Schlachthof Schlachtfeld - Tiere im Menschenkrieg

Schlachthof Schlachtfeld

Wenn von Krieg die Rede ist, dann in der Regel auch nur von Menschen. Täter und Opfer werden schnell zu Zahlen – wen wundert es, dass Tiere überhaupt nicht dazu gezählt wer­den. Dabei haben Tiere im Krieg immer eine tragende Rolle gespielt, wenn nicht sogar überhaupt erst den Grund dafür geliefert, dass Kriege geführt werden. In der Buchreihe Tierrechte – Menschenpflichten des Harald Fischer Verlags ist 2010 der Band „Schlacht­hof Schlachtfeld – Tiere im Menschenkrieg“ erschienen. Rolf Schäfer und Wolfgang Wei­mer untersuchen darin die hemmungslose und erfindungsreiche Verwen­dung von nicht-menschlichen Lebewesen als „tierliche Soldaten“.

 

Die Autoren unterteilen ihre Analyse in zwei große, übersichtliche Abschnitte. Zunächst ge­ben sie den historischen Verlauf wider und zeigen auf, welche Rollen Tiere in menschli­chen Auseinander­setzungen gespielt haben. Die Zeitspanne reicht von den Anfängen der Menschheit bis in die Gegenwart. Hierbei richten sie vor allem ihren „Blick auf Verände­rungen, Tenden­zen und neue Fragestellungen“ (S.58) in der Militärgeschichte. Im zweiten Teil wird unter sys­tematischen Gesichtspunkten untersucht, inwiefern die aus dem ersten Teil empirisch ge­wonnenen Befunde sich auf die heutige Zeit auswirken in Bezug auf Fragen nach dem moralischen Status der für Krieg verwendeten Tiere, nach dem rechtli­chen Status und über die Stellung der Religion.

»Es sind die eigenen Vertrauten,

die das Tier in den nicht zwangsläufig

schmerzfreien Tod schicken.«


Die Rekrutierung von Tieren zu militärischen Zwecken unterliegt einigen Besonderheiten, über die bislang wenig nachgedacht wurde. Das macht das Buch produktiv für eine weiter­gehende tierethische Beschäftigung. Obwohl es mit seinen 160 Seiten sehr knapp er­scheint, schaffen es die Autoren in einem präzisen und stets angenehm lesbaren Stil, eine Dimension nicht-menschlicher Ausbeutung zu eröffnen, die auf eine „bemerkenswerte Lücke“ (S.7) in den bisherigen ethischen Diskursen aufmerksam macht. Denn den Tieren wird durch Dressur und Disziplinierung, durch ein System von Belohnung und Bestrafung – analog zu menschlichen Rekruten – ein naturwidriges Verhalten aufgezwungen, das „von dem Tier eine gewisse Mitwirkung erfordert“ (S.63). Anders also als bei den ohnmächtigen Gefangenen in der Massentierhaltung, den zu Lust und in Frust gehaltenen Zoo- und Zirkustieren, den zu Höchstleistungen angetriebenen tierlichen Sportgeräten, erfüllen „Tiersoldaten“ einfache, aber aktive Funktionen wie die menschlichen Soldaten aufgrund ihrer spezifi­schen Individualität und werden dementsprechend bekämpft bzw. unter bewuss­ter Inkauf­nahme ihres Todes eingesetzt. Das alles beschert ihnen einen ungeklär­ten moralischen Status, der durch keinerlei Gesetz explizit geregelt ist.

