Am Donnerstag, den 19.12., fand auf dem Potsdamer Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße eine Soliaktion für die Hamburger Rote Flora und die aus Lampedusa Geflüchteten sowie die Essohäuser statt. Eine Gruppe von 30-40 Leuten zog mit „Refugees Welcome“-, „Flora bleibt!“- und anderen Schildern und Flyern ausgerüstet über den Weihnachtsmarkt. Ergänzend an die Aktion ein Erfahrungsbericht zur internationalen Demo und Polizeirepression in Hamburg.
Am Donnerstag, den 19.12., fand auf dem Potsdamer Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße eine Soliaktion für die Hamburger Rote Flora und die aus Lampedusa Geflüchteten sowie die Essohäuser statt. Eine Gruppe von 30-40 Leuten zog mit „Refugees Welcome“-, „Flora bleibt!“- und anderen Schildern und Flyern ausgerüstet über den Weihnachtsmarkt, um in der behaglichen und vorweihnachtlichen Stimmung eigene Akzente zu setzen. Doch warum das Ganze?
In Hamburg versucht eine Gruppe - bekannt geworden unter dem Namen Lampedusa in Hamburg - gemeinsam mit Unterstützer_innen die lebensgefährliche Situation von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer und in Lampedusa, einer kleinen Insel vor dem europäischen Festland, wo Jahr für Jahr tausende Flüchtlinge versuchen Schutz und ein besseres Leben zu finden, zu thematisieren.
Regelmäßig erreichen uns erschreckende Nachrichten über Tragödien im Mittelmeer, kleine völlig überfüllte Fischerboote kentern im Mittelmeer. Hilfe vergebens. Sollten sie es nach Europa schaffen, werden sie verfolgt, kriminalisiert und weggesperrt. In Hamburg hat eine Gruppe von Flüchtlingen eine Notunterkunft in der St.- Pauli- Kirche erhalten. Lange nicht Alle. Die konsequente Forderung für ein Gruppenaufenthaltsrecht passt der Politik und Polizei nicht ins Konzept. Sie fordern die Registrierung der Flüchtlinge, was sie in die zähen Mühlen der rassistischen Bürokratie presst.
Aber nicht nur die Lampedusa- Gruppe war Grund für die Demo.
Das seit 20 Jahren besetzte Zentrum Rote Flora steht vor der Räumung durch die privaten Investoren Gert Baer und Klausmartin Kretschmer. Sie interessieren sich für profitable Investitionspläne mit einem Veranstaltungsraum, Kita und anderen Projekten. Selbstverwaltete und unkommerzielle Zentren passen ihnen nicht ins Geschäftsmodell.
Der lange Kampf für selbstverwaltete Projekte ist leider immer wieder und überall Thema.
Vor dem Problem der Stadtumstrukturierung stehen auch die Essohäuser. 2009 an die Bayrische Hausbau GmbH verkauft, will diese sie abreißen lassen und Platz für zahlungskräftiges Publikum im Wohn- und Gewerbebereich machen. Vor kurzen mussten die Häuser aufgrund von Einsturzgefahr geräumt werden, und die Bewohner_innen stehen teilweise ohne Hilfe da . Damit geht der Bayrischen Hausbau GmbH ihr Profitstreben vor den Schutz der Bewohner_innen.
Grund genug für uns, die Situation der Projekte zu thematisieren und uns mit ihnen zu solidarisieren.
Nach kurzem Warmsingen und dem Verteilen von Flyern und Schildern starteten wir an der Peter- und Pauls- Kirche und zogen gemeinsam über die Brandenburger Straße zum Luisenplatz.
Fragende Blicke wurden mit Plakaten, Flyern und Gesprächen beantwortet.
Die zahlreichen Fressbuden erhielten eine Räumungsaufforderung bis zum 20.12.13. Unterzeichnet von G. Baer und K. Kretschmer.
An verschiedenen Kreuzungen und Flächen die noch nicht vom Verkaufs- und Fressbuden belegt waren breiteten wir uns zum Weihnachtssingen aus. Es wurde ein Konzert, „ein Fest der Sinne“, angekündigt und umgedichtete Weihnachtslieder zum Besten gegeben. Das weihnachtlich gestimmte Publikum gab eine meist positive Resonanz, zeigte Interesse und nahm Flyer entgegen, die zur Demo in Hamburg am 21.12. aufriefen und über Residenzpflicht und die Räumungsandrohung gegen die Flora informierten. Am Luisenplatz angekommen, folgte das große Abschlusskonzert vor der Märchenbühne.
Zur Feier des Tages wurde die Musik abgedreht und die Sänger_innen konnten nochmal ihr Bestes geben. Die nötige Aufmerksamkeit haben wir auf jeden Fall erhalten. Erfolgreich und ohne Repressalien durch eine übermotivierte und nach preußischer Ordnung strebende Polizei konnten wir die Spontandemo ohne Verhaftungen beenden.
