Editorial zur ersten Ausgabe
Wolja ist ein anarchistisches Projekt, das sich mit der kontinuierlichen Herausgabe dieser Zeitschrift beschäftigt. Die Regelmäßigkeit, mit der wir Wolja herausbringen wollen, wird durch unsere eigenen Möglichkeiten bestimmt. Im Idealfall erscheint alle zwei Monate eine neue Ausgabe. Der Inhalt wird aus eigenen Texten sowie Übersetzungen und Wiederveröffentlichungen bestehen. Wir machen uns damit zur Aufgabe sowohl den stattfindenden Diskussionen, die sich um Fragen der Organisation, Subversion, Kommunikation usw. drehen unsere Perspektive und Kritik entgegen zu setzen, als auch Debatten zu entfachen, die bis jetzt noch nicht stattfinden oder erst im Entstehen sind. Was auch heißt, ein neues Kapitel aufzuschlagen und sowohl über längst Vergessenes, als auch über noch nie Dagewesenes zu sprechen, zu schreiben und in unserer Existenz als handelnde Individuen versuchen zu verwirklichen. In diesem Dschungel der sozialen Befriedung, in diesem Käfig des Gleichschrittes und der Unterwerfung, in dem wir gezwungen sind zu existieren, ist es an der Zeit nach einer Phase der Lethargie, der Ablenkung und des Deliriums wieder Entwürfe in Betracht zu ziehen, die unseren gewohnten Trott über den Haufen werfen. Das Experiment ist nie von Anfang an zum Scheitern verurteilt, auch wenn die viel gepredigten ‘großen Möglichkeiten’ oft lange auf sich warten lassen. Wenn wir uns nicht gezielt mit der Option der sozialen Konfliktualität, mit den Sphären der Rebellion gegen die bestehenden Zwänge, mit dem Universum der Subversion beginnen zu beschäftigen, wenn wir nicht einen Schritt aus den gewohnten Strukturen, unserer Häuser und Wohnungen hinaus, aus unseren beschränkten Kreisen, Szenen und Subkulturen, aus unseren vereinzelten, isolierten Lebenswelten in eine Konfrontation machen, an der wir wachsen können und neue Möglichkeiten und Praktiken des Kampfes erproben, dann bleiben wir zur Anpassung und zum Kompromiss verdammt. Genauso wie es seit vielen Jahren Normalität ist.
AnarchistInnen zu sein bedeutet für uns nicht einfach nur die Ablehnung jeglicher Autorität. Egal ob diese als Demokratie oder Diktatur, als linkes oder rechtes politisches Spektakel versucht uns zu unterdrücken, zu vereinnahmen und uns zu benutzen. Es stellt für uns eine Feindschaft, einen Antagonismus der Macht gegenüber dar. Eine Haltung, die alle unsere Beziehungen und jede Auseinandersetzung mit unserer Umwelt bestimmt. AnarchistInnen zu sein bedeutet für uns die direkte Konfrontation mit allen Formen und Ausprägungen der Herrschaft: Staat, Kapital, Gesellschaft… Es bedeutet für uns die Assoziation freier Individuen und weder eine verallgemeinerte Form des Zwangs (Basisdemokratie usw…), noch den Rückzug in die bürgerliche Vereinzelung. Es bedeutet für uns im Widerspruch zur Massengesellschaft und ihrer Totalität zu stehen. Die ‘Begriffe’ und ‘Formen’ der Architekten dieser Totalität haben für uns keinen Inhalt, sondern sind lediglich leere Hülsen von völlig ausgebrannten Identitäten, die in dieser Plastikgesellschaft täglich ihr Wesen, ihre Zugehörigkeit und ihre Richtung wechseln, ohne jedoch wirklich an der Oberfläche der sozialen Unterdrückung zu kratzen. Nichts, das die Realität dieses gesellschaftlichen Zwanges, des Stillhaltens, der Drohung, des Maulkorbes zu durchbrechen vermag. Und weder der Eskapismus in die Religion oder Ideologie, die mittlerweile viele Formen angenommen hat, kann uns eine Alternative bieten, noch die pseudo-revolutionären Erklärungsmodelle und der marxistische Fatalismus der linken Sekten. Keine der Versprechungen der Rechten, die einem Teil der Ausgeschlossenen alle Schuld über die Zustände aufladen und alle, die ihrer faschistischen Norm nicht entsprechen als Sündenböcke vor sich hertreiben, kann irgendetwas an den Verhältnissen ändern. Wenn wir den Bruch mit der bestehenden Lethargie erreichen wollen, so können wir weder Vertrauen noch Rückhalt aus Parteien, Organisationen, der Presse oder irgendwelchen anderen repräsentativen, legalistischen und identitären Zusammenschlüssen und Bündnissen erwarten. Keine Art des Kompromisses und der Reform, egal wie radikal und ‘revolutionär’ sie sich auch geben mag, ist im Stande mit den zentralen Machtverhältnissen zu brechen. Die Totalität der Macht, die täglich wie eine große Symphonie zelebriert wird, umfasst die gesamte Inszenierung der Politik, sie gibt ihr den Takt, die Voraussetzungen und die Grenzen vor. Denn meist sind selbst die Radikalsten unter den KritikerInnen lediglich dazu bereit die alte Ordnung durch eine neue, nämlich die ihre, zu ersetzen.
