Die politisch Verantwortlichen im Bezirk und auch im Rathaus haben allen Grund zur Sorge: Dass am Sonnabend zur Stadtteilversammlung St. Pauli sage und schreibe 400 Menschen kamen, zeigt, wie verbittert die Anwohner sind. Vieles spricht dafür, dass sie ihre Drohung wahr machen: Entweder die Politik schlägt einen neuen Kurs ein – oder es gibt Saures!
„St. Pauli selber machen!“ – das war das Motto der Versammlung, zu der unter anderem SOS St. Pauli und die Initiative Esso-Häuser eingeladen hatten. Der Slogan bringt auf den Punkt, worum es den Leuten geht: Nicht länger sollen Investoren die Entwicklung des Stadtteils bestimmen, sondern die Bürger selbst. Ein auf Hochglanz poliertes St. Pauli mit Glas- und Marmorpalästen, das dann für die Alteingesessenen unbezahlbar wird, lehnen die Teilnehmer ab. Ein Mann im Publikum rief in die Runde: „Wir wollen unser St. Pauli behalten, wie es ist!“ Und sofort tobte der Saal.
In den letzten sechs Monaten wurde im Stadtteil viel Porzellan zerschlagen: Der Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen, der anstehende Abriss der Esso-Häuser, die Ausrufung des Gefahrengebiets – all das hat das Vertrauen der Bürger in die Politik und die Polizei nachhaltig gestört. Von einer „Erosion demokratischer Rechte“ ist die Rede, von einer „Kriminalisierung des Protests“. Die Menschen fühlen sich von den politisch Verantwortlichen nicht mehr vertreten. Und so kam auf der Stadtteilversammlung die Idee auf, die Verwaltung von St. Pauli an sich zu reißen. Und der Vorschlag wurde mit frenetischem Applaus begrüßt.
„Vergammeln lassen, räumen, abreißen, neu bauen und abkassieren“ – die Esso-Häuser stehen aus Sicht vieler St. Paulianer beispielhaft für den Verdrängungsprozess, der seit Jahren im Stadtteil stattfindet. Scharf angegriffen wurde der Bezirk, der tatenlos zugesehen habe, wie die Esso-Häuser verfielen – und jetzt die Schuldigen auch noch mit einer Abbruchgenehmigung beglücke.
Die Versammlung findet: Kaputtbesitzen darf sich nicht lohnen. Die Teilnehmer forderten, dass der Neubau zu 100 Prozent aus Sozialwohnungen bestehen soll.
Erheblichen Widerstand gibt es auch gegen den geplanten „Business Improvement District St. Pauli“. Denn das „Aufhübschen“ des Kiezes sei allein im Interesse der Investoren und Immobilienbesitzer. Dass derzeit gerüchteweise Lars Schütze als Quartiersmanager gehandelt wird, empfinden viele als Zumutung. Schützes Familie war früher Eigentümer der Esso-Häuser. Und sie wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Gebäude jahrzehntelang vor sich hingammelten – und jetzt abrissreif sind.
Es brodelt auf dem Kiez. Und so wird es wohl erst mal bleiben. Martin Reiter (34) und Sabine Stövesand (54) von der Initiative Esso-Häuser, die Sonnabend die Diskussion moderierten, luden bereits zur nächsten Stadtteilversammlung ein. Sie wird am 18. Februar stattfinden Ort: Kölibri. Zeit: 19 Uhr.