Am 18. März steht Kalle Gerigk in Köln der zweite Zwangsräumungsversuch bevor
Interview mit Peter Berendt, einem Aktivisten der Kölner Gruppe „Wohnraum für Alle!“
Kalle Gerigk ist weit über Köln hinaus zur Symbolfigur für Widerstand gegen Gentrifizierung geworden. Sein neuer Vermieter, ein Immobilienmakler, hat Eigenbedarf geltend gemacht und die Wohnung im Internet gleichzeitig – saniert – zum Verkauf angeboten. Das hat viele empört.
Die Verhinderung der ersten Zwangsräumung im Februar hat ja überregional für ziemlich viel Aufmerksamkeit gesorgt – Glaubt Ihr das am 18. März nochmal „toppen“ zu können ?
Ich denke, da geht’s nicht ums toppen, da geht es um die schlichte Notwendigkeit, Widerstand zu leisten gegen Zwangsräumungen als eine der gewaltförmigsten Auswüchse der weiter voran schreitenden Verdrängungspolitik – Punkt.
Ich weiß nicht ob die Frage in Richtung „Immer erfolgreich sein“ zielt, aber diese Unart, sich nur dann in den Weg zu stellen, wenn mensch kalkulierbar als „Sieger*in“ vom Platz gehen könnte, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Jede Form von Reibung, jedes Knirschen hilft, diese Politik als unsozial bloßzustellen, zu delegitimieren und an ihrer selbstgerechten Arroganz der vorgeblichen Alternativlosigkeit zu kratzen.
Wir waren natürlich begeistert, dass rund 300 Anwohner*innen und Unterstützer*innen es tatsächlich geschafft haben, den Gerichtsvollzieher samt seinen Amtshelfer*innen mit drei Hundertschaften Bereitschaftspolizei wieder nach Hause zu schicken. Insbesondere Kalle war völlig von den Socken.
Die überraschende Qualität dieses Protests war tatsächlich dessen Breite: das Problem geht einfach (fast) alle an. Deswegen hat z.B. eine ältere Anwohnerin aktiv mitgeholfen – selbst ein Blockadetraining als Trockenübeung war ihr nicht zu blöd. Ihr droht mitunter das gleiche wie Kalle, denn ihre (noch bezahlbare) Miete von 320,- Euro für ihre 27 qm-Wohnung sind alles andere als sicher. Als Zeitungszustellerin hätte sie keine Chance, in Innenstadtnähe zu verbleiben.
Uns ist klar, dass wir für unsere zweite Blockade am 18. März noch mehr Leute benötigen, denn die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor. Aber selbst wenn es Kalle und seinen Unterstüzer*innen nicht noch einmal gelänge, den „Vollzug“ abzuwenden, die gemachten Widerstandserfahrungen sind jede Mühe „wert“. Der Widerstand von Familie Gülbol in Berlin hat trotz erfolgter Zwangsräumung im zweiten Anlauf zu einer richtigen (kleinen) Bewegung gegen diese Praxis geführt und die Stadt sogar zur zeitweoligen Aussetzung von Zwangsräumungen gezwungen.
Ihr kündigt noch vor dem nächsten Räumungsversuch einen Besuch beim SPD-Fraktionschef an – Was erwartet Ihr von solch einem „Gespräch“?
Nichts, was irgendwie nach Hinterzimmer-Deal aussehen könnte! Im Gegenteil, Martin Börschel hatte unmittelbar vor dem ersten Zwangsräumungstermin versucht, Kalle „moralisch“ unter Druck zu setzen. Er kam persönlich bei Kalle vorbei und hatte öffentlich vorgeschlagen, dass Kalle die Wohnung lieber freiwillg verlassen solle und man dann eine spontane Demonstration gegen Wohnungsnot und Luxussanierungen organisiert. Darauf hat sich Kalle konsequenter Weise nicht eingelassen.
Herr Börschel sollte lieber konkrete Lösungen für das akute Wohnungsproblem zehntausender Menschen in Köln präsentieren, statt dem (Un-)“Recht auf Verwertung des Eigentums" auch noch den Weg zu ebnen. Jetzt rühmt er sich übrigens auf facebook, er habe die Proteste „mitorganisiert“ und eine „gewaltsame Eskalation verhindert“. Nun ja, in digitalen Protest-Welten, wo alle alles lediglich "liken" können, sind natürlich auch nur Erfolge zu verbuchen. Sogar für diejenigen, gegen die sich der Protest u.a. richtet. Das ist wirklich modern, aber reichen wird Herrn Börschel das als Nebelkerze vor den Kommunalwahlen nicht. Die Politik ist sichtlich nervös angesichts des gigantischen Medienechos auf die Protestaktionen gegen die Praxis der Zwangsräumungen.
Wir sehen die Politik in der Verantwortung, denn die setzt immerhin die Rahmenbedingungen für die Verdrängung von Mieter*innen mittleren und niedrigen Einkommens. Der soziale Wohnungsbau liegt bundesweit vollständig brach. 2007 ging die Aufgabe der Wohnraumförderung vom Bund an die Länder über. Doch die nutzten die jährlichen Ausgleichszahlungen nur zu einem verschwindend geringen Teil für den sozialen Wohnungsbau. Vielmehr wurde das Geld in Haushaltslücken bzw. in den Aufbau privater Wohnungsbaugesellschaften gesteckt. Diese haben naturgemäß kein Interesse an Vermietung nach sozialen Gesichtspunkten. Die Kommunen haben ebenfalls große Bestände städtischer Wohnungen verkauft. Hier haben Kommunal- und Landtagspolitiker wie Martin Börschel gleich zweifach versagt.
Ihr habt kurz nach der Verhinderung des ersten Räumungsversuches mitgeteilt, dass ihr Euer Bündnis nun umbenennen solltet in „Kalle für Alle“ - was meint das genau?
Kalle steht eigentlich für immer mehr Menschen in dieser Stadt – das ist übrigens genau seine Motivation, warum er nun auch ein zweites Mal an den Start geht. Motiviert durch Kalles Widerstand melden sich immer mehr Menschen bei der Initiative „Recht auf Stadt“ und der Gruppe „Wohnraum für alle“ in Nachfolge unserer „Sozialen Kampfbaustelle“ vom letzten Herbst:
Mieter*innen, die
nach einer Mieterhöhung zwischen Armut und Auszug wählen müssen.
Menschen, die durch Abriss, Luxussanierung oder Anmeldung von
angeblichem Eigenbedarf aus der Wohnung gedrängt werden. Menschen
mit Durchschnittseinkommen, die in der Stadt trotz langem Suchen
keine bezahlbare Wohnung finden. Studierende, die nicht zum studieren
kommen, weil sie für Wuchermieten arbeiten müssen. Menschen, die
keine Chance bekommen, aus der Obdachlosigkeit auszubrechen.
Besonders Migrant_innen haben kaum Möglichkeiten, bezahlbaren
Wohnraum zu erhalten und sind der Willkür von Miethaien ausgesetzt.
So kann und darf es nicht weitergehen! Und deswegen sind alle aufgerufen, mit uns am 18.März um 7 Uhr eine fette Blockade bei Straßenfest und Frühstücksbuffet auf die Beine zu stellen.
www.zwangsraeumung-verhindern.de