[Gö] Aufruf zur Demo am 30.4. "Etwas besser ist nicht gut"

etwas besser ist nicht gut redical m goettingen

Am 30. April findet in Göttingen eine feministische und antikapitalistische Demo unter dem Motto: "Etwas besser ist nicht gut - Geschlechterverhältnisse. Kapitalismus. Abschaffen" statt. Mittwoch, 30.4.2014 | 18 Uhr | Campus

 

Aufruf zur Demonstration am 30. April 2014 in Göttingen

 

Im Jahr 2014 erscheint Deutschland einigermaßen an der Krise vorbei geschrammt und munter geht es weiter im kapitalistischen Alltag. Dass dieser Alltag das Leben der meisten Menschen zu einer einzigen Krise macht, verbleibt als scheinbar unabänderliche Nebenwirkung. Gelegentliches Aufflammen kleiner Proteste, ein paar Verbesserungsvorschläge hier, ein paar Reformen da und wieder neue Kürzungen, mal an dieser, mal an jener Ecke – die Räder drehen weiter.

So muss es nicht bleiben. Wenn etwas besser ist, ist es noch lange nicht gut. Dann stimmt etwas grundsätzlich nicht und dann muss das Grundsätzliche geändert und etwas Neues erschaffen werden. So wie der Kapitalismus von Menschen gemacht ist, so kann er auch von den Menschen abgeschafft werden.

Vergleicht man die Bedingungen, unter denen die Menschen überleben müssen, mit dem was technologisch und gesellschaftlich möglich ist, dann fällt auf, dass die Reproduktion der eigenen Existenz für die meisten Menschen permanent krisenhaft verläuft. Weniger abstrakt gesprochen: Stress durch Arbeit, genussfreies Essen, Vereinzelung, Mobbing und Konkurrenz, Geldsorgen, miese Wohnung, kein Kita-Platz, Zukunftsängste, Zeitdruck und immer noch mehr Scheiße – alles Zumutungen, die eine Woche zum Spießrutenlauf werden lassen. Solche Zumutungen erscheinen oftmals als individuelle Probleme, mit denen man dann individuell kämpfen muss. Dabei hängen sie davon ab, wie eine Gesellschaft organisiert ist.

Große Teile linker Bewegungen haben ihre Kritik an den Zumutungen dieser Gesellschaft lange Jahre auf den Bereich der Produktion fokussiert und so mit dazu beigetragen, den Bereich der Reproduktion unsichtbar zu halten. Reproduktion ist all das, was Menschen tun müssen, um am nächsten Tag, im nächsten Monat und in der nächsten Generation wieder für Lohnarbeit zur Verfügung zu stehen. Irrtümlicher Weise wird das häufig als »Freizeit« bezeichnet. Denn, wie die meisten Menschen aus dem eigenen Alltag wissen, ist die lohnarbeitsfreie Zeit alles andere als frei: Es muss gekocht, eingekauft, geputzt, Kinder müssen aufgezogen und für sich und andere gesorgt werden. Es muss sich auch psychisch arbeitsfähig gehalten werden, also relaxen, lästern, joggen, saufen etc.

Historisch wurde die Verantwortung für die Reproduktion den Frauen* zugeschrieben. Sie seien von Natur aus dafür vorgesehen und ausgestattet, um in der bürgerlichen Kleinfamilie die gute Seele zu spielen. Einfühlsam, emotional, passiv, monogam – dies seien Eigenschaften einer Frau*. Dass das Patriarchat im Kapitalismus genau diese Form und nicht eine andere angenommen hat, ist kein Zufall, sondernverknüpft mit gesellschaftlichen Entwicklungen, mit der Durchsetzung der kapitalistischen Warenproduktion Ende des 18. Jahrhunderts.

Lohn gibt es im Kapitalismus nicht für bedürfnisbefriedigende oder -orientierte Tätigkeiten. Lohn gibt es nur, wenn sich jemand findet, der jemandem eine Tätigkeit abkauft und mit der Anwendung der gekauften Arbeitskraft einen Profit machen kann. All die für das Überleben notwendigen Tätigkeiten, mit deren Ausübung sich kein Profit machen lässt, muss irgendwer unbezahlt erledigen. Da passt eine Ideologie gut, in der die Hälfte der Menschheit – die Frauen – von Natur aus oder, je nach Geschmack, von Gott angeblich dafür vorgesehen ist, diese Tätigkeiten unter Selbstaufgabe und durch Zurückstellung der eigenen Bedürfnisse auszuüben.

In der bürgerlich-patriarchalen Familie muss der Lohn des Mannes* für Frau* und Kinder ausreichen. Reproduktionstätigkeiten werden also nur indirekt entlohnt und führen dazu, Frauen* in materieller Abhängigkeit ihrer Männer* zu halten. Das hat zu viel Verzweiflung und Schrecken und in Folge dessen auch zu vielen Kämpfen geführt. Der Lohn, den ein Unternehmen für die Reproduktion des Lohnarbeiters* samt Frau* und Kindern bezahlt, ist Abzug vom potentiellen Profit des Unternehmens. Klar, dass die Unternehmen getrieben von der Konkurrenz um Marktanteile ein Interesse daran haben, möglichst wenig Geld für die Reproduktion der Menschen zu verplempern. Die Reproduktion ist also immer prekär und umkämpft.

