Die Pizzeria Anarchia ist eine von vielen weltweiten Initiativen und Bewegungen, die gegen Verdrängung und eine immer umfassendere Umstrukturierung der Stadt nach Profitinteressen eintreten, und versuchen, dem solidarische und unabhängige Strukturen und Praxen entgegenzusetzen. Am 28. Juli droht ihr die Räumung. Im Folgenden ein zuerst in der Malmoe erschienener Text aus der Pizzeria über das Projekt, Wohnraumverdrängung, Solidarität und internationale Perspektiven.
In letzter Zeit wurde es heiß rund um den Pizzaofen und in der ganzen Stadt. Die Pizzeria Anarchia in der Mühlfeldgasse 12 kämpft seit mehr als 2 Jahren gegen ihre Räumung und vor allem die Vertreibung der Altmieter_innen und Nachbar_innen. Nun steht der Termin der geplanten Räumung jedoch fest: es ist der 28. Juli 2014! Wir rufen deshalb zur gemeinsamen Solidarität, Unterstützung und Protest auf!
Wir, die bunten Insass_innen, sind die Geister die sich die Immobilienhaie selsbt gerufen haben, um die widerständigen Altmieter_innen zu vertreiben. Diese weigerten sich vehement, ihre Wohnungen zu verlassen, um Umbauarbeiten und hohen Mietpreisen Platz zu machen. Die Vertreibungsaktionen des Hauseigentümers waren unmenschliche Sabotage und psychischer Druck, aber Pizzapunks und Altmieter_innen haben sich solidarisch verbündet und kämpfen nun gemeinsam für Wohnraum und ein gerechtes Leben. Dieser Fall der Vertreibung von Altmieter_innen ist leider nur einer von vielen und in allen von Gentrifizierung betroffenen Wohnvierteln alltäglich.
Revolution starts at home
Doch auch im Inneren des Hauses wird es oft ganz schön heiß. Revolution starts at home. Und Aufgaben des Lebens, wie gemeinsames Kochen, Vorbereitung der offenen Pizzasonntage, Instandhaltungsarbeiten und schlichtweg das alltägliche Zusammenleben können immer wieder neue Herausforderungen sein. Wir kämpfen für unsere kleine Welt, genauso wie gegen die Ungerechtigkeit dort draußen. Wir können Hierachie, Dominanz, Diskriminierung und Ungerechtigkeit nur erkennen und bekämpfen, wenn wir bei uns und den verinnerlichten Normen beginnen. Durch Konsensfindungen, Diskussionen, Plena, Aktionen und freie Gefühlsausbrüche versuchen wir mit den Challenges umzugehen.
Wir stehen für die Andersartigkeit und für die Vielfalt an Versuchen. In unserem Haus, auf unserer Straße, in unserer Nachbar_innenschaft und in unserer verdammten ganzen Stadt.Scheinbar ist das den Mächtigen und der Politik, ein Dorn im Auge und widerständiges und nichtsystemkonformes Leben wird systematisch an die Randbezirke vertrieben. Politisch geplant wurde in den letzten Jahren versucht, Obdachlose, Drogenabhängige, Sexarbeiter_innen Refugees und alle nicht kapitalorientierten Initiativen aus der Stadt zu drängen. Höchste Lebensqualität, Kulturhauptstadt,... aber kein Platz für Wagenplätze, freie Maler_innen, Lebenskünstler_innen, Arbeitslose, besetzte Räume, und autonomes Leben?
Eine Pizza ist keine Insel
Gegen diese Verdrängungsprozesse regt sich in den letzten Jahren an vielen Orten Widerstand. In Spanien beispielsweise gibt es seit ein paar Jahren eine starke Bewegung gegen Zwangsräumungen, die schon viele Räumungen verhindert hat. Teils verweigert die Feuerwehr die Kooperation beim Aufbrechen der Türen, an vielen Orten besetzen zuvor geräumte Familien gemeinsam leer stehende Häuser. Auch in Berlin hat sich im Laufe der letzten eineinhalb Jahre Widerstand gegen Zwangsräumungen aufgebaut. Die meisten Blockadeversuche selbst sind gescheitert. Aber vor allem durch einen Blockadeversuch im Februar, bei dem trotz über 800 Polizisten samt Hubschrauber rund 1000 Menschen gekommen waren, und durch den zwei Tage auf ihre Zwangsräumung folgenden Tod von Rosemarie im April, sind das Thema und die Initiative derart öffentlich geworden, dass es schon in vielen Fällen geklappt hat, Räumungen im Vorfeld durch Aktionen und öffentlichen Druck abzuwenden.
Die Proteste rund um die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien haben eine ihrer Wurzeln im Widerstand gegen die mit dem Großevent einhergehende großflächige städtische Umstrukturierung, bei der größtenteils ärmeren Leute ihr Wohnort mit Bulldozern, Schlägerbanden, Gummigeschossen und scharfer Munition genommen wird, um profitableren Bebauungen Platz zu machen.
Auch die am Gezi Park entfachten sozialen Unruhen rund um den Taksim Platz in Istanbul letzten Sommer waren unter anderem ein Kulminationspunkt vieler kleinerer Kämpfe gegen Verdrängung aus der zunehmend durchkapitalisierten Stadt, sowie gegen die zunehmende Arroganz und Brutalität der politischen und ökonomischen Eliten. Es waren Proteste für ein besseres, selbstbestimmtes Leben.
In Wien haben sich in den letzten Jahren diverse Brüche aufgetan: der Kampf gegen die Bebauung am Augartenspitz, Wagenplätze, Hausbesetzungen, Proteste gegen steigende Mieten, Ansätze besserer Vernetzung innerhalb mancher Grätzel, Thematisierung einzelner Brennpunke wie Karlsplatz und neuer Hauptbahnhof. Ein “Recht auf Stadt”-Netzwerk ist im Entstehen.
Für die kommende Zeit ist es wichtig, diese Anfänge zu stärken und zu verbinden, und nicht der Repression und Verdrängung zu weichen. Das Amerlinghaus wird gerade von der Stadt weggekürzt, das TüWi soll diesen Sommer abgerissen werden, und die Wagenplätze werden alle paar Monate zum Umzug gezwungen.
Solidarisieren
Mit der geplanten Räumung der Pizzeria am Morgen des 28. Juli soll nun wieder ein unliebsamer und widerständiger Ort einer profitableren Lösung weichen: dem Aufbau von zwei Stockwerken plus Dachgeschossausbau und der Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen. Ein weiterer Schritt, um die bis vor kurzem noch eher leistbare Gegend rund um den Praterstern für Menschen mit wenig oder keinem Einkommen unbewohnbar zu machen.
Das zu verhindern, haben sich die Bewohner_innen der Mühlfedgasse und viele Unterstützer_innen vorgenommen. Und deshalb wird auch dazu aufgerufen, zur Räumung zu kommen, am besten schon am Tag zuvor, und sich der Durchsetzung von Eigentumsinteressen durch den Staat solidarisch entgegenzustellen.
Besetzt Häuser, lebt wild und gefährlich!
Ein paar Leute aus der Pizzeria Anarchia