Interview mit Andrej Hunko (gerade Donezk) über die Situation im Osten der Ukraine
Sie sind derzeit in Donezk, wie wir ihrer Facebook-Seite entnommen haben. Wie stellt sich die Situation dort dar? Wie viele Menschen protestieren vor Ort und was sind ihre Forderungen?
Ich war gestern vor dem besetzten Gebäude der Gebietsverwaltung, das mit zwei Reihen von Barrikaden abgeriegelt ist. Dort hielten sich vielleicht 300, 400 Menschen auf. Hinter der ersten Barrikade habe ich mit einigen gesprochen. Die Sorge ist sehr groß, was die gegenwärtige Regierung in Kiew angeht. Zum einen erkennen sie die Regierung in Kiew nicht an. Sie sagen, sie ist illegitim, eine Regierung unter Einbindung von Nationalisten und Faschisten.
Aber vor allem die soziale Frage spielt eine große Rolle. Die staatlichen BergarbeiterInnen haben seit vier Monaten keinen Lohn erhalten und machen Kiew dafür verantwortlich. Das Gehalt der LehrerInnen wurde von 2000 auf 1200 Hrywnja (also nicht einmal 80 Euro) gesenkt. Dem stehen Erhöhungen der Gaspreise um 70 Prozent und der Energiepreise um 40 Prozent gegenüber.
Wie ist die Zusammensetzung der Demonstranten? Handelt es sich in erster Linie um antifaschistische Kräfte oder russische Nationalisten oder gar Putins Agenten, wie die hiesige Presse ja wissen will?
Die große Mehrheit in Donezk ist skeptisch gegenüber der Politik der EU und Russlands. So sind etwa 20 Prozent für einen Anschluss an Russland – mit abnehmender Tendenz. Aber rund 70 Prozent wollen ein Referendum über mehr Autonomie, also eine föderale Struktur für die Ukraine. Also es ist nicht so, dass es vor allem prorussische Separatisten sind, oder gar Terroristen. Es geht hier vor allem um Dezentralisierung. Von Militärs oder Agenten im Auftrage Putins auszugehen, ist sicherlich zu einfach, nur weil einzelne Russen auch führende Rollen übernehmen. Nach meinen Eindruck sind die Menschen hier keine russischen Nationalisten und zielen eher nicht auf den Anschluss an Russland, sondern suchen eine Lösung in der Ukraine.Mit der einseitig ausgerichteten Regierung scheint diese aber kaum möglich. Als die Maidan-Bewegung in Kiew Gebäude besetzte, wurde das auch im Westen überwiegend als legitim angesehen. Und hier findet eine Umkehrbewegung statt, vielleicht nicht ganz so breit wie in Kiew. Genau wie zuvor von Janukowitsch wird ihnen jetzt vom De-facto-Präsidenten Turtschinow wieder der Stempel des Terrorismus aufgedrückt. Und diesmal wird sogar die Armee eingesetzt, doch der Westen ruft nicht zu einer politischen Lösung auf, sondern akzeptiert die “Lösung” mit Gewalt. Das ist sehr problematisch und ich finde, man sollte zur Deeskalation zurückkehren.
Gestern hat die Putsch-Regierung in Kiew ihre “Antiterroroperation” begonnen, erste Nachrichten von Toten gibt es bereits. Befürchten die Menschen in Donezk einen Angriff rechter Gruppen und des ukrainischen Militärs?
Ja, und das ist auch nachvollziehbar. In einer benachbarten Stadt soll es einen ersten Militäreinsatz gegeben haben. Und die frisch ausgehobene Nationalgarde, die eingesetzt werden soll, rekrutiert sich im wesentlichen aus kampferprobten Maidan-Aktivisten, die dem Rechten Sektor angehören oder nahestehen.
Die Situation sieht im Moment sehr gefährlich und kompliziert aus. Gibt es einen möglichen Lösungsansatz? Was ist von der Ankündigung des Übergangspräsidenten zu halten, im Mai ein Referendum ansetzen zu wollen?
Wenn die Ankündigung nicht nur eine taktische Nebelkerze sein sollte, wäre eine ernsthafte Diskussion begrüßenswert. Die konkrete Forderung hier lautet, die Ankündigungen zu beenden und endlich einen konkreten Beschluss zum Referendum zu fassen. Die genaue Formulierung einer Fragestellung kann man aber nicht politisch diskutieren, wenn zeitgleich ein gewalttätiger Einsatz der Nationalgarde und des Militärs in der Ost-Ukraine durchgezogen werden sollte.
Konnten Sie mit Anarchisten oder Kommunisten vor Ort sprechen? Und wenn ja, was ist deren politische Strategie im Moment?
Die Kommunistische Partei war leider entgegen meiner Forderung kein offizieller Gesprächspartner der Bundestagsdelegation, obwohl die Angriffe auf sie skandalös sind. Aber in Donezk konnte ich am Eingang des besetzten Platzes mit Mitgliedern der KP sprechen, die dort ihre Infostände haben. Leider waren die Sprachbarrieren für vertiefte Diskussion aber zu hoch. Insgesamt ist die Linke in der Ukraine gespalten und über die politische Strategie wird diskutiert: Ein Teil ist gegen die Maidan-Bewegung, ein anderer dafür. Letzterer Flügel hatte mich für das Wochenende zu einer Konferenz eingeladen, an der auch einige GewerkschafterInnen teilnahmen.
Zu dem Flügel, die dagegen sind, gehört die Gruppe Borotba, eine linke Abspaltung des Kommunistischen Jugendverbandes. Mit einigen ihrer VertreterInnen habe ich mich am Sonntag auch getroffen. Nach ihrer Einschätzung sind die Ereignisse in der Ukraine durchaus mit dem Vorgehen des Westens in Libyen, in Venezuela oder in Syrien vergleichbar: Es gehe um den Regime Change, die Ereignisse seien ein Resultat der US-Strategie. Andere sehen aber auch optimistisch auf neue Möglichkeiten für Graswurzel-Bewegungen unter dem Slogan der “sozialen Revolution”. Ich bin froh, dass wir VertreterInnen aus beiden Spektren am 28. Mai in Aachen begrüßen können. Wenn der De-facto-Ministerpräsident Jazenjuk anlässlich der Karlspreisverleihung auftritt, bieten wir den linken Stimmen aus der Ukraine ein Forum auf unserer Gegenveranstaltung.
# Andrej Hunko ist Bundestagsabgeordneter der Partei die Linke und beschäftigt sich seit längerem mit der Ukraine, gerade hält er sich im Osten des Landes auf. Zuvor war er bereits im Rahmen einer Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Wahlbeobachtung in der Ukraine.
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