Preise steigen, Mieten sollen gebremst werden. Der
€uro-am-Sonntag-Test der 100 größten Städte Deutschlands zeigt, was der
Immobilienboom für Käufer, Mieter und Vermieter bedeutet.
von Markus Hinterberger
Wolfgang Köbler ist nicht verrückt. Doch viele Menschen würden ihn für verrückt halten. Denn der Nürnberger will sich von Wohnungen trennen - und das in einer Zeit, in der das ganze Land über fehlenden Wohnraum, Mietwucher und immer weiter steigende Immobilienpreise diskutiert.
"Warum nicht?", fragt der gelernte Banker, der nun gemeinsam mit drei Kollegen die unabhängige KSW Vermögensverwaltung führt, und hat auch gleich die Antwort auf seine Frage parat: "Die Preise sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, die Mieten aber nicht im gleichen Umfang. Und wenn denn die Mietpreisbremse wie geplant kommt, werden die Mieten lange nicht die Steigerungen der Preise nachvollziehen können."
Wenn Köbler von Verkaufen spricht, meint er einen Altbau mit denkmalgeschützter Fassade im Nürnberger Stadtteil Gostenhof. Ein ruhiger Stadtteil, viele Altbauten. Nur die vielen Satellitenschüsseln an den Hauswänden, viele Autos älteren Baujahrs auf den Parkflächen und eine heruntergekommene Eckkneipe geben einen Hinweis, dass hier nicht viele Gutverdiener wohnen.
"Viele kennen das Quartier zwischen Altstadt und Bahngleisen noch als Glasscherbenviertel", sagt Köbler. Doch er und sein Mandant, den er beim Verkauf des Zehnparteienanwesens berät, können für das Haus gut eine Million Euro verlangen, nahezu das 19-Fache der jährlichen Mieteinnahmen. Eigentlich ist in Nürnberg das 16- bis 17-Fache der Jahresmiete üblich.
Der Grund für den auf den ersten Blick hohen Wunschpreis heißt Datev. Der Steuer- und IT-Dienstleister baut im Stadtteil Gostenhof einen neuen Campus für mehr als 1.800 Mitarbeiter. "Und die wollen in der Nähe wohnen", sagt Köbler. Daher stünden schon jetzt Baufirmen Schlange, um Mietshäuser zu kaufen, entsprechend zu sanieren und teuer zu vermieten oder zu verkaufen. Das könnte man mit dem Haus zwar auch machen, aber das wären wieder hohe Kosten, und Köbler glaubt nicht, dass sich das rechnet.
Nürnberg ist zwar nicht München, wo selbst die günstigsten Wohnungen nicht unter 3500 Euro den Quadratmeter verkauft werden, aber die größte Stadt im Norden Bayerns ist das Zentrum einer Wirtschaftsregion, in der rund 1,5 Millionen Menschen leben und immer neuer Zuzug die Preise treibt. Inzwischen werden laut dem Portal Immobilienscout24 für eine Wohnung im Bestand im Durchschnitt 2351 Euro pro Quadratmeter fällig. Für Neubauten dürften es einige Hunderter mehr sein. Seit 2013 sind die Preise um knapp elf Prozent gestiegen. Die Mieten liegen im Schnitt bei 7,85 Euro pro Quadratmeter, sie sind allerdings nur um 2,2 Prozent gestiegen.
Köbler will die Gewinne mitnehmen, obwohl Nürnberg wirtschaftlich gut dasteht. Hat also ein Vermögensverwalter aus Nürnberg recht, oder liegen die unzähligen Deutschen, die derzeit eine Immobilie, ob als Eigenheim oder als Renditeobjekt, suchen, falsch?
Ein geteiltes Land
Erklärungsversuche für den Boom gibt es viele. Die Bundesbank etwa macht die Angst der Deutschen vor den Niedrigzinsen dafür verantwortlich. Da die Zinsen auf Spareinlagen auf einem Rekordtief sind, fließt immer mehr Kapital in das sogenannte Betongold. Andererseits macht die Niedrigzinsphase Kredite günstig wie nie (siehe rechts). Das treibt viele Menschen in Immobilien. Ein Blick in die Statistiken von Immobilienportalen oder in die Wohnungsmarktberichte der Gutachterausschüsse zeigt: Es gibt nicht "den" deutschen Immobilienmarkt. Deutschland ist, was Wohnen angeht, geteilt. Auf der einen Seite die Städte und Landstriche, in denen die Preise und langsam, aber stetig auch die Mieten steigen. Das sind derzeit grob gesagt Hamburg, Berlin, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Nürnberg und das jeweilige Umland. Dazu kommen das Rhein-Main-Gebiet, fast die gesamte Region Baden sowie Oberbayern, wo München einen solchen Sog ausübt, dass sogar dort, wo keine S-Bahn mehr hinfährt, die Preise steigen. Das tun sie im übrigen Deutschland zwar auch, aber selten in der Breite.
