Für die Freiheit von Chiara, Claudio, Mattia, Niccolò und für die Freiheit aller. Für die Luft, das Wasser, die Erde und die Gesundheit des Susatals, Italiens und der Welt. Gegen die obszöne Anklage des Terrorismus.
Turin, 10. Mai. Gegen die Rache des Staates, für Gerechtigkeit. Mit Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò, für uns alle.
Um sich dem Appell anzuschließen, sendet eine Email mit eurem Vor- und Zunamen an appello10maggio@gmail.com
Auch wir werden am 10. Mai in Turin sein, um unserer Solidarität zu Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò Ausdruck zu verleihen.
Chiara, Claudio, Mattia, Niccolò. Es ist wichtig, die Namen zu wiederholen, denn wir sprechen über 4 Leben, 4 Menschen, 4 No TAV-Aktivisten, die sich seit dem 9. Dezember 2013 in Haft befinden, verteilt auf die Gefängnisse von Alessandria, Ferrara und Rom, wo sie in Hochsicherheitstrakten (AS2) untergebracht sind.
Für uns wie für die Bevölkerung des Susatals sind diese Gefangenen Schwestern und Brüder, Teil der Gemeinschaft, die sich seit über 20 Jahren einem unnützen und unsinnigen „Großprojekt“ widersetzt, einer von mafiösen Strukturen durchzogenen und umweltzerstörenden Maschinerie, Geld und Gebirge verschlingend, die den Menschen mit bornierter Arroganz und autoritären Methoden aufgezwungen wird.
Für uns ist es einfach und selbstverständlich, Position zu beziehen. Aber auch wer sich noch nie über diese Bewegung informiert hat und wem suggeriert wurde, sie mit Misstrauen zu betrachten, sollte aufhorchen angesichts dessen, was hier geschieht. Es geht um eine größere Angelegenheit, die droht, immer mehr um sich zu greifen und immer mehr Personen zu betreffen. Der oder die du dies liest, wie kannst du dir sicher sein, dass dich diese Sache nicht betrifft? Wie das lateinische Motto besagt: «de te fabula narratur». Womöglich erzählt die Geschichte ja von dir.
Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò werden für Terroristen ausgegeben; mit knapp über 20 Jahren riskieren sie 30 Jahre Gefängnis. Der Prozess beginnt am 22. Mai. Wessen werden sie exakt angeklagt?
Sie werden angeschuldigt, an einer Aktion teilgenommen zu haben, während der ein Luftkompressor beschädigt wurde. Das heißt ein lebloses Gerät. Ein Gerät aus Metall und Drähten.
In jener Nacht wurde weder ein Polizist noch ein Arbeiter der TAV-Baustelle im mindesten in Mitleidenschaft gezogen.
Die Anklage auf Terrorismus und die Sicherheitsverwahrung stützen sich auf den Art. 270 sexis des Strafgesetzbuchs, der vor 9 Jahren in eins der vielen „Sicherheitspakete“ verpackt wurde, die vermeintlich zur Beruhigung der öffentlichen Meinung dienen sollten. Es war der Juli 2005, kurz nach den Attentaten auf die Ubahnlinien in Madrid und London.
Im gleichen Jahr verzeichnete die No TAV-Bewegung ihren ersten großen Erfolg, als sie den Beginn der Baustelle zum Probetunnel , der seinerzeit in Venaus vorgesehen war, blockierte. Scheinbar hat dies nichts miteinander zu tun, aber eben doch, denn im Art. 270 sexies steht (kursiver Druck von uns): «Als Handlungen zu terroristischen Zwecken werden solche angesehen, die aufgrund ihrer Art oder Umstände einem Land oder einer internationalen Organisation schweren Schaden zufügen können und die mit dem Ansinnen ausgeführt werden, die Bevölkerung einzuschüchtern oder die öffentliche Hand oder eine internationale Einrichtung zu zwingen, eine Rechtshandlung durchzuführen oder sich dieser zu enthalten[...]»
Da die No TAV-Bewegung die kolossale Geldverschwendung durch den TAV Turin-Lyon verhindern will, kann jegliche Initiative in diesem Sinne als „zu terroristischen Zwecken“ gedeutet werden.
Eben aus diesem Grund kann niemand vor dieser Anklage sicher sein.
Nach dem Dafürhalten zweier Staatsanwälte und eines Ermittlungsrichter der Staatsanwaltschaft Turin haben Chiara, Claudia, Mattia und Niccolò versucht, „den Ruf Italiens zu schädigen“.
Ebendies, nochmals zur Wiederholung: „das Image Italiens zu schädigen“.
Welches Italien sollen die No TAV, denen ein Prozess bevorsteht, in seinem Image geschädgt haben?
