Im Wintersemester 2013/14 thematisierte in Rostock eine Gruppe namens „Kritische Uni“ öffentlich, dass es an der Uni mehrere Dozierende mit Verbindungen zu rechten Netzwerken und Ideologien gibt. Als Mittel ihrer Wahl nutzen die Studierenden dafür Flugblätter und einen Blog (Flugblatt mit den Vorwürfen). Die Aktion sorgte für ziemlichen Wirbel in der Stadt. Deshalb möchten wir in drei Teilen die Aktion öffentlich auswerten. Im Folgenden soll versucht werden, das Geschehen darzustellen, zu analysieren und vorsichtig zu interpretieren. Daraufhin wagen wir auch ein die Aktion kritisch beleuchtendes Resümee. Zuletzt folgt eine Darstellung der häufigsten Erwiderungen auf den Flyer und einige Erklärungen dazu.
Kritische Informationen verbreiten
Die Aktion hatte zwei Ziele: Zum einen wollten wir unsere Mitstudierenden informieren. Die Rechtslastigkeit des Historischen Instituts ist zwar kein Geheimnis, doch beschränkte sich die Auseinandersetzung mit dem Problem des am Institut breit vertretenden „Extremismus der Mitte“ meistens auf Gelästere, Gerüchte hinter vorgehaltener Hand und punktuelle Aufreger. Eine systematische Zusammenstellung mit Belegen für die Nähe zu rechter Ideologie war bisher nicht verfügbar. Das wollten wir ändern.
Öffentlicher Druck auf die Verantwortlichen
Das zweite Ziel ist eher Nebeneffekt aus dem Ersten. Bei gesellschaftlichen Problemen stellt sich immer auch die Frage, wer das ändern könnte. Und in einer Stadt, die europaweit vor allem durch das Pogrom von Lichtenhagen 1992 und den Mord an Mehmet Turgut 2004 durch vom Verfassungsschutz gedeckte Neonazis bekannt ist, könnte man eigentlich erwarten, dass bei einem halbwegs liberalen Wertehorizont das Vertreten von rechter Ideologie als Problem wahrgenommen werden müsste. Darüber hinaus sorgt das Informieren von Menschen für Gespräche und Diskussionen. Und einige Leute fangen vielleicht auch an, Fragen zu stellen, wie das eigentlich möglich sein kann. Diese Prozesse auf der gesellschaftlichen Mikroebene erzeugen - mit ein bisschen Glück und sozusagen als Nebeneffekt - über den Diskurs ausreichenden öffentlichen Druck auf die Verantwortlichen, sich der kritisierten Missstände anzunehmen.
Die erste Aktion am Historischen Institut
Der Auftakt der Aktion bildete am 14.10.2013 das Verteilen der Flugblätter in der ersten Ringvorlesung für Geschichte-Erstsemester. Dadurch bedingt, dass die meisten in der Gruppe selber Geschichte studieren, findet sich fast nur Lehrpersonal des Historischen Instituts im Fokus der Kritik. Dies war nicht ausdrücklich so gewollt, hat sich durch die damalige Mitgliederstruktur der Gruppe ergeben. Daher rührt auch der spätere Fokus auf Verteilaktionen am HI. Die Verteilaktion selber läuft zunächst unspektakulär ab. Viele Studies scheinen den brisanten Inhalt erst auf den zweiten Blick erkannt zu haben. Doch bereits diese Verteilaktion ist ein erfolgt: Mit Vorlesungsbeginn verzeichnete die zu dem Zeitpunkt noch gegen Null tendierende Zugriffsstatistik des Blogs ihr erstes plötzliches Hoch.
Weitere Verteil-Aktionen
Die nächsten zwei Wochen verteilten wir die Flugblätter in verschiedenen Veranstaltungen an verschiedenen Instituten mal direkt, mal auf dem Mobiliar auslegend, je nachdem, was der eigene Stundenplan an Freiräumen hergab. Die Flugblätter werden durchweg eher positiv aufgenommen, die Klickzahlen auf dem Blog sind konstant hoch, und es beginnen auch Diskussionen unter Studierenden über die Inhalte. Die Aktion ist bereits zu diesem Zeitpunkt unter den Geschichte-Studierenden und den politisch Engagierten an der Universität Gesprächsthema.