Der Check: Was Käufer anlockt
"Menschen wollen dort leben, wo es Arbeitsplätze gibt", sagt Reiner Braun, Geschäftsführer des Immobilien-Marktforschungsinstituts Empirica. Was also macht eine Stadt attraktiv? Für Reiner Braun sind es die LILA-Lagen: "Entscheidend sind die Faktoren Lebensqualität, Infrastruktur, Landschaft und - eigentlich an erster Stelle - Arbeits- und Ausbildungsplätze." Sind alle diese Faktoren im grünen Bereich, wird eine Stadt oder Region vom demografischen Wandel sogar profitieren. Denn bis 2050 nimmt die Zahl der Menschen, die hierzulande leben, von aktuell rund 82 Millionen auf rund 65 Millionen ab, diese werden sich aber immer stärker auf einige Ballungszentren konzentrieren.
Die Frage, ob in einer Stadt in Zukunft auch noch genauso viele oder gar mehr Menschen als bislang leben werden, stand auch im Zentrum des €uro-am-Sonntag-Städtetests (Tabelle in der Euro am Sonntag Ausgabe 20/2014). Die Redaktion hat die 100 größten Städte Deutschlands untersucht, um herauszufinden, wo es sich lohnt, eine Immobilie zu kaufen, und wo es sinnvoller ist, eine Immobilie zu mieten. Das Ergebnis: In 52 Städten lautet das Urteil "Kaufen", in 48 Städten "Mieten".
Bei den "Kaufen"-Städten handelt es sich durchweg um Standorte, in denen die Einwohnerzahl wächst oder nur leicht sinkt und in denen nicht zu viel gebaut wird. Hierzu hat Empirica exklusiv für die Redaktion einen Knappheitsindikator errechnet. Er setzt die Zahl der Wohnungsneubauten der Jahre 2008 bis 2012 ins Verhältnis zur Zahl der wahrscheinlich bis 2030 benötigten Wohneinheiten. In den "Kaufen"-Städten ist das Verhältnis ausgewogen.
Wo man lieber verkaufen sollte
Bei den "Mieten"-Städten gibt es zwei Gruppen. Zum einen sind das Städte wie etwa Zwickau, Essen oder Gelsenkirchen, wo Preise und Mieten kaum steigen und die Einwohnerzahl sehr stark abnimmt. In Zwickau werden 2030 statt der heute gut 94.000 nur noch gut 75.000 Menschen leben. Hinzu kommt, dass in diesen Städten verhältnismäßig viel gebaut wird. Das bedeutet, immer mehr Wohnungen werden leer stehen. Die Mietrendite, also der Ertrag, den Wohnraum im Verhältnis zum Kaufpreis bringt, ist in diesen Städten zwar hoch, aber trügerisch, denn das Risiko, keinen Mieter zu finden, ist hoch.
Das Urteil "Mieten" bedeutet bei diesen Städten auch, dass Immobilienbesitzer sich zumindest mittelfristig mit dem Gedanken befassen sollten, ihre Immobilie zu verkaufen. Es sei denn, das Anwesen liegt in einer absoluten Toplage, denn die werden auch in schrumpfenden Städten immer gefragt sein.
Welche Städte zu teuer sind
Ganz anders ist die Situation in Städten wie München oder Konstanz. Diese erhielten ebenfalls das Urteil "Mieten", aber deshalb, weil die Immobilienpreise bereits zu hoch sind. Anleger können hier nur noch Mietrenditen unter vier Prozent erzielen, das bedeutet, dass sie nach Abzug von Steuern, Instandhaltungskosten und Inflation Gefahr laufen, Geld zu verlieren. Die Mieten haben bislang mit dem Anstieg der Preise kaum mitgehalten. Die Daten zur Bevölkerungsentwicklung und der Knappheit sind positiv, aber diesen Städten droht ihr wirtschaftlicher Erfolg zum Verhängnis zu werden. Münchens Stadtverwaltung muss Wohnraum schaffen, um das Preisniveau zu senken. Schon berichten die ersten ortsansässigen Unternehmen, dass Bewerber Jobs ablehnen, weil sie zu viel ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben müssten.
