Am Freitag, 21. März, versammelten sich rund 150 Leute ab 13 Uhr am Schmid-Platz hinter dem Rathaus um für Freiräume zu demonstrieren. Konkret: die (permanent) räumungsbedrohten und somit prekären Wagenplatz-Projekte Treibstoff und Gänseblümchen sowie das seit 2011 bestehende antikapitalistische Hausprojekt Pizzeria Anarchia.
Kurz gab es Aufregung, da die ursprünglich geplante Route mit Verweis auf die Straßenverkehrsordnung / Berufsverkehr nicht genehmigt wurde. Dem Vernehmen nach konnte man sich aber vor Ort auf eine Alternativroute einigen und um etwa 15:30 Uhr ging es los. Das Polizeiaufgebot war jedenfalls riesig - ganz im Gegensatz zur Anti-Repressions-Demo zwei Tage zuvor. Statt zwei bis drei Dutzend BeamtInnen war diesmal eine Hundertschaft im Einsatz, die Helme an den Gürtel geschnallt. So wurde die Demo an manchen Stellen beidseitig von Polizeispalieren begleitet. Vorne gingen ebenfalls ein bis zwei Reihen, hinten folgte eine Wagenkolonne, als würde ein Präsidentschaftsbesuch anstehen. Vielleicht aber auch ein subtiler Ausdruck der Solidarität mit den Wiener Wagenplätzen. (Quelle: live3.at)
Via Schottentor und Maria-Theresien-Straße erreichte die Demo die Untere Augartenstraße im Zweiten Bezirk. Die Stimmung war dem sonnigen Wetter entsprechend - und der Polizei-Hundertschaft zum Trotz - ausgelassen und fröhlich. Mit einem Traktor samt angehängtem Wagen mit Bierbänken, Couches und Punk-Beschallung hatte die Demo jedenfalls alle Blicke auf sich garantiert. Besonders ab dem Erreichen der Taborstraße, wo ein sehr großes und bunt gemischtes Publikum staunend dem an ihnen vorbeizehenden "Naturereignis" gegenüberstand. Kein Mensch der zahlreichen PassantInnen und AnwohnerInnen entlang der Route wagte es wegzuschauen bevor die Demo nicht vollständig vorbeigezogen war.
Zur Veranschaulichung: Beim Einzug in die Taborstraße, eine besonders stark von FußgängerInnen frequentierte Kreuzung, setzte die eher feierliche Demo erstmals in größerer Zahl zu gemeinsamen Parolen an und hatte so die Aufmerksamkeit aller Anwesenden garantiert: "Miete verweigern, Mietvertrag [sic!] ins Klo - Häuser besetzen, sowieso!", "Kein Gott! Kein Staat! Kein Mietvertrag!". Hinter dem Fußvolk dann stets der Lastwagen mit wahlweise Tekkno oder Punk sowie der Traktor mit den - ganz den Klischees entsprechend - laut grölenden und Bier trinkenden Punks am Anhänger. Rundherum Polizisten mit Helmen am Gürtel, vom Anhänger lautstark mit Punk beschallt.
In der Taborstraße gab es dann auch gleich zwei Zwischenkundgebungen. Eine zu den Grünen (Ecke Novaragasse), denen die widerspruchslose Beteiligung an der Obdachlosen-Vertreibungs- und Flüchtlings-Kriminalisierungs-Politik der Stadt Wien vorgeworfen wird, als Ergebnis ihres Weges einer alternativen Bewegung zur mitverantwortlichen Stadtregierungspartei. Einen weiteren Halt gab es an der Taborstraße 81-83, wo zwei Gründerzeit-Häuser durch ein Einkaufszentrum ersetzt werden sollen, offenbar vom Bezirk genehmigt.
Via Am Tabor zog die Menge schließlich zum Volkertmarkt und schließlich zur Pizzeria, wo es die letzte Zwischenkundgebung gab, mit Informationen zur Geschichte des Hauses und des Widerstands seiner BewohnerInnen seit nunmehr zweieinhalb Jahren. Hier kennen mittlerweile viele die BewohnerInnen und die wahren Hintergründe um den "Spekulationsfall Mühlfeldgasse 12", ebenso das Publikum der umliegenden Lokale. Hier, vor dem gegenüberliegenden Lokal, staunt man vor allem über das riesige Polizeiaufgebot und durchschaut diese "Steuergeldverschwendung", wie ein Nachbar wortwörtlich sagt: "Die Leute san ja eh ned g'fährlich!".
Man kommt ins Gespräch und ein junger Mann, nordafrikanischer Flüchtling, der von sich selbst sagt, er sei obdachlos, möchte betonen: "die sind überhaupt nicht ausländerfeindlich!". Er sei selber schon drin gewesen und hat ein guten Eindruck von den Leuten, wie er schildert. Dass "die Punks" (wie in den Medien praktisch einheitlich die insgesamt sehr vielfältigen BewohnerInnen bezeichnet werden) sich mit den verbliebenen AltmieterInnen solidarisiert hätten, findet in der Nachbarschaft nachvollziehbarer Weise einhellig Zustimmung. Viele Menschen öffneten ihre Fenster um der Zwischenkundgebung zuzuhören, nach einer Weile entstand sogar ein Gespräch zwischen den Fenstern der Pizzeria und dem gegenüberliegenden Haus. Man kennt sich hier mittlerweile teilweise schon ganz gut.
Was die NachbarInnen so zur Pizzeria Anarchia sagen; großartiger Wien Heute-Bericht: https://www.youtube.com/watch?v=t-hjxqz6_Os
Zum Stand der Dinge: Die Pizzeria Anarchia ist seit 5. Februar 2014 akut räumungsbedroht. Laut Gesetz müsste sie zumindest zwei Wochen im Voraus einen Räumungstermin zugestellt bekommen. Auf so viel Gesetzestreue kann man aber bei der Wiener Polizei nur hoffen. Für den Tag der Räumung wird jedenfalls bereits jetzt eine Demonstration angekündigt. Alles nähere und weitere immer auf pizza.noblogs.org.
Und die Wagenplätze Treibstoff und Gänseblümchen müssen aufgrund der Unwilligkeit der Stadt, legale Zwischennutzungen für Wagen-BewohnerInnen gesetzlich zu ermöglichen, ebenfalls regelmäßig ihren Standort wechseln. Es gäbe zwar zum Teil Grundstücke, die gemietet werden könnten - doch dann schickt die Stadt Wien ihre Magistratsabteilungen für Fahrzeugkontrolle und Bauordnungsangelegenheiten, die wahlweise nach Indizien für Fahruntauglichkeit oder Wohnuntauglichkeit suchen und entsprechende Anzeigen ausstellen - oder überhaupt kostenpflichtig abschleppen lassen, was schon mehrfach vorgekommen ist in den letzten Jahren. Also stehen die Wagenplätze zeitweise notgedrungen wochenlang am Randstreifen irgendwelcher Straßen am Stadtrand. Im Fall des Wagenplatzes Gänseblümchen zur Zeit direkt neben der U2-Station Seestadt Aspern. Sie sind dort zur Zeit die einzigen BewohnerInnen. Und von der Stadt ausdrücklich nicht erwünscht (bloß im Werbe-Katalog zur "Seestadt Aspern" werden sie unter dem Schlagwort "vielfältiges Wohnen" abgebildet, aber das ist ja nur ein Werbeprospekt und kein rechtsverbindliches Angebot. Oder etwa doch?).