Das Regime in Ägypten unter Sisi geht immer brutaler gegen Andersdenkende vor. Das zeigen die Hunderte von Todesurteilen gegen Muslimbrüder, aber auch die Repression gegen demokratisch gesinnte Kräfte wie die Jugendbewegung «6. April». Handelte es sich bei diesen Massnahmen lediglich um die Knebelung und Knechtung des Volkes durch autoritäre Herrscher, so wäre das zwar trist genug, aber es bestünde immerhin die Hoffnung, dass die Unterdrückten irgendwann aufbegehren würden. Leider liegt der Fall in Ägypten anders. Es sieht nämlich ganz danach aus, als ob die breite Bevölkerung den harten Kurs gegen die Muslimbrüder, aber auch andere «Abweichler» durchaus goutiert, ja geradezu giert nach Lynchjustiz. Es handelt sich bei diesen überstürzten Urteilen bar jeglicher seriösen juristischen Abklärung offenbar um durchaus mehrheitsfähige Entscheide mit einer breiten Akzeptanz. In diesem Sinne kann man nicht von undemokratischem Vorgehen sprechen. Zweifellos wird Sisi – bewundernd «der Löwe» genannt – bei den Präsidentschaftswahlen für sein hartes Vorgehen belohnt werden.
Zutiefst undemokratische Massnahmen, von der Mehrheit getragen. Ein Volk, das nach mehr Repression schreit. Reichlich desillusionierend für alle, die in den Kundgebungen von Anfang 2011 die ersten Schneeglöckchen eines «arabischen Frühlings» erblickten. Ägypter, die damals auf dem Tahrir-Platz ihre Fäuste gegen Mubarak in die Luft reckten, jubeln heute dem neuen Pharao Sisi zu. Gibt es in Ländern wie Ägypten nur die Wahl zwischen islamistischen und säkularen Autokraten? Feinere, demokratische und liberale Zwischentöne gehen heute zwischen religiösen und militärischen Parolen unter. Wer vermittelnde Töne anschlägt, wird als Verräter oder Spion verdächtigt oder der Diffamierung des Staates angeklagt.
Die Bereitschaft der Ägypter, einem Mann ohne politische Bildung und Erfahrung, dafür mit einer imposanten Uniform nachzulaufen, wenn er es nur versteht, Autorität auszustrahlen und Stabilität und Sicherheit zu versprechen, deutet nicht auf baldige grundlegende Reformen der Gesellschaft hin. Gut möglich, dass die Bürger auch Sisi wieder davonlaufen, sobald er die hochgeschraubten Erwartungen nicht erfüllt. Vielleicht füllt sich dann der Tahrir-Platz wieder mit Millionen von «Wutbürgern». Aber man wird diese Empörung nicht mehr so rasch als grosses zivilgesellschaftliches Erwachen bejubeln wie noch vor drei Jahren.