihre Zentrale nach Heilbronn verlegt hätte. Schon zuvor gastierte das „Außenministerium des Staates Germanitien“ unter der Adresse Meisenweg 10 in 72589 Westerheim. Nun scheint die Gruppe ihren Hauptsitz an diese Adresse verlegt zu haben. „Präsidentin“ von „Germanitien“ ist die aus Schorndorf  stammende Ulrike Maria Kuklinski. Auch das Ehepaar Uwe Charlotte Wezel-Krause aus Westerheim gehört zu dem selbsternannten Staat.
Für Baden-Württemberg fand sich früher zudem noch ein Sascha Herman Weikert aus Reutlingen als „Diplomat“ des „Staates Germanitien“.
Die aktuelle Kontaktadresse ist ein Postfach in Heilbronn, was offenbar von Ulrike Maria Kuklinski und Ronald Franz Gerhardy verwaltet wird. Letztgenannter ist auch der Domain-Inhaber der Gruppe.