Deshalb ist für uns der Anarchismus nicht die ‘linkeste’, ‘radikalste’ Form der ‘Linken’ und die Anarchie nicht ein statischer zu erkämpfender und einmal zu erreichender, endgültiger Zustand, sondern ist von einer ständigen (Weiter)Entwicklung abhängig. Das revolutionäre Projekt existiert als Denk- und Lebensweise, als direkte Auseinandersetzung, und Konfrontation mit unserer Umwelt. Es ist eine ständige Rückkopplung zwischen Theorie und Praxis, also dem was wir denken, und dem was wir ausdrücken (schreiben, reden, …), beziehungsweise tun. Daraus resultiert eine Verantwortlichkeit unseren Ideen und Taten, ja uns selbst gegenüber, die uns niemand abnehmen kann. Deshalb fühlen wir uns auch nicht dazu gezwungen die ständigen Normen und Dogmen der Linken nachzuäffen und zu repetieren. Es bedeutet auch nicht, dass wir uns an deren Diskurse halten werden, um uns an deren akademisierten, geistigen Abfall zu ergötzen. Die direkteste Form sich sein Leben wieder zurück zu holen ist es, wonach wir suchen. Das Leben und die autonome Entscheidung darüber, wie wir mit anderen Aufsässigen in Kontakt treten wollen und wie sich dieser Kontakt entwickelt. Im Zentrum dieser Bindungen steht für uns immer die freie Vereinbarung. Die lediglich so lange besteht, solange sie der Entwicklung subversiver Projekte und dem Kampf gegen das Bestehende dient. Dadurch werden Programme und dergleichen überflüssig. Vereinbarungen können gelöst werden, sobald sie unsere Ansprüche nicht mehr zu erfüllen vermögen. Diese individuelle Verantwortlichkeit für alles was wir tun, das ist es, was wir anstreben. Dafür müssen wir mit allen bestehenden Verhältnissen brechen.
Der Wille zur Revolte ist eine Voraussetzung, um überhaupt gegen den allgemeinen Zwang vorgehen zu können. Es bedeutet, dass wir das Zerwürfnis mit der Autorität in uns selbst tragen. Der Wille zum Kampf, zur Konfrontation, zur Kritik, sowie die Freiheit im Handeln, im Zusammenschluss mit anderen Individuen auf Basis gemeinsamer Affinitäten. Das sind die Perspektiven, die wir im Projekt Wolja zu verwirklichen suchen. Wir haben den Namen nicht gewählt, um alte Geister zu beschwören, obwohl wir uns den Geschichten aus der Vergangenheit sehr wohl bewusst sind. Sondern weil der Bedeutungsdualismus des Wortes, so wie es in einigen Sprachen verstanden wird und zur Verwendung kommt, unserem Gefühl der Revolte entspricht. Als einer Verbindung aus Wille und Freiheit. Die Freiheit ist der Mittelpunkt des anarchistischen Kampfes. Es ist seine Geburt, sein Weg, und sein Ziel. Es ist jener Anspruch, der in unseren Taten und unseren Worten enthalten ist. Es ist jene Haltung, die uns mit allen Aspekten der Macht in Gegensatz bringt.
Es gibt keinen definierten Rahmen für Wolja, keine Grenzen, die gesteckt werden. Dennoch gibt es eine Frage, auf die wir vermehrt eingehen werden. Dies mag sich in der Zukunft ändern, wenn es die Gegebenheiten verlangen. Das zentrale Thema, auf das wir uns innerhalb dieses Projektes beziehen, ist der Kampf gegen das Dogma der ‘sozialen Befriedung’. Es ist in unserer direkten Umwelt das grundlegendste Element der Macht. Es behindert uns in unserem Denken und Handeln. Es beraubt uns unserer Verlangen und zwingt uns zur Anpassung. Die österreichischen Verhältnisse nach 1945 lehren uns die bedingungslose Unterordnung. Sie erziehen uns zur Befriedung und zur Aussöhnung und haben somit seit einigen Jahrzehnten jedes Aufflackern der Rebellion im Keim erstickt. Ob von den Sozialdemokraten, den Grünen, verschiedenen Basisbewegungen oder wem auch immer angeführt, ist in diesem Zusammenhang egal. Viel wichtiger ist, dass dieser Zustand chronisch geworden ist und bis in die sich selbst als subversiv verstehenden Teile der radikalen Linken und die anarchistischen Kreise vorgedrungen ist. Oder in vielen Fällen auch immer schon vorhanden war. So scheint es zumindest. Der Kompromiss mit der Politik, der Journaille und anderen Institutionen der Macht sitzt vielen wie ein Korsett am Leibe. Eine tiefere Analyse, was wir im engeren Sinne unter dem Begriff der ‘sozialen Befriedung’ verstehen, und warum wir denken, dass wir dies als zentrale Methode der Macht in vielen Teilen Europas, in unserem Falle aber vor allem in Österreich, betrachten, werden wir in naher Zukunft ausführlicher darlegen.
Jede Zeile die wir hier niederschreiben und in Zukunft schreiben werden, bedeutet für uns selbst eine Weiterentwicklung. Eine Entwicklung unserer Realität und der täglichen Auseinandersetzung mit der Welt, die uns aufgezwungen wird. Aber auch mit dem Geschmack der Freiheit, den wir durch unsere Auflehnung kosten. Die Zügellosigkeit, die wir mit jedem Akt der Rebellion gegen die bestehenden Zwänge erproben, ist bereits das Leben. Es ist das Leben, worum es in allen Kämpfen, in allen revolutionären Momenten geht. Es ist die Essenz der freien Entscheidung über alles, was uns zu dem macht, was wir sind. Es sind die Unkontrollierten, die die Herrschaft zu stürzen vermögen.
INHALT:
- Wolja - Editorial zur ersten Ausgabe
- Internet contra Papier... einige unfertige Gedanken
- Chroniken der Delinqunez (2013)
- Nach der Wahl ist vor der Wahl - Anti Wahl Agitation in Österreich
- Interview des eingekerkerten Blog Culmine
- Anarchismus und Subversion
- Einige Vorschläge für den zeitgenössischen Anarchisten
- etc...