Schweiz will ein Ende der "Masseneinwanderung" Knapper geht es kaum: Mit einer Mehrheit von nicht einmal 20.000 Stimmen sprachen sich die Schweizer am Sonntag für eine Einführung von Zuwanderungsquoten aus. Die politischen Folgen sind vorerst völlig offen.
In der Schweiz soll die Zuwanderung wieder begrenzt und der freie Personenverkehr mit der EU gestoppt werden: Das Schweizer Stimmvolk hat am Sonntag äußerst knapp das Volksbegehren "Gegen Masseneinwanderung" der rechtskonservativen Volkspartei SVP angenommen. 50,34 Prozent stimmten dafür, das macht eine Mehrheit von knapp 20.000 Stimmen aus.
Wachsender Lohndruck und Konkurrenz am Arbeitsplatz; volle Pendlerzüge und Knappheit am Wohnungsmarkt - das sind die Kehrseiten des wirtschaftlichen Erfolgs, den die Schweiz nicht zuletzt auch der Zuwanderung von rund 80.000 Menschen pro Jahr verdankt. Insgesamt 39.000 Österreicher leben in der Schweiz.
Mit ihrem knappen Votum haben die Schweizer nun diese Sorgen höher gewichtet als die Angst, mit einer Begrenzung der Zuwanderung die Europäische Union zu verärgern und den eigenen wirtschaftlichen Erfolg nachhaltig aufs Spiel zu setzen.
Die Bundesregierung und das Parlament in Bern hatten die Vorlage klar abgelehnt; und außer der SVP hatten sich auch sämtliche großen Parteien im Land dagegen ausgesprochen. Das Ergebnis - wenngleich es denkbar knapp ist - zeigt: Die rechtskonservative Volkspartei hat es wieder einmal geschafft, sich gegen das gesamte Polit- und Wirtschaftsestablishment durchzusetzen und auf die Regierung Druck auszuüben.
Politische Folgen unabsehbar
Welche politischen Folgen das überraschende Ja nun hat und wie Brüssel reagieren wird, war am frühen Sonntagabend noch nicht deutlich abzusehen. Außerordentlich hoch war diesmal die Stimmbeteiligung an dem Referendum: Rund 56 Prozent gingen zur Urne. Ein Rekordergebnis. Die SVP konnte also offensichtlich viele Bürger - weit über ihre eigene Anhängerschaft hinaus - mobilisieren, die sonst nicht abstimmen. Diese Protestwähler waren, so erwies es sich, entscheidend für den Ausgang der Abstimmung.
Einmal mehr zeigte die Abstimmung in der Schweiz zudem eine tiefe Kluft zwischen den einzelnen Landesteilen auf: In den wirtschaftlich starken Kantonen wie Zürich, Basel, Genf und Waadt wurde das Volksbegehren recht deutlich abgelehnt - dort wurde die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte mehrheitlich als Faktor für das wirtschaftliche Wohlergehen wahrgenommen.
In den eher ländlichen Regionen der deutschsprachigen Schweiz hingegen stimmte eine teils sehr klare Mehrheit für die Begrenzung der Zuwanderung. Und im italienischsprachigen Südkanton Tessin, wo eine große Zahl italienischer Grenzgänger zu einem massiven Druck auf Löhne und Arbeitsplätze geführt hat, stimmten sogar 68 Prozent für die SVP-Initiative.
Der Vorsitzende des Schweizer Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, Heinz Karrer, wies in einer ersten Reaktion den Schwarzen Peter der Politik zu: Diese habe es nicht geschafft, glaubwürdige Lösungen anzubieten für die Probleme, die die Zuwanderung in die Schweiz verursache. Doch auch die Wirtschaft habe es verpasst, aufzuzeigen, dass die Bevölkerung als Ganzes vom freien Personenverkehr profitiere. Die Schweiz müsse nun so rasch wie möglich die Diskussion mit der EU suchen, um den Schaden zu begrenzen: Die Schweizer Exportwirtschaft sei auf den Zugang zum EU-Markt, wohin 60 Prozent der Schweizer Exporte gingen, angewiesen.
Sorge wegen Lohndumpings
Für den Vorsitzenden des Schweizer Gewerkschaftsbundes Paul Rechsteiner ist klar, dass der Lohndruck viele Bürger dazu bewogen habe, mit Ja zu stimmen. "Viele Menschen sind wegen des Lohndumpings besorgt." Die SVP-Initiative löse dieses Problem aber nicht, so der Gewerkschafter - wohl aber die Mindestlohn-Initiative der Schweizer Gewerkschaften, über die in drei Monaten abgestimmt werden soll. Diese fordert einen flächendeckenden Mindestlohn von 4000 Franken (3200 Euro) pro Monat.
Im Schatten der Zuwanderungsabstimmung stimmte das Schweizer Volk einem Kredit von 6,4 Milliarden Franken für den Eisenbahn-Ausbau deutlich zu, mit dem Engpässe auf dem Schienennetz behoben werden sollen. Klar abgelehnt wurde eine Vorlage, welche forderte, dass die öffentlichen Krankenkassen keine Abtreibungen mehr finanzieren sollten. (Klaus Bonanomi aus Bern, DER STANDARD, 10.2.2014)