Für mehr selbstverwaltetes Wohnen und Leben! Autonome Zentren aufbauen und verteidigen!
Für bunten, vielfältigen und entschlossenen Widerstand gegen neoliberale Stadtentwicklung und Rassismus in Hamburg Potsdam und überall!
Des Interesses wegen hier die Texte der „Weihnachtslieder“:
(Melodie Fröhliche Weihnacht)
Fröhliche Weihnacht überall,
auch in der Flora, selbst wenn's knallt.
Räumungsbescheid vom Privatinvestor,
der nahm sich ja ganz schön was vor.
Fröhliche Weihnacht überall,
auch in der Flora, selbst wenn's knallt.
Darum alle laufet mit in der Demonstration,
denn räumen lassen wir uns nicht; nicht ohne Konfrontation.
Fröhliche Weihnacht überall,
auch in der Flora, selbst wenn's knallt.
(Melodie Oh Tannenbaum)
Oh Europa, Oh Europa,
wie hoch sind deine Mauern.
Du schiebst nicht nur, du drängst auch ab,
zurück ins Meer, ins Massengrab.
Oh Fro(ho)ntex, Oh Fro(ho)ntex,
wie sehr sind wir dir dankbar.
Alle Jahren wieder
Mieterhöhungen
prasseln auf uns nieder
in den Wohnungen.
Besetzt mit unsren Sägen,
geht rein in jedes Haus,
ihr könntet Freiheit leben;
Spekulant_innen raus!
Einige Gedanken über die Proteste und Gewalt bei der internationalen Demo für die Rote Flora, die Essohäuser und die Forderungen der Lampedusa in Hamburg Gruppe für das Bleiberecht für Refugees.
Wir haben uns mit einer Gruppe in den Morgenstunden auf den Weg nach Hamburg gemacht, um unseren Protest gegen die herrschenden Zustände und in Solidarität mit den Protesten in Hamburg auf die Straße zu tragen. Schon im Voraus bestand die Befürchtung, dass wir durch Polizeikontrollen an der Teilnahme gehindert werden. Nach Hamburg und bis zur Roten Flora kamen wir ungehindert. Vorkontrollen gab es nicht, ebenfalls kaum Polizisten auf dem Weg zur Demo. Auch gut, allzu oft werden Alltagsgegenstände von der Polizei zu gefährlichen Waffen uminterpretiert. An der Flora angekommen war die Gruppe schon so groß, dass sie nur schwer zu überschauen war. In letzten Absprachen klärten wir unsere Ziele und Bezugsgruppen, zum Großteil auf eine laute kraftvolle Demo gespannt, ohne dabei die Konfrontation zu suchen.
Wir versuchten noch ein wenig nach vorn zu gelangen, als sich der Demozug in Bewegung setzte – laut, kraftvoll und unter Einsatz von Pyrotechnik. Zu dem Zeitpunkt sahen wir noch keine Eskalation oder Angriffe auf die Polizei, doch das erste, was wir dann sahen, waren die Wasserwerfer, die anscheinend ohne Vorwarnung massiv in die Demo zielten. Recht schnell wurde darauf geantwortet. Die Demo blieb trotz Wasserwerfer und Polizeiübergriffe zum Großteil stehen. Es folgten erste Reaktionen aus der Demo: Pyro, Böller, Flaschen.
Die Polizei schien das zu tun, was sie heraufbeschwören wollte. Sie blieb, griff die Demo an, schoss weiter mit Wasserwerfern, deren Wasser wohl auch mit Reizstoffen versetzt wurde und rannte immer wieder bis tief in die Demo hinein und verprügelte Menschen. Die Antwort war deutlich und konsequent. Die Polizei wurde nicht selten massiv angegriffen und teilweise zurückgedrängt. An eine kraftvolle Demo war dann schon nicht mehr zu denken. Die Konfrontation verlagerte sich langsam auf die Kreuzung Schulterblatt/Juliusstraße. Dort griff die Polizei weiter die Leute an und verletzte viele mit Pfefferspray und Schlagstock. Eine Person brach hinter den Polizeikräften zusammen. Überraschender Weise wurden wir als Ersthelfer_innen durchgelassen und konnten die Person in Sicherheit bringen. Als sich die Lage halbwegs beruhigte, die Polizei aber noch mitten auf der Kreuzung stand und die Masse der Demonstrierenden aufspaltete, gab es Zeit um sich neu zu organisieren und wiederfinden. Das „Recht auf Stadt“-Bündnis hatte sich zu dem Zeitpunkt schon um eine neue Demo bemüht, die in Richtung Essohäuser ziehen sollte. Nach 500 Metern schienen die Polizist_innen wieder die Eskalation zu suchen. Sie versperrten den Weg und sagten, wir könnten wieder demonstrieren, aber dann nur zurück zur Flora, woher wir kamen. Die Leute zogen schließlich in größeren Gruppen durch die Stadt, um zu den Essohäusern zu gelangen. Auf der Reeperbahn angelangt waren wieder viele Leute zu sehen, vor der Davidwache auch wieder Wasserwerfer. Es folgten wieder Auseinandersetzungen. Die Cops bedrängten Leute, die auf dem Weihnachtsmarkt standen. Wieder eine hervorragende Situation, um eine Massenpanik zu schaffen. Als wir bei der Versorgung eines Verletzten helfen wollten, kamen kurz darauf die Cops und wollten uns zurückdrängen. Scheinbar stellten ein Dutzend Menschen für die 22. oder 23. Hunderschaft der Niedersächsischen Polizei eine gefährliche Masse dar. Es kam wieder zu groben Schubsereien und Ersthelfer_innen wurde von Polizist_innen ins Gesicht geschlagen – mit dem Hinweis, dass es ihnen egal sei, ob sie helfen. Wir hoffen, dass zumindest der später eingetroffene Krankenwagen durchgelassen wurde.