Ist das Italien, das die Gerichtsbarkeit von den No TAV „diffamiert“ sieht, etwa das der Würde, der Solidarität, der demokratischen Teilhabe? Oder eher das eines bestimmten „Fortschritts“, der nur der zwielichtigen Geschäftswelt zuspielt, der Symbiose aus Parteien und kriminellen Clans, der suspekten Auftragsvergaben, der auf Erpressung und eingeschränkten Rechten beruhenden Arbeitswelt, der Gifte und Umweltzerstörung?
Was wir hier beschreiben ist nur die Spitze einer Strategie, die die Staatsanwaltschaft Turin seit geraumer Zeit anwendet. Aktivisten, die des Stalkings angeklagt werden oder Umweltschützer wegen „Fehlalarms“, junge Menschen wegen Freiheitsberaubung, Bürgermeister, die dazu verurteilt werden, astronomische Ziffern zu bezahlen, monatelange Haft für die Nichteinhaltung einer Versiegelung, Prozesse, die in Bunkersälen abgehalten werden…
Der Anspruch, einem politischen und technischen Problem wie das des Bahnprojekts Turin-Lyon mittels gerichtlicher und polizeilicher Repression entgegenzutreten, bringt immer verheerendere Folgen mit sich. Verheerend nicht nur für ein ziviles Zusammenleben, sondern vor allem für 4 junge Menschen, die riskieren, ihre Jugend im Gefängnis zubringen zu müssen, weil jemand beschlossen hat, den Widerstand des Susatals unter einem eisenbeschlagenen Stiefel zu zerquetschen.
Wenn die Unterbringung der 4 Inhaftierten in Hochsicherheitstrakten sie beugen und die No TAV-Bewegung zum Wanken bringen sollte, können wir mit Sicherheit sagen, dass das Ziel verfehlt ist.
Die Isolationshaft, die weit über die Zeit des Ermittlungsverfahrens hinausgeht und damit Art. 33 des Strafvollzugsgesetzes und Art. 3 der europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, hat ihr Ziel verfehlt.
Auch die drastische Kürzung des Hofgangs, die Zensur der Post, die Reduzierung der Besuchszeiten (Genehmigungen nur für engste Familienangehörige, d.h. nicht für PartnerInnen und Lebensgefährten), haben nichts bewirkt.
Nicht einmal die Kriminalisierung durch die Medien hat den gewünschten Effekt bewirkt.
Aus den Gefängnismauern haben Chiara, Claudio, Mattia und Niccolò Briefe geschrieben, die nie von Resignation sprachen, die oft ironisch, provokatorisch und spritzig waren. Sie haben zu noch mehr Repression, Isolierung und Essverbot für sich aufgerufen, sie haben zu ihrer Verteidigung „meinen Cousin, der mich wirklich gern hat“… in den Zeugenstand gerufen. Dulcis in fundo haben sie empfohlen, Dudù, den Hund von Berlusconi, der von der Staatsanwaltschaft erstellten surrealen Liste der „Kläger“ hinzuzufügen.
Einer Liste, die ohne geringstes humoristisches Anliegen die Europäische Kommission, den Ministerrat, das III Regiment der Alpenjäger von Pinerolo, die Carabinieri von Sestriere, die P.S. (eine Polizeieinheit) von Imperia , die Finanzwachbehörden von Turin usw. umfasst.
Am 10. Mai gehen wir auf die Straße.
Zur Unterstützung der echten „Klägerseite“ .
Für die Freiheit von Chiara, Claudio, Mattia, Niccolò und für die Freiheit aller.
Für die Luft, das Wasser, die Erde und die Gesundheit des Susatals, Italiens und der Welt.
Gegen die obszöne Anklage des Terrorismus.
In Turin, um 14:00, auf der Piazza Adriano.
Wir sind dabei.
Erste Unterzeichner: Marco Aime (Anthropologe und Schriftsteller) - Paolo Cacciari (Journalist) - Pino Cacucci (Schriftsteller) – Massimo Carlotto (Schriftsteller) - Giulietto Chiesa (Journalist) - Girolamo De Michele (Schriftsteller) - Valerio Evangelisti (Schriftsteller) - Sabina Guzzanti (Schauspielerin und Regisseurin) - Loredana Lipperini (Journalistin, Moderatorin von Fahrenheit) - Valerio Mastandrea (Schauspieler und Regisseur) - Maso Notarianni (Journalist-Peace Reporter) - Alberto Prunetti (Schriftsteller) - Serge Quadruppani (Schriftsteller) – Edoardo Salzano (Urbanist) – Vauro Senesi (Editorialist und Karikaturist) - Cecilia Strada (Leiter von Emergency) - Guido Viale (Wirtschaftswissenschaftler) - Wu Ming (Schriftstellerkollektiv) – Zerocalcare (Comiczeichner)
Zur Unterzeichnung des Appells unter Angabe des Vor- und Zunamens an appello10maggio@gmail.com schreiben.
Die Liste der Unterzeichner wird stets aktualisiert:
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