Vermieter verdienen weniger
Insgesamt zeigt die Auswertung, dass die Mietrenditen im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind. Den größten Schwund gab es in den Städten, in denen die Preise für Wohnraum am deutlichsten gestiegen sind. Das stärkste Plus verzeichnet Wolfsburg. Hier stiegen die Preise um ein Fünftel, die Mietrendite sank um 0,42 Prozentpunkte. Der Preisschub hängt zweifelsohne vom Erfolg des heimischen Volkswagen-Konzerns ab. Unter den weiteren Städten mit zweistelligen Zuwachsraten finden sich Augsburg, Erlangen, Fürth, Ludwigsburg und Mainz. In diese Städte weichen nun zunehmend Menschen aus, denen es in München, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt zu teuer geworden ist.
Der Reiz von Bergisch Gladbach
Die "Gewinner" der €uro-am-Sonntag-Auswertung sind daher auch Städte aus dieser zweiten Reihe. Ganz vorn liegt Bergisch Gladbach. Nur Potsdam wird prozentual stärker wachsen als die östliche Nachbarstadt von Köln. Hinzu kommt, dass - anders als in Potsdam - die Preise noch moderat sind und verhältnismäßig wenig gebaut wird. Ähnlich verhält es sich in Heilbronn. Die Stadt am Neckar ist ebenfalls noch günstig für Käufer und wird künftig moderat wachsen. Richtige Geheimtipps, wo Vermieter hohe Renditen erzielen könnten, sind diese Städte aber auch nicht mehr. Genauso wie Leipzig und Dresden, die in der Riege der Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern ganz vorn landen.
Dieses Ergebnis deckt sich mit den Ansichten professioneller Investoren. Sie richten ihren Blick auf die Randzonen der Ballungsräume. "Eine Alternative sind die sogenannten B- Lagen und B-Städte", sagt Robert Stolfo, der für den Immobilienmanager Invesco Real Estate in München das Immobiliengeschäft leitet. Er rät, die Prognosen für den Standort genau zu studieren. Doch auch in den B-Städten sinken die Renditen. Die Zeiten hoher, sicherer Mietrenditen sind - zumindest für Anleger, die jetzt noch einsteigen - vorbei.
Eingriffe der Politik
Einen weiteren Dämpfer für Vermieter dürfte die Mietpreisbremse bedeuten. Sie ist ein Herzenswunsch der SPD und fest im Koalitionsvertrag verankert. Sie soll in angespannten Wohnungsmärkten dafür sorgen, dass die Mieten bei Neuvermietungen nicht um mehr als zehn Prozent über den Vergleichsmieten liegen dürfen. Kritiker monieren nicht zu Unrecht, dass die Bremse Gutverdienern nutzt. Denn ein Vermieter sucht sich, wenn er die Wahl hat, im Zweifel den Bewerber mit höherem Einkommen. Bürgermeister der betroffenen Kommunen - dazu zählen fast alle Städte mit mehr als einer halben Million Einwohner - befürchten zudem, dass Hausbesitzer künftig nicht mehr investieren und dass die laut Bundesregierung in Ballungsräumen benötigten 825.000 Wohneinheiten daher nie entstehen werden. Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft schlagen deshalb vor, andere Anreize zu gewähren, etwa indem man die Abschreibung erhöht, sodass vermietete Immobilien steuerlich interessanter werden.
Verwirrende Antworten
Kürzlich hat die Postbank eine Studie zur Frage "Wo kaufen und wo eher mieten?" veröffentlicht. Doch die Antwort auf die Frage ist irreführend. Die von Deutschlands größtem Darlehensgeber beauftragten Forscher verglichen die durchschnittlichen Kaufpreise und Mieten der 402 deutschen Landkreise und kreisfreien Städte mit den vor Ort üblichen Durchschnittseinkommen. Das Ergebnis: Während sich die Bewohner strukturschwacher Regionen eher eine Immobilie leisten können, sollten Bewohner der boomenden Ballungsregionen eher mieten. Das Problem: Wer sich im Saarland oder Cottbus heute eine Immobilie kauft, wird wahrscheinlich bereits in zehn Jahren weniger für das Anwesen bekommen, als er es gekauft hat. In 20 oder 30 Jahren wird sich dieser Effekt noch weiter verschärfen.
Droht eine Blase?
