Mittwochabend im Josfritzcafé. Die Initiative Sozialistisches Forum (ISF) hat zum "Café Judenhass" mit dem Publizisten Henryk M. Broder geladen. Unser Nightlife-Guru hat sich noch ins Publikum drängeln können und den Abend mit all' seinen Zwischenrufen dokumentiert:
Die Jungs an der Tür
Günther Glanz rechnet nicht mit einer Schlägerei („Das Durchschnittsalter ist 45!“)
und will keinen mehr reinlassen – alles gerammelt voll. Ich frage, ob
ich noch reindarf, weil ich ein Artikelchen schreiben soll. Glanz wirkt
enorm unbeeindruckt von meiner Mission, läßt den Schmierfinken aber doch
noch durch. Merci!
Ich komme circa einen Meter weit in den Laden
und hefte mich bündig zwischen die anderen Interessierten ab. Jacke
ausziehen aussichtslos, ich schwitze ergeben.
Inneneinrichtung und Deko
Heute sind Menschen die Deko, sonst ist nichts zu sehen. Menschen,
Menschen, Menschen. Dicht an dicht ist das Jos Fritz besetzt. Ich
verwende an dieser Stelle absichtlich nicht das im Kontext heikle
Viehwaggon-Bild.
Wer war da?
Zauselige Althippies und -grüne, in Würde gealterte
Studienrät_Inn_E_N, Frauen mittleren Alters, die Claudia Roth als
Style-Ikone haben. Junge Männer im linksradikalen Intellektuellenlook,
junge Männer mit Piercings und/oder Kapuzenpulli und/oder
St.-Pauli-Piratenlogomütze und/oder Turbostaat-Rucksack, sowie ein nur
subtil szenig aussehendes Kontingent, das diesen selbstbewußten Linksradikalen-Machismo
ausstrahlt und das ich für die antideutsche Delegation halte.
Politikstudenten der adretten und der weniger adretten Sorte.
Kurzhaarige Frauen, die vermutlich Lesben oder Buchhändlerinnen oder
beides oder, seien wir ehrlich, wahrscheinlich keines von beidem. Der
Rest ist auffällig unauffällig.
Debatten und Argumentations-TÜV
Die Atmo ist einzigartig. Der erste „Unsinn“-Zwischenruf kommt nach wenigen Minuten während Broders Impulsvortrag zum Antisemitismus in Deutschland allgemein („Infragestellung des Existenzrechts für Israel ist Sonderbehandlung für einen ganzen Staat!“), zur Definition von Antisemitismus („Schwierig“, „I know it when I see it“ und „Krankhafte Zuwendung zum Juden“).
Das erste „Faschist“ fällt um 21:03 Uhr. Das „Schnauze!“ - „Faschist!“ - Wechselspiel wiederholt sich im Laufe des Abends regelmäßig mit Varianten. An Broder gerichtet: „Nehmen Sie die Formulierung zurück!“ - aus dem Publikum: „Halt die Fresse!“
Ein ISF- oder ca-ira-Altkader belegt einen altgrünen Abgeordneten von hinter der Theke mit „Geh zurück in den Landtag“, und verpasst Gabi Weber zwei mit den Worten: „Ich möchte ganz kurz auf die Frage eingehen, warum Gabriele Weber eine Antisemitin erster Ordnung ist!“. Sein Monolg klingt für mich als Nicht-Juristen eventuell jutiziabel. Broder weiß nicht, wie „das Dorf hier heißt“ („Augsburg?“) und was die Leute, die ihn irgendwas fragen, überhaupt meinen, sowie wer, im Gegensatz zu Israel, Belgien vermissen würde („Ein paar Pädophile,“ rät er).
Die
Café-Palestine-Fraktion kontert mit langatmigen, von
Menschenrechtspathos getränkten und im Vergleich zu Broder ungleich
weniger knackig formulierten und mithin leider schwieriger ziterbaren
Redebeiträgen über Frieden und Gerechtigkeit und Zusammenleben. Fast
niemand stellt tatsächlich Fragen.
Immer wieder breiten Redner ihre Jewdentials in Form teils gar „unendlich vieler“
jüdischer Freunde und Verwandte sowie diverser Israelbesuche aus, was
Stöhnen, Augenrollen und Gelächter auslöst. Jemand fordert Broder auf,
mit seiner für inakzeptabel befundenen Art doch bitte der Stadt
fernzubleiben, der palästinensische Exmann von Gabriele Weber tritt als
Charakterzeuge auf, irgendwer, habe leider vergessen wer, fragt jemanden
auf der anderen Seite des Raums, ob er von ihm jemals eine
antisemitische Äußerung gehört habe (scheinbar nicht). Es ist ganz, ganz
schlimm.