Heutzutage werden Teile der Reproduktionssphäre selbst warenförmig organisiert. Das heißt, dass z.B. Pflegeheime oder Krankenhäuser von privaten Unternehmen betrieben werden, die damit Profit erwirtschaften wollen. Um die Kosten niedrig und den Profit hoch zu halten, orientiert sich somit auch die Pflege von Menschen nicht an deren Bedürfnissen, sondern am Geld. Dieser Kostendruck führt zu unfassbarem Elend – sowohl auf Patient*innen- also auch auf Lohnarbeiter*innen-Seite, in Pflegeheimen wie in Krankenhäusern. Ordentliche Pflege und Gesundheit sind damit zu Luxusgütern verkommen, die sich nur die Wenigsten leisten können.

150 Jahre globaler feministischer Kämpfe haben in den Metropolen dafür gesorgt, dass immer mehr Frauen* aus der direkten materiellen Abhängigkeit vom jeweiligen Mann* entlassen sind. Das ist zwar ein großer Erfolg, doch frei von Abhängigkeiten sind Frauen* auch heute nicht. Im Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts dürfen Frauen* zwischen materieller Abhängigkeit von Ehemann, Staat oder Arbeitsmarkt auswählen. Das führt oft zu einer aufreibenden Doppelbelastung, müssen Frauen* doch in „modernen“ Zweiverdiener-Beziehungen in der Produktion „ihren Mann stehen“, nur um dann zu Hause nach wie vor für die reproduktiven Tätigkeiten zuständig zu sein.

Die bürgerliche Forderung nach formaljuristischer Gleichstellung von Mann* und Frau* bietet keine feministische Perspektive. Ziel des Feminismus bleibt die reale Abschaffung der Kategorie Geschlecht in allen gesellschaftlichen Bereichen – ökonomisch, sozial, politisch. Nur ohne diese Kategorie kann Benachteiligung aufgrund von Geschlecht überwunden werden. Im Kapitalismus bleibt das unmöglich, einen emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf ohne feministische Ausrichtung gibt es nicht.

Am 1. Mai gehen überall auf der Welt Menschen auf die Straße, um für ein besseres Leben zu kämpfen, und um die Kämpfe, die sie den Rest des Jahres über führen, sichtbar zu machen. In Deutschland hört man immer wieder die üblichen Appelle an die Regierung, sie solle doch bitte mehr Geld für Soziales, für Kindergärten, für Krankenhäuser, für Bildung locker machen und – achja – vor allem die Löhne müssten auch mal wieder steigen.

So richtig und verständlich solche Forderungen nach konkreten Verbesserungen sind, eigentlich kann man es besser wissen: Der Staat ist die falsche Adresse, denn er hat überhaupt nicht den Zweck das gute Leben für die Menschen zu garantieren. Der Staat hat als erstes ein Interesse an sich selbst. Um selbst möglichst gut in der globalen Konkurrenz der Standorte dazustehen, ist es für ihn unerlässlich, den Rahmen für eine möglichst starke Nationalökonomie zu schaffen. Die Steuern, die der Staat einnimmt, werden dafür eingesetzt, um der eigenen Wirtschaft einen Konkurrenzvorteil auf dem Weltmarkt zu verschaffen. Was das nun ist, das den Staat möglichst gut dastehen lässt, ob eine modernere Infrastruktur oder kostenlose Kindergartenplätze, eine stärkere Binnennachfrage durch höhere Renten, Löhne und Sozialleistungen oder billigere Arbeitskräfte durch geringere Löhne und Sozialabgaben, das ist nicht ausgemacht und zentraler Gegenstand der bürgerlichen Politik.

Am individuellen Wohlergehen der Menschen hat der Staat kein Interesse, nur an seinem Subjektcharakter als Staatsbürger*. Erst wenn die Reproduktion der lohnabhängigen Klasse als Ganzes das Fortkommen des heimischen Kapitals gefährdet oder die Kämpfe der Lohnabhängigen selbiges tun, sieht sich der Staat zum Handeln gezwungen – davor können die Menschen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Den Staat daran erinnern zu wollen, dass es den Menschen nicht gut geht, scheint daher ein Holzweg zu sein.

Sicher ist nur: Das gute Leben für alle Menschen, für das wir am 30. April erneut auf die Straße gehen, steht in der vom Staat vorgegeben Form des Politischen notwendigerweise nicht auf der Tagesordnung. Denn was gut für den Standort ist, hat häufig verheerende Folgen für Menschen.

Für das gute Leben ist eine grundlegende gesellschaftliche Transformation nötig. Was heißt das?

Es reicht nicht aus, für Verbesserungen innerhalb des gegebenen Rahmens dieser Gesellschaft zu kämpfen und die Prinzipien, die die permanente Krise in der Reproduktion erzeugen, dabei stillschweigend hinzunehmen.

Wir wollen alle Verhältnisse umwerfen, »in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Für eine Gesellschaft, in der die Trennung von Produktion und Reproduktion und die damit zusammenhängende Konstruktion von Geschlechtern aufgehoben ist! Für eine Gesellschaft, in der die zur Bedürfnisbefriedigung der Menschen notwendige Arbeit so verteilt wird, dass jede*r nach seinen* und ihren* Fähigkeiten gibt und nach seinen* und ihren* Bedürfnissen nimmt! Das, und nicht autoritären Staatskapitalismus mit Arbeiter*innenkitsch, nennen wir Kommunismus.

Für den Feminismus – Für den Kommunismus!

Antifaschistische Gruppe Braunschweig,
Basisgruppe Sozialwissenschaften, redical M
im März 2014
Mehr infos: redical.org