Reaktion bei Prof. Dr. Flaig
Erste Wirkung entfalteten die Flugblätter bereits in der dritten Uni-Woche. Dr. Egon Flaig hält seinen Input zur Alten Geschichte in der Geschichte-Ringvorlesung für Erstsemester und hält sich dabei exakt an das Skript der Vorjahre. In diesem Skript verwendet er lediglich seine Forschungsschwerpunkte und gibt sein ideologisches, den Islam verunglimpfendes und ethnopluralistisches politisches Programm zum Besten. Im Gegensatz zu den Vorjahren sind die Widerworte der sonst eher schüchternen Erstis so stark, dass er im Gegensatz zur sonstigen angeblich gesprächs- und auseinandersetzungsorientierten Inszenierung (z.B. Heuler-Ausgabe 101 (April 2013), Seite 34ff.) einfach autoritär weitere Kritik verbietet. Leider gelingt es ihm auch, mit dem Verweis auf seine angebliche wissenschaftliche Autorität die Kritik der Erstis lächerlich zu machen und abzuwürgen. Hier zeigt sich beispielhaft, wie das Informieren einer Zielgruppe zu einem öffentlichen Bewusstsein führen kann, welches es „Extremisten der Mitte“ bereits erschwert, ihre rechte Ideologie unkritisiert zu äußern.
Aktionsbericht auf dem Nazi-Portal „Mupinfo“
Das erste Medium, das über die direkte Vermittlung hinaus in der Uni die Aktion aufgreift, ist ausgerechnet „Mupinfo“. Da die Nazi-Internetzeitung in ihrem Artikel auch über die Art und Weise der Verteilung der Flugblätter bei der Geschichte-Einführungsvorlesung berichtet, scheinen die Nazis ihre Informationen direkt von einem ihnen bekannten Teilnehmer der Veranstaltung bekommen zu haben. Und selbstverständlich können die Nazis an den lobenswerten Positionen der biodeutschen Professoren nichts Schlechtes erkennen, drücken ihre Solidarität mit den „Verfolgten“ aus und fordern die Uni auf, gegen die angeblich verantwortlichen „Linksfaschisten“ vorzugehen. Außerdem bekommen wir nach dem Artikel auf Mupinfo die ersten positiven Reaktionen. Wenn man diese als Maßstab nimmt, stellt sich die Frage, wer eigentlich Mupinfo liest: Zieht man von den Klickzahlen, die den Reaktionen zufolge die InternetnutzerInnen aus der linken Szene und die virtuellen dienstlichen Besuche von Polizei, VS und Staatsschutz generieren, ab, kann da nicht viel überbleiben... (Lustiger Nebenaspekt: Nicht das Flugblatt selbst scheint die Nazis zu ihrer Einschätzung, dass es sich um politische GegnerInnen handle, zu bringen, sondern die Auswahl an Links unseres Blogs. Diese enthält jedoch zu dem Zeitpunkt (wie zum jetzigen auch) lediglich die Standart-Vorauswahl des Anbieters).
Erste Pressemitteilung
Die nächsten zwei Wochen bleibt es medial relativ ruhig. Wir besuchen weiter Veranstaltungen, verteilen unsere Flugblätter, diskutieren mit Leuten und bezüglich des Aktionsziels „Aufklärung“ läuft alles super. Die Flyerkartons leeren sich und wir beschließen, uns nun vermehrt dem zweiten Ziel „Öffentliche Auseinandersetzung“ zu widmen. Bisher scheinen die Offiziellen der Uni sich nicht zu rühren, weil sie ja - wie wir nun wissen - versuchen, die Sache auszusitzen. Am 2.11.2013 versenden wir unsere erste Pressemitteilung, die von der Aktion, ihrer Zielstellung und unseren bisherigen Erfahrungen berichtet.
Die JU entrüstet sich
Scheinbar scheint sich auch nun erst mal nichts zu rühren. Doch unter der Oberfläche muss es gebrodelt haben. In unserem Presseverteiler sind der Fairness halber auch die offiziellen Email-Adressen der kritisierten Personen oder Institutionen. Deshalb hat auch die Junge Union Rostock unsere PM bekommen. Und siehe da: Man ärgert sich dort so doll, dass man mittels Pressemitteilung am 5.11.13 analog zur Positionierung von Mupinfo zur „Linksextremisten“-Jagd bläst. Öffentlich auffindbar ist die Pressemitteilung allerdings zunächst nur bei dem ebenfalls dubiosen Webportal MV-Regio.
Rechte Seilschaft in Aktion?
Vieles spricht dafür, dass im Kontext unserer Aktion eine von uns bereits im Rahmen der 3. Folge der Reihe „Kritische Kritik-Kritiken“ beschriebene rechte Seilschaft zwischen Uniprofs, Junger Union, „Junger Freiheit“ und ganz rechtsaußen auch hier wieder am Start war. Ob die JU von unserer Aktion über mögliche politisch unappetitliche Kumpels oder aus unserer Pressemitteilung erfahren hat, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hat unser Flugblatt die angeblich überhaupt nicht rechten Jungkonservativen so geärgert, dass sie ihre Pressemitteilung verschicken, in der sie analog zum Neonazi-Portal Mupinfo die Aktion verurteilen, den kritisierten Profs ihre Anteilnahme ausdrücken und die Bestrafung der mutmaßlichen „Linksextremisten“ fordern. Diese Pressemitteilung steht wiederum durch die verwendeten Zitate erkennbar in Verbindung mit dem am 6.11.2013 erscheinenden Artikel in der rechte Zeitung „Junge Freiheit“. Auch hier ist die Argumentation die bereits von Mupinfo bekannte Linie: Böse Chaoten-Linksextremisten-Faschisten, arme biodeutsche Profs, Schuldige bestrafen, möglichst doll. Von der „Jungen Freiheit“ wandert der Text durch einschlägige Foren und Webportale am rechten Rand. Der Tenor dort ist regelmäßig die zu erwartende Hetze gegen Links. Allerdings zeigt sich ein interessantes Bild: Bundesweit sprechen FaschistInnen, RassistInnen und AntisemitInnen den angeblich überhaupt nicht rechten Profs aus Rostock ihre Anteilnahme angesichts der gegen sie angeblich betriebenen „Hexenverbrennung“ aus und loben die von uns als rechte Ideologie kritisierten Positionen als angeblich gesellschaftlich „gut“ und „wünschenswert“.
Antisemitische Wutanfälle
An dieser Stelle ein Einschub: Was uns überraschte und erschreckte, war die Erfahrung, wie heftige antisemitische Reaktionen die Erwähnung des Namens „Ehrenburg“ auslösen würde. In unserer Dokumentation wird die Causa „Ilja-Ehrenburg-Straße“ nur am Rande erwähnt, weil sich Rostocker Profs aus dem Historischen Institut dazu öffentlich ausführlich und einschlägig geäußert haben (deshalb sei zur inhaltlichen Auseinandersetzung nach wie vor Kombinat Fortschritt oder die Webpräsenz der Ilja-Ehrenburg-Initiative empfohlen). Das genau dieses Thema der Grund ist, warum die Totschweige-Strategie der Uni nicht funktioniert, weil ausgerechnet das rechte Wochenblatt „Junge Freiheit“ geifernd beim Pressesprecher anruft, ein Statement erbittet und anschließend die einschlägige LeserInnenschaft sich über die frechen „Linksfaschisten“, die „Deutschland hassen“ ereifert, konnten wir nicht ahnen. Wer sehen möchte, wie krass Antisemitismus in Deutschland im Jahr 2013 gesellschaftlich wirksam ist, dem sei ein Blick in die Kommentarspalte beim entsprechenden Artikel der „Jungen Freiheit“ oder bei einem der einschlägigen Web-Foren, die den Text von dort übernommen haben, empfohlen. Völlig beleglos werden dem (als aus Russland stammenden kommunistischen jüdischen Intellektuellen als bio-deutsches Hassobjekt offensichtlich prädestinierten) Schriftsteller nachweislich falsche Aussagen untergeschoben, um anschließend eine Rhetorik an den Tag zu legen, die deutlich zeigt, was Horkheimer und Adorno meinten, als sie der Bundesrepublik einen „Judenhass ohne Juden“ unterstellten.
Erste Reaktion der Uni
Aber immerhin gab es jetzt nach dem Statement der Jungen Freiheit eine erste offizielle Positionierung zur Aktion. Wenig überraschend möchte Herr Vetter, der heute Pressesprecher der Uni ist, nicht wirklich über die Aktion reden: „Wir reagieren nicht auf anonyme Anschuldigungen und werden das nicht öffentlich kommentieren“, erläuterte Vetter. Kein Wunder, wird er doch auch an für seine Verantwortung als Chefreporter der Norddeutschen Neuesten Nachrichten für Pressehetze vor dem Pogrom von Lichtenhagen 1992 erinnert ( kritischeunihro.blogsport.de/2014/02/04/offener-brief-an-ulrich-vetter-presseprecher-der-uni-rostock/ ).
Strafverfahren gegen Studierende
Und wir erfahren aus der Presse, dass gegen uns Anzeige erstattet wurde. Laut Junge Freiheit tönt Vetter: „Überhaupt sei die Aktion eher ein Fall für die Staatsanwaltschaft.“ Prinzipiell stelle sich die Universität jeder Diskussion, dafür brauche es aber auch einen Ansprechpartner. „Wer sich dagegen auf anonyme Weise dem Diskurs entzieht, scheint von Transparenz und demokratischer Meinungsbildung wenig zu halten.“
Anzeige ein Zeichen von Druck?
Auf der einen Seite sind wir überrascht. Wir hatten zwar Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um bei einer möglichen Auseinandersetzung auf der sicheren Seite zu sein (keine Spekulationen, keine Gerüchte, nur Dinge ansprechen, für die wir öffentliche Belege haben, usw.). Und auch, dass wir mit den vielen kleinen informellen Möglichkeiten der Benachteiligung im Studienalltag Probleme bekommen könnten, hielten wir für möglich. Aber das unsere so redegewandten Profs, die auf alles eine kluge Antwort wissen und immer vom offenen Diskurs daherreden, durch ein einziges kritisches Flugblatt derart unter Druck geraten könnten, dass sie auf die ganze mühsam errichtete partizipative „demokratische“ Fassade pfeifen und gleich in Form von Polizei und Justiz die gesamte Staatsgewalt auf den Plan rufen, hatten wir uns doch nicht ernsthaft vorstellen können. Als so bedrohlich hatten wir uns bisher gar nicht wahrgenommen...
Das „Neue Deutschland“ berichtet
Doch die Anzeige hat auch „positive Effekte“. Durch die damit einhergehende, von der Uni-Leitung ausgehende Eskalation, ist das Thema auf einmal „wichtig" und damit interessant für bundesweit erscheinende linke Zeitungen wie das „Neue Deutschland“. Am 11.11.2013 berichtet das ND unter der Headline „Rostocker Historikerstreit“ und nennt unsere Aktion in einem Atemzug mit republikbewegenen Kontroversen der Bonner Republik (ohne Paywall).
Kritische Nachfragen unerwünscht
Ein Redakteur nimmt sich dort des Themas an, und bittet Ulrich Vetter ebenfalls um eine Stellungnahme. Vetter versucht es hier zunächst auch mit „Kein Kommentar“. Doch scheint ihm später aufgegangen zu sein, das er damit wohl die Berichterstattung nicht verhindern wird. Deshalb schiebt er eine schriftliche Äußerung nach: „Später am Tag gibt es dann doch eine Stellungnahme, die deutlich macht, was man an Rostocks Alma Mater unter »Ruhe hineinbringen« offenbar versteht: Polizeiliche Kriminalisierung von kritischen Meinungsäußerungen. Die Rostocker Uni habe tatsächlich bereits »gegen die Verfasser und Verbreiter des Flugblatts bei der Staatsanwaltschaft Rostock Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht«.“
Mehrere Straftatbestände?
Der Zeitungsredakteur schreibt weiter: „Laut Vetter kämen hierbei gleich »mehrere Straftatbestände« in Betracht, genauer geht es leider nicht wegen des laufenden Verfahrens. Diskussionen? Ja, gerne. Doch seien »Flugblätter, E-Mails und Internetseiten mit persönlichen Vorwürfen gegen Wissenschaftler und Mitarbeiter der Universität, deren Urheber auf genauere Angaben zu seiner Person lieber verzichtet (...), kein akzeptables Format für diesen Diskurs.«“
Kommentar der „Neuen Deutschlands“
Die Rostocker Presselandschaft, in der Vetter lange wirkte, hätte so ein Statement vielleicht akzeptiert, aber das bundesweit erscheinende „Neue Deutschland“ geht angesichts dieser Ansage direkt zum Kommentar über: „Das ist starker Tobak, besonders der Punkt mit den »persönlichen Vorwürfen«. Denn im Flugblatt »Extremismus der Mitte: Rostocker Profs und der rechte Rand« geht es nicht um sensible Personalia, sondern um eine Auseinandersetzung mit von Dozenten öffentlich – an der Universität wie jenseits derselben – geäußerten, dezidiert politischen Stellungnahmen. Hochschullehrer, die sich in teils hoch emotionalisierten stadt- oder allgemein politischen Fragen hervortun und dabei, ob nun nolens oder volens, den Namen der Rostocker Universität benutzen, um die Relevanz ihrer persönlichen Meinung zu unterstreichen, dürfen also an derselben nicht ebenso öffentlich kritisiert werden?“
Anzeige juristisch nicht zu halten
Und auch an eine juristische Interpretation wagt sich das ND: „Es wird interessant sein zu beobachten, wie die Staatsanwälte reagieren. Anzeigen von Universitäten gegen mutmaßlich Studierende wegen des Wortlauts derartiger Flugblätter sind seit einigen Jahrzehnten eigentlich nicht mehr üblich – an vielen Hochschulen würde allein die Idee für einhellige Empörung sorgen. Wer sich fragte, weshalb die Flugblattautoren es vorzogen, anonym zu bleiben, ist nunmehr im Bilde.“
Linke gegen Kriminalisierung
Dass das Einschalten von Polizei und Justiz ein Skandal ist, finden auch andere. So wagt sich am 17.11.2013 der SDS mit einer Solidaritätsadresse aus der Deckung. Man merkt der Stellungnahme an: Das Flugblatt ist den GenossInnen vom SDS auch nicht ganz geheuer, aber deshalb die Polizei einschalten?
Kaum wahrnehmbar: Die Hochschulgruppen
Bei den anderen Hochschulgruppen konnte man sich nicht zu einer Position entschließen. Bei den Jusos scheint es immerhin Diskussionen gegeben zu haben, wie das Post vom 17.11.2013 auf ihrer Facebook-Seite zeigt. Und die Grüne Hochschulgruppe empfiehlt sich für Höheres: Für die GHG sind rechte Profs kein Thema. Und damit unterstützt die GHG de fakto die Position Vetters: „Wir werden uns zu der Sache jetzt nicht äußern«, sagt der Pressesprecher der Rostocker Universität, »das bitte ich zu respektieren«. Man müsse erst einmal »Ruhe in die Sache hineinbringen«“ (zitiert nach ND). Erst im Januar 2014 werden sich die Label der drei „linken“ Hochschulgruppen auch auf eine Flyer des Astas finden, der eine Veranstaltung zum Thema „Neue Rechte“ bewirbt.
Positionierung des AStA
Vermutlich aufgeschreckt durch die zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Recherchen der Ostseezeitung zum Thema, schafft es am 29.11.2013 dann auch der Asta, sich eine Meinung zu bilden. Das Gremium einigt sich darauf, einen Offenen Brief an die Uni-Leitung zu schreiben. Inhaltliche Kurzfassung und Versuch einer Interpretation: Die Studierendenvertretung schreibt der Uni Leitung: Wir, der AStA, wollen keine offizielle Meinung zum Extremismus der Mitte an unserer Uni haben, aber macht es doch bitte nicht so offensichtlich und lasst bitte die Interviews mit der „Jungen Freiheit“, denn das sieht nicht schick aus und ist irgendwie unappetitlich. Hier zeigt sich, wozu die studentische Selbstverwaltung im demokratischen Herrschaftsregime dient. Die studentische Selbstverwaltung formt durch die bestehenden Systemzwänge die demokratische Elite von morgen. „Sachzwänge“, „nachhaltige Politik“, kurz: Die Spielregeln der Macht lassen sich hier auf der Spielwiese lernen. Und so erklärt sich auch, warum der AStA der Uni-Leitung praktisch Tipps für besseres Regieren (neudeutsch: „Verwalten“) gibt: Man empfiehlt sich für Höheres. Der Bildungsminister, der früher auch in der studentischen Selbstverwaltung „aktiv“ war, hat`s ja vorgemacht.
Reden, ohne etwas zu sagen
Einer ähnlichen Logik folgt die schließlich im Januar 2014 stattfindenden vom AStA organisierte Veranstaltung „Rechte Intellektuelle und die Neue Rechte“. Auf der einen Seite inszeniert sich der AStA mit seinem Veranstaltungsaufruf im Gegensatz zum Rektorat als „problembewusst“, während anderseits durch die Auswahl des Referenten und die einleitenden Statements der zuständigen AstA-Referentin sichergestellt wird, dass zur aktuellen lokalen Situation keine Positionierung erfolgen muss, die eventuell unbequem sein könnte. Auf diese Weise redet man die Probleme zwar nicht weg, vermeidet aber, irgendwem der demokratischen Funktionselite im universitären Rahmen auf die Füße zu treten. Wie sehr die Rostocker Studierendenvertretung diese demokratische Machterhaltsregel bereits verinnerlicht hat, zeigt sich aktuell z.B. auch in der Diskussion um die Besetzung der studentischen VertreterInnen im Studentenwerk.
Kooperative universitäre Herrschaftsausübung
Ein besonders perfides Beispiel für ähnliche kooperative universitäre (und gesellschaftliche) Standesgruppen überschreitende Herrschaftsausübung lieferte 2011 übrigens das Amt des Studentischen Prorektors. Die Uni-Leitung verbot eine Veranstaltung der Grünen Hochschulgruppe Öffentlich überbringen und rechtfertigen durfte die Zensurmaßnahme ausgerechnet der damalige studentische Prorektor Heiko Marski. Wer unter solchen Bedingungen Ideale hat, brennt aus, kriegt die Kurve oder empfiehlt sich für Höheres.
Linker AStA als „Kleineres Übel“?
Das selbstverständliche Zuarbeiten des AStA zur Verbesserung der Verwaltung von Kritik und Widerständen sollte aktuell nicht selbstverständlich sein, denn an der Uni Rostock gibt es zur Zeit den linkesten AStA seit Studierendengedenken (was zugegeben dank Bologna-Prozess nicht allzu lang ist...). Das die aktuellen StudierendenvertreterInnen trotzdem das Stellvertretungsspiel zur Einbindung in die Elitensphären so nahtlos mitspielen, zeigt, dass das mit dem „kleineren Übel“ nicht einmal bei so etwas unbedeutendem wie Uni-Gremien-Wahlen zu emanzipatorischer Politik führt.
„Extremismus“-Artikel der Ostsee-Zeitung
Am 11.12.13 berichtete auch die Ostseezeitung endlich im Lokalteil relativ breit über unsere Aktion. Unter dem Titel: „Strafanzeige: Studenten stellen Uni-Dozenten in die rechte Ecke“ wird unserer Kritik neben der namentlichen Nennung der kritisierten Dozierenden relativ viel Raum eingeräumt. Darüber hinaus zwingt der Rechercheprozess endlich den AStA und Rektor Wolfgang Schareck zu öffentlichen Positionierungen. Der AStA bleibt bei seiner demonstrativen Meinungslosigkeit und Scharecks Positionierung könnte eindeutiger nicht sein: Rechte Ideologie ist kein Problem, solange sie in bürgerlichen Gewand daher kommt ( paywallfrei).
Anzeige führt zu Aufmerksamkeit
Auch zeigt der Artikel, dass sich das Einschalten der Staatsgewalt wegen eines kritischen Flugblattes für die PR-Strategie des Totschweigens eher negativ auswirkt. Erst durch bereits im Titel an prominenter Stelle erwähnte Strafanzeige entsteht für die OZ die Relevanz der Angelegenheit, die es der Mühe wert macht, einen Artikel zu veröffentlichen. Interessant ist auch Scharecks Statement bezüglich der Anzeige: Es geht nur noch im Konjunktiv um mögliche Verstöße gegen Marken-, Urheber- und Persönlichkeitsrechte. Von Vetters Getöse um „mehrere Straftatbestände“ wie Beleidigung, Behauptung unwahrer Tatsachen oder Übler Nachrede, die eine Unwahrheit der Vorwürfe unterstellen, ist öffentlich keine Rede mehr.
Ausblick
Der zweite Teil der Aktionsauswertung konzentriert sich nach dieser eher chronologischen Darstellung auf inhaltliche Aspekte und wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Der dritte Aspekt unserer Aktionskritik, dass Benennen und Eingehen auf einzelne häufig geäußerte Entgegnungen findet sich bereits in Form der Artikelserie „Kritische Kritik-Kritiken“ auf unsere Homepage:
KKK1: "Häh? Die Extremismus-Theorie ist unwissenschaftlich?"
KKK2: "Und was ist so schlimm an Burschenschaften?"
KKK3: "Die Junge Union ist doch gar nicht rechts!"
KKK4: "Aber Dr. Müller ist doch in der SPD!"
KKK5: "Durch eure Krawall-Aktionen macht ihr es anderen schwer, sich zu engagieren!"
KKK: Herr Gallus