Brutal gegen Demonstranten, Absetzung des Staatsanwalts

Erstveröffentlicht: 
27.12.2013

Türkische Regierung versinkt im Korruptionsskandal. Von Florian Rötzer.
Premierminister Erdogan kann die Korruptionskrise trotz Rücktritt von drei Ministern und der Umgruppierung seiner Regierungsmannschaft nicht eindämmen. Seine Partei AKP war gegen die Korruption angetreten und ist nun tief verstrickt in sie. 24 Personen, darunter zwei Söhne von Ministern und der Direktor der Staatsbank, wurden aufgrund von Korruptionsvorwürfen verhaftet. Nach den Ermittlungen wurden von ihnen Handelssanktionen gegen den Iran unterlaufen und gab es bei den Großbauprojekten, auf die Erdogan gesetzt hat, Korruption in großem Stil. Auch Erdogans Sohn Bilal soll darin verwickelt sein und angeblich am 2. Januar von der Staatsanwaltschaft befragt werden.

 

An den rigoros durchgesetzten Großbauprojekten waren im Sommer die Proteste aufgeflammt, die Bebauung des Gezi-Parks war der Auslöser, der schließlich dazu führte, dass in den Städten des Landes die Menschen gegen die Regierung der islamischen AKP und des selbstherrlich regierenden Erdogan auf die Straße gingen, der die Stärkung des Islam mit Wirtschaftswachstum liierte.

 

Wie schon im Sommer greift nun die Regierung auch wieder zur Gewalt, um die aufflammenden Proteste wohl im Keim zu ersticken. Angeblich wurden Überwachungskameras von städtischen Angestellten verhängt. Wieder müssen Verschwörungstheorien dazu dienen, das Handeln zu legitimieren. Am Freitag ging die Polizei gleich mit Wasserwerfern, Tränengas und Plastikgeschossen gegen einige tausend Demonstranten in Istanbul vor. Auch in anderen Städten wie Izmir oder Ankara kam es zu Protesten. Die AKP griff auch gleich wieder zu der Strategie, die im Sommer erst spät eingesetzt wurde, und mobilisierte Anhänger, die für Erdogan auf die Straße gingen.

 

Nachdem Erdogan, was man durchaus als Eingeständnis verstehen kann, nach dem Beginn der Ermittlungen, zahlreiche Polizisten entlassen hatte, wollte er noch durchsetzen, dass Korruptionsermittlungen nur noch von den hochstehenden Polizisten und Staatsanwälten eingeleitet werden können. Bislang konnten dies alle Staatsanwälte. Das war ein deutliches Signal, dass man von oben die Korruptionsermittlungen steuern wollten, zumal die höchsten Posten von regierungsnahen Menschen besetzt sind. Noch allerdings funktioniert die Unabhängigkeit des Rechtssystems in diesem Fall. Das Oberverwaltungsgericht machte Erdogan erst einmal einen Strich durch die Rechnung und hob die Anordnung auf. Am Donnerstag hatte bereits das oberste Gericht den Plan der Regierung als verfassungswidrig verworfen, die schneller über Korruptionsermittlungen informiert werden sollte. Polizeichefs hätten diese dem Innenministerium ausführlich darlegen müssen, was nach Ansicht der Richter die Unabhängigkeit des Rechtssystems untergrabe. Für Erdogan war dies ein Gesetzesbruch, was auch demonstriert, in welcher Bedrängnis sich der Regierungschef befindet.

 

Allerdings behauptete der Staatsanwalt Muammer Akkaş, der die Ermittlungen leitete und der die Regierung reizte, indem er auch Erdogans Sohn befragen will, in einer Pressemitteilung, dass sich Polizisten bereits geweigert hätten, weitere Verhaftungen auszuführen, und dass der Oberstaatsanwalt von Istanbul die Ermittlungen behindern würde. Die Reaktion kam prompt, er wurde zunächst ohne Nennung von Gründen von dem Fall abgezogen. Später hieß es, er habe Informationen an die Medien weiter gegeben und "zufällige Ermittlungen" durchgeführt. Akkas warf der Regierung und dem Oberstaatsanwalt "offene Repression" vor und den Versuch vor, Verdächtige zu schützen und Beweismaterial zu beseitigen.

 

Das Militär hat erklärt, nicht einzugreifen, während die türkische Währung und die Aktien abstürzen. Bislang konnte Erdogan mit dem Wirtschaftswachstum punkten, das sich seiner Regierung verdanke. Wie sich im Sommer zeigte, dürfte dies neben dem Fehlen einer breiten Opposition vor allem der Grund sein, warum er und seine Regierung die Proteste relativ unbeschadet überstanden haben und die Oppositionsbewegung sich erschöpft hat. Das könnte sich ändern, wenn die Korruption in den Regierungsreihen, die möglicherweise bis zu ihm selbst reicht, mitsamt den Versuchen, die Ermittlungen zu unterdrücken, sich negativ auf Wirtschaft und Finanzen auswirkt. Die Türkei ist auch Investitionen aus dem Ausland angewiesen, weil das Land stets mehr einführt als exportiert, also eine negative Handelsbilanz aufweist. Die Frage aber bleibt - auch im Westen - angesichts des Machtvakuums: Türkei: Was kommt nach Erdogan?

 

Kritik kommt mittlerweile auch in der AKP selbst hervor. Drei Abgeordnete, die sich scharf gegen die Haltung der Partei im Hinblick auf die Korruptionsaffäre äußerten, zogen ihrem Parteiausschluss den Austritt vor. Erdal Kalkan, einer von ihnen, begründete seinen Rücktritt u.a. so: "Politische Parteien sind nicht der persönliche Besitz von Politikern. Sie sind auch nicht das Eigentum von Erdogan. Politische Parteien sind die sozialen Produkte, die den Millionen von Menschen gehören, die sie geschaffen haben."