Von Martin Kilian, Washington. Das saudisch-amerikanische Verhältnis ist bereits empfindlich gestört. Neue Enthüllungen über die Terroranschläge von 2001 könnten nun für Saudiarabien schwerwiegende Folgen haben.
Jahrzehntelang waren sie unzertrennliche Verbündete: Washington lieferte modernste Waffen und war bereit, notfalls das Überleben der saudischen Monarchie zu sichern. Die Saudis garantierten die Ölversorgung und pumpten gelegentlich mehr, um die Ölpreise zu drücken. Nun droht die alte Partnerschaft in die Brüche zu gehen, denn tiefe Meinungsverschiedenheiten prägen derzeit die Beziehung zwischen Riad und Washington.
Ob die US-Politik gegenüber Syrien und Ägypten oder die versuchte Annäherung der Regierung Obama an den Iran: Die Saudis sind zusehends enttäuscht, ja zornig über das Verhalten des einstigen Busenfreunds. Washington wiederum verfolgt erzürnt die saudischen Geldströme für radikalislamistische Gruppen in Pakistan, Syrien und anderen islamischen Krisenherden sowie das Treiben saudischer Staatsbürger in al-Qaida und anderen Terror-Organisationen.
Jetzt könnte das schwierig gewordene Verhältnis durch neue Enthüllungen über die saudische Rolle bei 9/11 zusätzlich belastet werden. Als die Geheimdienstausschüsse des Kongresses 2002 ihren umfassenden Untersuchungsbericht zu 9/11 vorlegten, verfügte Präsident George W. Bush, dass 28 Seiten des Reports nicht veröffentlicht werden durften.
Abgeordnete fordern Publikation geheimer Informationen
Schon damals wurde vermutet, dass sich die zurückgehaltenen Informationen mit Saudiarabien befassten. Wie Osama Bin Laden stammten 15 der 19 Attentäter aus dem Königreich, auch war bekannt geworden, dass saudisches Geld die 9/11-Terroristen unterstützt hatte. Sogar Prinz Bandar Bin Sultan, derzeit saudischer Geheimdienstchef, damals Botschafter in Washington und ein enger Vertrauter der Familie Bush, war in Verdacht geraten, über eine islamische Wohltätigkeitsorganisation Geld an die Attentäter überwiesen zu haben.
Am 3. Dezember 2013 forderten der republikanische Kongressabgeordnete Walter Jones sowie sein demokratischer Kollege Stephen Lynch in einer gemeinsamen Resolution, die unter Verschluss gehaltenen Passagen des Untersuchungsberichts endlich publik zu machen. Nach der Lektüre dieser Seiten seien sie «absolut schockiert» gewesen, erklärten beide Abgeordneten. «Die Familien der Opfer verdienen es, alle Fakten über diesen tragischen Tag zu kennen», so Jones. Ausserdem sei die Veröffentlichung des Inhalts der geheim gehaltenen Seiten «entscheidend für unsere Aussenpolitik».
Experte: USA muss Saudiarabien-Politik überdenken
Die Resolution verlangt, alle Informationen «über die Verwicklung gewisser ausländischer Regierungen» in den Massenmord von 9/11 publik zu machen – nach Ansicht Washingtoner Kenner der Materie ein klarer Verweis auf Saudiarabien. So brisant seien Einzelheiten des nicht publizierten Teils des Reports, dass die US-Politik gegenüber Saudiarabien nach einer Veröffentlichung wahrscheinlich revidiert werden müsse, meint der New Yorker Journalist Craig Unger, der einen Bestseller über die Rolle des saudischen Königshauses in der amerikanischen Politik schrieb und sich dabei eingehend mit 9/11 befasste.
Die geheimen Passagen des Berichts belasteten die Saudis schwer, glaubt Unger – nicht unbedingt die saudische Regierung, «aber das Königshaus mit seinen Tausenden von Angehörigen». Mitglieder der königlichen Familie «spenden viel Geld für Wohltätigkeitsorganisationen, und davon fliesst einiges in die Terrorszene», so Unger. Der Vorsitzende des damaligen Untersuchungsausschusses, Floridas ehemaliger demokratischer Senator Bob Graham, verlangte bereits 2011 eine neue Untersuchung mit der Begründung, die saudische Verwicklung in 9/11 sei verschleiert worden. Graham deutete an, dass Mitglieder der königlichen Familie die Attentäter unterstützt hätten.
Weg frei für Klagen von US-Bürgern gegen Saudiarabien
Nicht nur an dieser Front drohen den Saudis politische Probleme: Mitte Dezember entschieden drei Bundesrichter in New York, dass die Hinterbliebenen der 9/11-Opfer gegen Saudiarabien klagen können. 2002 war ein derartiges Ersuchen von einem Bundesgericht unter Verweis auf saudische Souveränität abgeschmettert worden, jetzt aber scheint der Weg frei. Er sei «ekstatisch», bekannte daraufhin William Boyle, dessen Sohn beim Anschlag auf das World Trade Center gestorben war: «Ich habe zwölf Jahre lang gekämpft, um die Mistkerle zu entlarven, die das finanziert haben», sagte Boyle nach dem Richterspruch.
Für die Saudis hätte das Urteil zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können: Zusehends schert sich Washington weniger um sie und ihre Belange. Zum einen ist saudisches Öl kaum mehr wichtig für die amerikanische Energieversorgung: Dank der Fracking-Technologie werden die USA bald autark sein. Ausserdem erweist sich der US-Verbündete am Golf als zusehends renitenter Partner, den Zweifel an amerikanischer Verlässlichkeit plagen.
Nahost-Politik der Amerikaner verärgert die Saudis
In Riads Augen zeigte der Fall des ägyptischen Autokraten Hosni Mubarak, wie schnell Washington einen langjährigen Freund zu opfern bereit war. Dass die Obama-Administration obendrein willens schien, der ägyptischen Muslimbruderschaft und Präsident Mohammed Mursi demokratische Legitimität zuzusprechen, verstörte die Saudis ebenso. Kaum hatten sie sich beruhigt, erregte der Zickzack-Kurs Barack Obamas in Syrien neuerlich ihren Unwillen: Der US-Präsident war offensichtlich nicht geneigt, Teherans Verbündeten Bashar al-Assad mit amerikanischer Waffengewalt aus dem Amt zu jagen.
Doch damit nicht genug: Obama bändelte sogar mit den saudischen Erzfeinden in Teheran an. Trägt die Annäherung Früchte, kehrten sich die Verhältnisse im Nahen Osten womöglich grundlegend um und bedrohten die Vormachtstellung der Saudis am Golf. Falls Obama die geheimen Passagen des 9/11-Untersuchungsreports freigäbe, könnte sich die amerikanische Abnabelung von Riad beschleunigen. Wenn schon die Abgeordneten Jones und Lynch «absolut geschockt» waren vom Inhalt der geheim gehaltenen 28 Seiten des Untersuchungsberichts, dürften es die Amerikaner erst recht sein.