Snowdenium und die deutsche Lethargie

Erstveröffentlicht: 
10.02.2014

Das deutschnationale Narrativ in der NSA-Debatte erschwert eine globale Bewegung gegen Überwachung. Von Peter Nowak.

Über die NSA-Überwachung scheint in Deutschland fast alles gesagt. Daher müssen Kommentatoren mit immer absonderlichen Vorschlägen um Aufmerksamkeit buhlen. So machte der Publizist Heribert Prantl in einem Kommentar im Deutschlandfunk den Vorschlag, dereinst ein neu entdecktes chemisches Element Snowdenium zu nennen, um Edward Snowden als den Mann in Erinnerung zu behalten, der einen wichtigen Beitrag zur "globalen Sensibilität für den Wert der Kommunikationsgrundrechte" leistete.

 

Ein Element namens Snowdenium fehlte noch in dem satirischen Ausblick auf Deutschland im Jahr 2034, den Horst Pankow in der Jungle World in eine Zeit wagte, in der "die mutmaßlichen Friedensverbrecher Barack Obama (73) und Keith Alexander (82) auf dem Gelände des Hans-Christian-Ströbele-Gerechtigkeitsparks in Stuttgart-Stammheim eingetroffen" sind.

 

"Den Beschuldigten wird der Versuch des 'Völkermords durch mentale Verunsicherung' vorgeworfen, für den das 2031 ratifizierte 'Gemeinsame Strafrecht der Europäischen Union und aller recht- und billigfühlenden Völker' als 'Mentozid' die Höchststrafe vorsieht. Mindestens zwischen 2009 und 2016, der Regierungszeit des Hauptbeschuldigten Obama, sollen sie Millionen völlig schuldloser Deutscher und Milliarden Bürger anderer Staaten durch Überwachung und Aufzeichnung jeder Art von Telekommunikation in einen Zustand mentaler Verunsicherung versetzt haben, der als humanitäre Katastrophe höchsten Ausmaßes bezeichnet werden muss. 'Milliarden und Abermilliarden unschuldiger Menschen, von der Regierungschefin bis zum Arbeitssuchenden, deren einziges Verbrechen in ihrem Streben nach Kommunikation bestand', hatte die Europäische Ministerin für Volks- und Netzgesundheit, Manuela Schwesig (SPD), kürzlich in einer ergreifenden Ansprache erklärt, 'sind, wie wir heute eindeutig wissen, traumatisiert. Ihnen wurde jegliche Netzfreude, alle Netzsicherheit einfach genommen. Ja, nicht wenigen wurde jedes Netzvertrauen ausgelöscht, ausradiert – vielleicht für immer.'"


Wenn die USA die deutsche Grundordnung unterminiert


Prantls Vorschlag könnte also eine gute Ergänzung dieser Vorschau sein. Nur gibt es einen gravierenden Unterschied. Während Pankow mit seiner dystrophischen Erzählung vielleicht der Realität näher kommt, als ihm lieb ist, hat Prantl seinen Vorschlag ganz ohne jede Ironie mit dem Gestus des großen liberalen Aufklärers gemacht. Dass es ihm dabei aber weniger um die globalen Grundrechte als um das deutsche Selbstbewusstsein geht, wird in seinem Beitrag sehr deutlich.

 

"Auf dem Boden des Grundgesetzes wurzeln und wachsen auch das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger. Dieses Selbstbewusstsein und diese Selbstsicherheit geraten ins Wanken, seitdem bekannt wurde, dass unter dem Boden des Grundgesetzes US-Geheimdienste arbeiten, die sich um die deutschen Grundrechte nicht kümmern, die das Fernmeldegeheimnis so wenig achten wie den Schutz der Privat- und Intimsphäre der Bundesbürger. All diese Rechte sind auf dem Boden des Grundgesetzes gewachsen; dieser Boden aber wird von NSA & Co. unterminiert und unterhöhlt."


Bei Prantl wird sehr deutlich, wie eine Debatte um die globalen Grundrechte in eine nationale Erzählung umgewandelt wird. Die USA unterhöhlten das Grundgesetz und damit gleich das deutsche Selbstbewusstsein, so die Rede. Auf den historischen Einschub, dass schließlich die USA als Teil der Anti-Hitler-Koalition erst die Bedingungen mitgeschaffen haben, die im Westteil Deutschlands zur Verabschiedung des Grundgesetzes führten, verzichtet der liberale Publizist. Das selbstbewusste Deutschland hat soviel historische Korrektheit nicht mehr nötig. Die war in einer Ära nötig, in der Deutschlands NS-Vergangenheit noch nicht bei allen Wirtschaftspartnern als historisch erledigt betrachtet wurde. In Deutschland selber setzte der Prozess ja bereits mit Hitlers Tod ein.