Als Ursache für Krieg schlechthin, so die Hypothese der Autoren, kann in der urzeitlichen Menschheitsgeschichte die Domestikation von Tieren, allen voran des Pferdes, angesehen werden, nämlich „zum Transport der Beute sowie als Beute selbst“ (S.18). Das Pferd bleibt auch Hauptprotagonist in den nachfolgenden Epochen. Wenn es aber galt, einen Krieg vorzubereiten oder Nachschub zu transportieren, so waren Tiere, in diesem Fall Esel- oder Ochsengespanne, immer im Einsatz. Pferde ermöglichten, so in den antiken Mittelmeerkulturen, etwa im Streitwagen eine erhebliche strategische Verbesserung der Kriegsführung. Eine Neuheit bildeten die Kriegselefanten, die erstmals von den Persern gegen die Griechen zum Einsatz kamen. Diesem tierlichen Panzer allerdings musste man die „Bereitschaft, ohne weiteres Feinde niederzutrampeln (…) andressieren, da er von Natur aus eher die Neigung hat, Hindernisse zu übersteigen. Dies ist oft durch die Verab­reichung von Alkohol erreicht worden.“ (S.30f) Auch Hunde wurden, da sie schon zur Jagd gegen Feinde abgerichtet worden waren, zum Kampfeinsatz geschickt, doch war ihr Ein­satz weniger kriegsentscheidend. Ab dem Mittelalter begann, mit zunehmender Technisie­rung von Waffen, die Wichtigkeit von Tieren abzunehmen. Ihr Einsatz wurde damit keineswegs aufgegeben, sondern einfach sublimiert. Pferde beispielsweise über­nahmen als Statussymbole eine entscheidende Rolle, so wie heutzutage Tiere im Krieg auch als Maskottchen für die Menschen psychologisch wichtig sind. Mittelalterliche Ritter verschmolzen mit den eigens gepanzerten Pferden zu einer „stolzen“ Einheit.
Erst ab dem 19. Jahrhundert können ernstzunehmende Zahlenangaben über eingesetzte Tiere an der Front gewonnen werden. So wurden beispielsweise im 1. Weltkrieg 14 Millio­nen Tiere eingesetzt, im 2. Weltkrieg sogar 30 Millionen. Dabei wirkte der verheerende Einsatz von modernen Waffen „entsetzlich in ihrer Sinnlosigkeit“ (S.60). Als Beispiel geben die Autoren eine Schilderung wieder, wonach „im sowjetisch-finnischen Winterkrieg Pferde aus einem von der Artillerie in Brand geschossenen Waldstück in einen See flüch­teten, der dann nächtens zufror, so dass am nächsten Tag die Eisoberfläche mit Pferde­köpfen bedeckt war“ (ebd.). Eine übersichtliche Tabelle zeigt auf zwei Seiten die Vielfalt der verwendeten Tierspezies und ihre militärische Funktion. Eigene Kapitel über Kriegsfor­schung an Tieren und eine historische Übersicht über außereuropäische Militärnutzung von nicht-menschlichen Lebewesen beschließen den ersten Teil des Buches. Die Quellen, aus denen die geschicht­lichen Beschreibungen entnommen werden, sind meistens angegeben und plausibel inter­pretiert. Und doch gilt für das gesamte Buch, dass ein durchgängiger Fußnotenapparat die vielen Detailinformationen mit Gewinn belegt und für eine vertiefende Lektüre unterstützt hätte. Das ausführliche Literaturverzeichnis lässt einen aber darüber hinwegsehen. Als Fazit hält das Autoren-Duo fest, dass die Zeiten des Masseneinsatzes vorbei seien. Vielmehr verschiebt sich die Tierverwendung in den „Servicebereich“ Kriegsforschung, Minenabräumung und in den im Text bewusst ausgesparten Bereich der Biowaffen.