Mittlerweile war lange klar, dass die Cops die Situation gänzlich eskalieren lassen wollten oder mit ihrer Zersprengungstaktik nicht zurecht kamen und es ihnen zu viele Leute waren.
Für uns stellte sich nun die Frage, ob und wie wir vor Ort bleiben wollten.
Im Rückblick betrachtet scheint es uns sehr deutlich, dass die Eskalationstaktik der Cops den ganzen Tag durchgezogen wurde. Irgendwie mussten Gefahrenprognose und Gefahrengebiete der Cops legitimiert werden, da die Medien erst sehr spät auf den Zug der Dramatisierung aufgesprungen waren.
Das Stoppen und Angreifen des Demozuges wurde aufgrund von fadenscheinigen Argumenten wie zu früher Start der Demo und Angriffe auf die Cops durchgezogen – auch wenn die Argumente durch Berichte von Zeug_innen und Videos widerlegt wurden. Auch Pyro auf Demos oder in Menschenmassen darf umstritten sein, kann und darf aber noch keinen Angriff durch die Polizei auf Demonstrierende legitimieren.
Die Demo war aus unserer Sicht lautstark, entschlossen und kraftvoll. Mit einem derartigen Angriff gleich zu Beginn konnte es keine andere Entwicklung geben.
Hätten sich die Cops zurückgehalten und „kleinere Rechtsbrüche“ hingenommen, hätten sie bei weitem nicht die Ausschreitungen erreicht, wie sie sie selbst hervorgerufen haben. Das schien aber nicht politischer oder polizeilicher Wille gewesen zu sein.
Wenn der gute Mirko Streiber (Polizeisprecher) meint, dass es die schwersten Krawalle seit Jahren waren und entschlossenes Eingreifen nötig war, bleibt fraglich, warum bei massenhaft anwesenden BFE- Einheiten, die ja zum gezielten Festnehmen da waren, lediglich ca. 20 Festnahmen verbucht wurden – vielleicht, weil der Rest mit dem Verprügeln von Menschen beschäftigt war. Nebenbei wurde noch eine ganze Versammlung in Gewahrsam genommen, um gewünschte Zahlen präsentieren zu können. Auch die vermeintlichen Angriffe auf die Polizei bleiben fraglich, wo doch anfangs keine Polizei direkt vor der Demo stand. Die Polizist_innen mussten ja erst auf die Demo zulaufen, um sie zu stoppen. Selbst dabei blieb es verhältnismäßig ruhig, aber schon nach wenigen Minuten wurden die bereit stehenden Wasserwerfer eingesetzt und die Stimmung so nachhaltig aufgeheizt.
Wo Ausschreitungen sind, ist auch die Gewerkschaft der Polizei nicht weit. Herr Lenders forderte gleich das Verbot von Demos, die aufgrund polizeilicher Einschätzung als gewalttätig eingestuft werden.
„Da müssen auch Verwaltungsgerichte derartige Gefahrenprognosen der Polizei respektieren, aktzeptieren und dann auch mal eine Demonstration [...] zu verbieten“ Gewaltenteilung? Anscheinend nicht mit der GdP.
Für uns ist klar, dass es gewollte und bewusst provozierte Bilder waren, die die Polizeiführung haben wollte. Das unnötige Aufhalten der Demo und der Einsatz von Wasserwerfern von Beginn an war Mittel zum Zweck, um Ausschreitungen hervorzurufen. Bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse Polizei und Politik daraus ziehen. Ist das ein Vorgeschmack auf eine mögliche Räumung? Kann und will die Stadt noch für die Flora einstehen? Vor allem wie gestaltet sich der Protest und Widerstand gegen Räumungen bei militärisch aufgerüsteten Polizeieinheiten und anscheinend hemmungslos prügelnden Polizeieinheiten, der durch ihre martialische Ausrüstung kaum etwas entgegengesetzt werden kann?
Es bleiben viele offene Fragen, die es zu klären gilt. Wir sind gespannt, was die Zukunft bringt.