Viele Menschen auf Kiews umkämpftem Platz trauen weder der Regierung noch der Opposition. Sie kämpfen schlicht für ihre Rechte.
Wenn man aus der Metrostation „Maidan Nesaleschnosti“ in Kiew kommt, hat man das Gefühl, als befände man sich nicht in der Ukraine, sondern in einem anderen Land – einem Land, in dem die Menschen immer bereit sind, einander zu helfen. Doch das gilt nur für die eine Seite der Barrikaden. Auf der anderen wird gekämpft, es gibt Tote und Verletzte. Die Ukrainer verteidigen ihr Recht auf ein Leben in einem freien Land. Frauen und Kinder werden in der Regel nicht auf den Maidan gelassen, sondern nur Personen, die bereit sind zu kämpfen, und Journalisten.
Die Leute akzeptieren diese Kontrollen. Die verhindern, dass Provokateure der Regierung durchschlüpfen, wie es schon mehrfach versucht wurde.
Außer den ständigen Anwohnern kommen viele Kiewer nach der Arbeit auf den Platz. Einige sind einfach so da, andere unterstützen die Demonstranten mit Lebensmitteln und Medikamenten, wieder andere helfen beim Bau der Barrikaden mit. Nach ihrer Schicht im Krankenhaus behandeln Ärzte Demonstranten. Fast niemand hat Angst vor Kampfhandlungen, die Leute sind sehr entschlossen.
Egal, was die Opposition sagt
Igor, der aus Lwiw angereist ist, ist schon einige Tage auf dem Maidan. Seine Eltern waren gegen seine Reise nach Kiew, sie haben Angst um sein Leben – er ist erst 19. „Als ich im Fernsehen gesehen habe, was die Regierung anrichtet, konnte ich nicht mehr still sitzen“, berichtet er. „Ich bin hier, weil ich das jetzt für das Wichtigste im Leben halte.“ Es interessiere ihn nicht, was die Opposition sagt: „Die will nur selber die Macht an sich reißen. Ich bin hier für meine Freiheit und weil ich in einem Land leben möchte, in dem ich Rechte habe, die eingehalten werden“, sagt Igor: „Ich will und werde nicht schweigen.“
Galina stammt aus dem Gebiet Ternopolsk und lebt schon seit fast zehn Jahren in Kiew. Sie hat einen guten Job, eine heranwachsende Tochter und eine eigene Wohnung. Nach der Arbeit fährt sie jeden Tag zum Maidan. „Wenn ich ins Büro komme, merke ich, dass ich mich gar nicht konzentrieren kann. Ich weine oft und kann nicht schlafen. Ich will nicht, dass meine Tochter in einem Land aufwächst, wo sie von Milizionären im Hinterhof vergewaltigt und umgebracht werden kann, und die dann behaupten, sie sei versehentlich gestorben.“
Alina ist ehemalige Journalistin, die ihren Beruf nach der Geburt ihres Kindes aufgegeben hat. Sie hatte eigentlich nicht vor, auf den Maidan zu gehen. „Mein Mann rief mich an und sagte mir, er hole mich gleich von der Arbeit ab“, erzählt sie. Er kam aber zwei Stunden später, weil er in Werkstätten 21 alte Reifen für die Barrikaden gesammelt hatte.
Sie fuhren zum Maidan. „Ohne Helm war es mir dort mulmig zumute“, sagt sie „Ich habe vergeblich versucht, bei vorbeifliegenden Granaten nicht zusammenzuzucken. Ich bin eben ein Angsthase.“ Auf dem Heimweg hielt sie unwillkürlich nach Reifen Ausschau. „Der Maidan hat mich gelehrt, weniger feige zu sein.“
Fast alle Demonstranten auf dem Maidan sind einfache, nicht politisierte Leute, Manager, Kellner, Dienstleister. Sie glauben weder den Regierenden noch den Oppositionellen. Sie haben nur ein Ziel: Janukowitsch und seiner Bande in den Hintern zu treten. Da der Präsident sich aber nicht auf dem Platz blicken lässt, müssen jetzt Polizisten und Sondereinheiten dafür herhalten.