Broder kritisiert, dass Leute sich zu sehr auf Israel
fixierten, und fordert, dass man sich doch auch um die Probleme und
Verbrechen anderer Länder kümmern solle („Warum kümmert man sich nicht in demselben Maße um Tibet und Nordzypern?“),
was nur zur Folge hat, dass von den Fragern jetzt auch noch der
sonstige Aktivismus ausgebreitet wird. Eine Frau war in Damaskus, als „es losging“. Schön.
Als ein um Sachlichkeit bemühter Frager sich gegen Ende der Veranstaltung den in der Tat ziemlich bitteren Versprecher „Wir alle wollen doch weg vom Zionismus!“ (statt: „Antisemitismus“) leistet, bricht 30 Sekunden lang Gejohle und Gelächter aus. Hinter mir sagt jemand
„Ich glaube bei dem Milieu, in dem er sich bewegt schon fast, dass das
jetzt tatsächlich das war, was er eigentlich sagen wollte.“
An der Bar
Wir stehen bis zur Bewegungsunfähigkeit dicht an
dicht zusammengepfercht. Auf der Theke liegen Veröffentlichungen des
ISF-Verlags ca ira aus. Der Titel „Rote Armee Fiktion“ macht mich
neugierig, aber ehhh.
Auf dem Klo um elf
Das Klo könnte genausogut unter dem antarktischen Eisschild liegen,
beziehungsweise es liegt halt unter dem Freiburger Menschenschild. Da
komme ich heute nicht hin. Ich komme aber auch nicht an die Bar, so dass
der Verlust verschmerzbar ist. Frage mich, wie der Abend verlaufen
wäre, wenn jeder Anwesende im Schnitt ein Bier mehr getrunken hätte.
Aufregerle/Aufheiterle
Abgesehen vom kompletten Rest des Abends stechen diese Szenen heraus: Eine Frau sieht mich Notizen machen und fragt „Persönliche Mitschrift?“ Ich so: „Nee, muss Artikelchen, bla bla.“ Sie so: „Schreiben Sie für die gestörte Badische?“ Ich so: „Nee." Sie so: „Noch schlimmer? Schreib einfach 'Juden sind Scheiße', man muss es nicht immer hinter Argumenten verstecken.“
Ein
alternativ aussehender junger Mann verteilt am Ausgang ISF-Programme,
eine alternativ aussehende junge Frau (hat einen dieser Kopfwickel auf)
nimmt eines, fragt: „Sind das die Leute, die sagen, dass Café Palestine Nazis sind?“ Er so: „Yep!“ Sie zerreißt das Programm, behält die Stücke aber ordentlich in der Hand.
Fazit
Der Abend ist, abgesehen von schierem, adrenalin- und testosteronsabberndem Irrsinn, ein einziges langes Tone Argument. Das Tone Argument
kommt aus den Kommentargewittern der Anti-ismus-Tumblr und besagt, dass
man Sachen zwar sagen dürfe, aber bitte nicht in diesem Ton.
Die
Aktivisten halten dem entgegen, dass detachierter Feinsinn ein Privileg
derer ist, die nicht jeden Tag -istische Scheiße anhören müssen, und
dass das Tone Argument eine Form von Derailing ist, um die Diskussion
von den angesprochenen Problemen, zu denen der Verwender der Technik
keine gute Entgegnung habe, abzulenken auf die Stilebene. Das
Gegenargument ist, dass natürlich Aggression und der Sprung auf die
persönliche Ebene („Faschist!“) ebenso taugliche Derailinginstrumente sind.
Die
Debatte ist getränkt mit steinalten persönlichen Animositäten, stark
durchritualisiert und infolgedessen vollkommen verhärtet. Niemand kann
und will unter diesen Voraussetzungen inhaltlich arbeiten, alle arbeiten
bloß ihre Skripte ab („Ich versteh das nicht. Die wollen, dass man sachlich diskutiert, aber sie selber...“).
Ob man Broders aggressive Witzischkeit oder das Gesülze der
Helfersyndromler schlimmer findet, ob man der Meinung ist, dass Israel
zu viel (wegen Antisemitismus) oder zu wenig (wegen Holocaust)
kritisiert wird, stelle ich mal als Debattenanreiz ins Plenum.
Broders Schlusswort ist sinnbildlich für den gesamten Abend: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen heute ging, aber ich hatte Spaß.“ Er hatte Spaß. Die Café-Palestine-Fraktion hat sich empört. Ich war verwundert. Alle hatten ihre Lieblingsgefühle.
Schön.