"Hierzulande verlangen die Banken viel Eigenkapital, und das bringen die meisten Käufer mit", sagt Immobilienscout-Experte Kiefer. Sollten die Zinsen aber steigen, sieht Kiefer vor allem Probleme für solche Käufer, deren Finanzierung "auf Kante genäht ist". Insgesamt sieht er Übertreibungen nur in engen Märkten wie etwa München, wo schlechte Objekte überteuert angeboten werden. "Hier ist der gesunde Menschenverstand des Käufers gefragt."
Reiner Braun sieht ebenfalls noch keine Blase. "Der Anstieg der Immobilienpreise ist weiterhin ungefährlich: Mieten, Preise und Einkommen steigen vielerorts weiter im Gleichklang, und es droht weder ein Überangebot an Wohnungen noch eine Aufblähung des Volumens an Wohnungsbaukrediten", so Braun. Doch die Daten verschlechtern sich: Tendenziell müssen in den zwölf größten Städten des Landes Käufer immer mehr für Eigentum zahlen. Ein Überangebot an Wohnungen, das eine Immobilienblase perfekt machen würde, vermag Braun aber nicht zu erkennen. Das klingt beruhigend.
Wer bereits eine Immobilie in einer der "guten" Regionen besitzt, hat die wenigsten Sorgen, vielmehr die Wahl: Er kann das Anwesen behalten und auf Wertsteigerung und unter Umständen auf höhere Mieten hoffen oder die Gewinne mitnehmen, wie es Wolfgang Köbler im Sinn hat. Dann stellt sich aber die derzeit nicht ganz leicht zu beantwortende Frage "Was tun mit dem Geld?".
Investor-Info
Wo kaufen?
Wer eine Wohnung oder ein Haus kaufen will, sollte zunächst auf die gesamte Stadt oder die Region schauen und sich folgende Fragen stellen: Nimmt die Bevölkerung eher zu, stagniert sie oder entvölkert sich der Landstrich? Gibt es in der Umgebung genügend Arbeits- und Ausbildungsplätze? Erst dann lohnt sich ein Blick in das Viertel und die Straße. Gibt es dort eine ausreichende Infrastruktur? Wie ist die Sozialstruktur des Quartiers? Zuletzt ist die Lage des Hauses wichtig. Auch wenn das Viertel an sich spitze ist: Steht das Haus an einer stark befahrenen Straße, ist es automatisch weniger wert, und die erzielbaren Mieten sind sehr wahrscheinlich niedriger als im übrigen Viertel.
Dies gilt übrigens sowohl für Käufer als auch für Vermieter. Getreu dem Satz: Kaufe nur die Wohnung, in der du auch selbst gern wohnen würdest.
Die Kosten
Die Rechnung vieler Eigenheimkäufer "Die Miete von heute ist die Rate von morgen" ist falsch. Sowohl Selbstnutzer als auch Investoren, die mit der Miete einen Großteil der Rate bedienen, brauchen stets Rücklagen für Reparaturen oder für den Fall, dass etwa energetische Sanierungen Pflicht werden. Wer einen Kredit abschließt, sollte erstens genügend - also mindestens 20 Prozent - Eigenkapital mitbringen, zweitens sich unabhängig beraten lassen und mehrere Angebote vergleichen sowie drittens die richtige Laufzeit wählen. Dabei gilt: Je niedriger das Zinsniveau, desto mehr lohnt es sich, die Zinsen langfristig zu sichern, beispielsweise auf 15 oder 20 Jahre. Sind die Zinsen nach zehn Jahren Kreditlaufzeit noch günstiger geworden, kann der Darlehensnehmer kündigen und umschulden, ohne eine teure Vorfälligkeitsentschädigung zahlen zu müssen. Wer sich nicht lange binden will, sollte das Geld, das er durch die niedrigeren Zinsen spart, für eine höhere Tilgungsrate nutzen.
Achtung: Beim Kauf kann eine Immobilie durch Notarkosten (1,0 bis 1,5 Prozent des Kaufpreises), Maklercourtage (je nach Bundesland bis sechs Prozent) und Grunderwerbsteuer (je nach Bundesland bis 6,5 Prozent) bis zu 14 Prozent teurer werden.
Wer sollte nicht kaufen?
Rate, Hausgeld und Nebenkosten sollten nie mehr als 40 Prozent des Nettoeinkommens des Haushalts ausmachen. Liegen die Kosten darüber, sollte man entweder seine Ansprüche an die Größe und Ausstattung der Immobilie zurückschrauben oder weiterhin mieten. Wer nahe an dieser Grenze finanziert, sollte seine monatliche Belastung etwa mit einer langfristigen Zinsbindung sichern, damit keine Überraschungen drohen.