Den zweiten Teil des Buches beginnen Rolf Schäfer und Wolfgang Weimer mit einer ethi­schen Analyse. Sie gehen dabei grundsätzlich vor, versuchen also für alle Lebewesen zu einer einvernehmlichen Entscheidung in Hinsicht auf menschliches Verhalten ihnen ge­genüber zu kommen. Dabei spielen sie die vorherrschenden Ethik-Theorien gekonnt durch und liefern damit zusätzlich eine kleine Einführung in die Tierethik. Für die tierlichen Kriegsteilnehmer arbeiten sie die Besonderheit heraus, dass im Gegensatz zu nicht­-menschlichen Lebewesen in der Massentierhaltung etwa, Kriegstiere immer nur als Individuen in Erscheinung treten und nicht eine Gruppe, ganze Art oder Spezies betreffen. Schließlich sind diese Individuen für ihren Einsatz aufwendig zu trainieren und von ihren Ausbildern über ein wechselseitiges System von Vertrauen und Dressur über lange Zeiträume hinweg vorzubereiten. Man denke hier beispielsweise an Delfine, die zur Minenräumung eingesetzt oder mittels umgeschnallter Messer gegen feindliche Kampf­schwimmer auf Jagd geschickt werden. Die „Tiere müssen nicht nur etwas sein (Organis­mus, Fleisch), sondern etwas tun, vor allem: kämpfen; aber auch Lasten tragen, Botschaf­ten überbringen usw.“ (S.106). Der springende Punkt dabei ist, dass die Tiere dabei hereingelegt werden. Nicht allein ihre Ausbildung ist mit Schmerzen verbunden, als stra­fende Disziplinierung etwa oder beispielsweise beim Aushalten von Gefechtslärm, es ist die eigene Seite, die willent­lich das tierliche Individuum tödlichen Gefahren aussetzt. Es sind die eigenen Vertrauten, die das Tier unter Umständen in den nicht zwangsläufig schmerzfreien Tod schicken. Darin sehen die Autoren ein spezifisches Element – dass die auf Vertrauen und Gehorsam beru­hende Beziehung zwischen einem menschlichen Ausbil­der und einem tierlichen Individu­um darin besteht, das Vertrauen zum einkalkulierten tödli­chen Nachteil der folgsamen Tiere zu missbrauchen. Wie Tucholsky es so treffend formu­lierte, dass Soldaten Mörder seien – dem darf man jetzt getrost ein und Betrüger hinzuset­zen.

Im anschließenden Kapitel über die juristische Bedeutung wird klar, dass Tiersoldaten in der deutschen Gesetzgebung, auf die sich die Untersuchung beschränkt, überhaupt keine Erwähnung finden. Anhand des Tierschutz­gesetzes machen die Autoren deutlich, dass für den kriegerischen Einsatz keine Entspre­chung zu finden ist und nicht-menschliche Lebe­wesen in diesem Fall in eine Grauzone fallen. Da Tiere mit Sicherheit nicht am Krieg teil­nehmen wollen und ihre Kampfabsicht naturwidrig aufge­zwungen wird, müssten sie im­merhin gemäß der Haager Landkriegsord­nung von 1907, an die die Bundesregierung ge­bunden ist, als Nichtkombattanten klassifi­ziert werden und wären somit vor dem Kriegs­dienst geschützt.

Es erscheint nachvollziehbar, den juristischen blinden Fleck, der über dem moralischen Ausnahmestatus tierlicher Soldaten liegt, wenigstens aus religiösen Handlungsgrundsätzen heraus zu gewinnen. So nimmt das Thema Religion als letztes Kapitel einen gewissen Anteil ein, denn „Religionen reflektieren und normieren menschliches Verhalten und sie tun dies einerseits im Hinblick auf den Krieg als Phänomen der menschlichen Gesell­schaft, andererseits (…) auch im Hinblick auf den Umgang des Menschen mit Tieren.“ (S.45) Das ist sicherlich richtig. Immerhin auf über 20 Seiten gehen die Autoren religiöse Pro­gramme durch, um zu dem wenig überraschenden Schluss zu kommen, dass Tiere –
ab­gesehen vom chinesi­schen Daoismus – kaum moralische Berücksichtigung erfahren. Mehr Sinn hätte es ge­macht, Religionen nicht allein anhand ihrer schriftlich fixierten Leh­ren zu durchforsten, sondern unter soziologischen Aspekten, in der Interaktion mit politi­schen Wirklichkeiten, zu behandeln.

Es gibt keine vergleichbare Studie zu diesem wenig beachteten Thema in dieser Dichte, Fülle und nüchtern vorgetragenen Anwaltschaft für die Tiere. Daher ist es trotz der Kritik meine Pflicht, das Buch „Schlachthof Schlachtfeld – Tiere im Menschenkrieg“ unbedingt als Stan­dardwerk zu empfehlen.

Tomas Cabi

 

In: Magazin Tierbefreiung, http://www.tierbefreier.de/tierbefreiung/index.html

 

Rolf Schäfer und Wolfgang Weimer
Schlachthof Schlachtfeld 
Tiere im Menschenkrieg
(Tierrechte - Menschenpflichten, Bd. 15)
Harald Fischer Verlag, Erlangen
kart., 161 Seiten, 2010 
ISBN 978-3-89131-419-7 
EUR 19,80