 

Kein Respekt für Deutschlands Souveränität


So ist die NSA-Diskussion zu einer Debatte um die deutsche Souveränität geworden. Ex-Kanzler Schröder, dessen Handy angeblich ebenfalls abgehört wurde, brachte es in einem Interview mit der Bild-Zeitung auf den Punkt: "Die USA haben keinen Respekt vor der Souveränität unseres Landes."

 

Doch bei einem einfachen Lamento soll es nach dem Willen mancher SPD-Politiker nicht bleiben. Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann will zurück spionieren (vgl. Spionageproblem gelöst: Wettrüsten!). In der Rheinischen Post sagte er: "Wer uns ausspäht, muss damit rechnen, dass er seinerseits ebenfalls Zielobjekt wird."

 

Diese Offenheit kam nicht überall gut an. Schließlich plaudert man nicht aus, was man so alles an Geheimen plant. Zumal er mit seiner Forderung, US-Firmen künftig von Aufträgen des Bundes, der Länder und der Kommunen über Kommunikationstechniken auszuschließen, sicher große Zustimmung auch in den anderen Parteien erfährt. Schließlich ist die Forderung nach einem deutschen bzw. einem deutsch-europäischen Internet seit der NSA-Debatte ständig zu hören.

 

"Von allen Seiten kommen Vorschläge, das Internet zu nationalisieren. Es klingt sinnvoll, das Safe-Harbor-Abkommen zu kündigen, das besagt, dass dem deutschen Datenschutz Genüge getan ist, wenn Daten in vermeintlich 'sichere Drittstaaten' wandern wie die USA. … Das würde zum Beispiel die heimische Internetwirtschaft stärken – am Ende bekommen wir aber ein Wettrüsten der Informationstechnologie wie zu Kaisers Zeiten. Die Hubschrauber, die die Bundesregierung im Tiefflug über die US-Botschaft schickte, erinnern fatal an die Kanonenbootpolitik eines Wilhelms II. Wenn wir erst Firewalls zu unseren Nachbarstaaten errichtet haben und das Netz voller Zensurfilter steckt, während deutsche Behörden und Konzerne unser Verhalten im Netz trotzdem überwachen – dann ist das Internet wirklich kaputt", kommentiert der Internetexperte Enno Park diesen Hype um das deutsche Internet.

 

Statt gegen Überwachung nur gegen ausländische Überwachung


Durch das deutschnationale Narrativ in der NSA-Debatte wird gerade verhindert, dass generell über Überwachung diskutiert wird und sich vielleicht eine globale Bewegung dagegen organisiert, wobei das Internet eine gute Hilfestellung leisten könnte. Weltweit organisierte Aktionen wie der International Privacy Day aber finden in Deutschland gerade deswegen so wenig Beachtung, weil die Debatte nationalistisch geführt wird.

 

Es geht dabei nicht um Überwachung generell, sondern gegen ausländische Überwachung. Die Bespitzelung deutscher Geheimdienste wird von Prantl und Co. ganz souverän ignoriert. Sonst müsste Prantl bei seiner Lobeshymne auf die deutsche Grundordnung anerkennen, dass die nicht von den USA, sondern von deutschen Geheimdiensten mit viel NS-Personal seit Jahrzehnten unterminiert wird.

 

Bereits in den fünfziger Jahren gab es in der BRD die flächendeckende Kommunistenverfolgung, in die alle einbezogen wurden, die in Opposition zum Adenauerstaat standen. In den 1960er Jahren kam die Bespitzelung der neuen Linken hinzu. In den 1970er Jahren kam mit dem Radikalenerlass, von Kritikern im In- und Ausland als "Berufsverbot" bezeichnet, eine neuer Überwachungsanlass hinzu.

 

Den heutigen Kritikern der ausländischen Überwachung sind solche historische Details nicht der Rede wert. Wie die deutsche Überwachung ignoriert wird, zeigt sich an den Umgang mit dem Buch "Überwachtes Deutschland" von Joseph Foschepoth. Während der Teil der die Beziehungen zu den USA thematisiert, ausgiebig zitiert und als Beweis für die Souveränitätsdefizite angeführt wird, werden viele Kapitel des Buches in der Debatte ausgeblendet. Dort geht es um die flächendeckende Überwachung und Vernichtung der Post aus der DDR durch deutsche Geheimdienste in den 1950er und 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts.