Die populistische Alternative für Deutschland leitet einen radikalen Kurswechsel ein. Im Europawahlkampf ersetzen klassische konservative Themen die Euro-Kritik - die Haltung zu Familie, Zuwanderung und Patriotismus soll die AfD als bessere CSU ausweisen. Von Melanie Amann, Aschaffenburg.
Vielleicht ist Europa doch zu retten. Vielleicht steht es gar nicht so schlimm um den Euro? Die europäische Währung muss aus dem Gröbsten raus sein, wenn sogar eine Anti-Euro-Partei kaum ein kritisches Wort über sie verliert.
Dabei wird klar: Von ihrem Gründungsmythos, von der Euro-Kritik und der D-Mark-Sehnsucht hat sich die Partei meilenweit entfernt. Auf ihrem ersten Parteitag im Frühjahr 2013 hatte die AfD noch gegen "Rettungseuropäer" gewettert, gegen milliardenschwere Schutzschirme und Bankenrettungspakete, gegen eine "alternativlose" Europa-Politik.
Ein Jahr später entwickelt sich die AfD zu einer rechtskonservativen, gesellschaftskritischen Kraft, die gegen alles Mögliche ist - eben auch gegen allerlei Dinge in Europa. In Aschaffenburg fordert niemand mehr den Austritt Deutschlands aus dem Euro, oder auch nur den Austritt Griechenlands aus dem Währungsbündnis.
46 Minuten spricht Parteichef Bernd Lucke zu den Delegierten, und der VWL-Professor bringt den Saal ohne eine einzige Attacke auf den Euro zum Kochen. Zwar liest Lucke ausnahmsweise vom Blatt, aber die Gags zünden, vor allem der Spott des Professors über die "ziemlich kleinen Doktortitel" bei der CSU. Die Delegierten bejubeln auch die gefälschten Wahlplakate der Konkurrenz, die Lucke scherzhaft präsentiert. Da wirbt die FDP mit "Noch mehr Europa - noch mehr Schulden", und die SPD mit "Das Wir entscheidet. Das Du zahlt."
"Arme kleine AfD"
Zu den destruktiven Grabenkämpfen in der Partei verliert Lucke kein Wort, dafür bemüht er sich sichtlich, seine Leute mit Schwärmereien von alten Kämpfen zusammenzuschweißen. Gegen die großen reichen "Altparteien" stehe die "arme kleine AfD" noch immer da wie David gegen Goliath, ruft Lucke seinen Leuten zu, aber in diesem Wahlkampf habe man Steine und Schleuder parat.
Dass aber die AfD die bessere CSU ist, daran lässt Lucke keinen Zweifel. "Wir haben schon im Wahlkampf vor einer unkontrollierten Zuwanderung in unsere Sozialsysteme gewarnt", trumpft er auf. Kritik an wandernden Rumänen und Bulgaren habe die AfD als erste Partei gewagt - "jetzt ist unsere Position salonfähig".
"Mut zu Deutschland" heißt der Slogan, mit dem die Partei in den Europa-Wahlkampf zieht. Die Liberalen in der AfD lässt der Spruch gruseln, den der Chef persönlich erfunden und im Vorstand durchgedrückt hat; ein klarer Lockruf an konservative Kreise. Die Alternativvorschläge - "Freiheit statt Zentralismus" und "Für ein besseres Europa" - bremste der Parteichef aus. Die Euro-Kritiker dürften damit die einzige Partei sein, die mit einem Pro-Deutschland-Slogan Europapolitik macht.
Hickhack und Misstrauen
Letztlich schafft es Lucke aber ohne Gegenkandidaten auf den Spitzenplatz der Wahlliste. Der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel ergatterte planmäßig Platz zwei. Allerdings musste er den Delegierten erst beteuern, dass er gegen den Türkei-Beitritt in die EU sei, und kein Freund des Großkapitals, sondern auch der kleinen Betriebe und der Mittelständler.
Echter Unfrieden zeigt sich also nur vor der Tür: Autonome hatten die Aschaffenburger Frankenstolz-Arena in der Nacht vor dem Parteitag mit Farbbeuteln beworfen und mit Parolen beschmiert. Drinnen lobt Neu-Kandidat Henkel seine neuen Parteifreunde für ihre Disziplin: "Auf keiner Veranstaltung der AfD habe ich auch nur einen Verrückten gesehen."