Freispruch für Tierbefreiungsaktivisten in Lüneburg

Gegen Käfige und Knäste

Dem Tierbefreiungsaktivisten Karl-C. wurde vorgeworfen, am 23.05.2012 mit anderen Aktivist_innen eine sogenannte Anhörung zum geplanten Neubau von zwei Mastanlagen im Kreis Celle „gestört“ und der Aufforderungen den Saal zu verlassen nicht Folge geleistet zu haben. Richterin Precht vom Amtsgericht Celle verurteilte ihn zu 20 Tagessätzen. Gegen dieses Urteil legte Karl-C. Und die Staatsanwaltschaft Berufung ein. So das die selbe Verhandlung vor dem Landgericht in Lüneburg nochmal verhandelt wurde. Hier kam es zu einem Freispruch.

 

 

Der Oberstaatsanwalt Vogel forderte u. a. mit der Begründung, dass die Interessen der Wirtschaft gewahrt werden müssten, eine Strafe von 40 Tagessätzen à zehn Euro für den wegen Hausfriedensbruchs angeklagten Tierbefreiungsaktivisten. Der Angeklagte und seine Laienverteidigerin forderten in einem juristischen Plädoyer einen Freispruch und trugen zusätzlich ein politisches Plädoyer für die Befreiung von Mensch und Tier und die damit einhergehende Abschaffung von Staat und Kapitalismus vor.

 

Richter Bendtsen ließ verkünden, dass er nicht bereit sei, sich mit seiner Rolle in diesem System auseinander zu setzen, und auch die Idee einer befreiten Gesellschaft stieß bei ihm auf wenig Anklang. Er stimmte aber der juristischen Argumentation der Verteidigung zu, dass hier kein Hausfriedensbruch vorliege, und sprach den Angeklagten frei.

 

Die juristische Begründung des Freispruchs stützte sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:

  • Lediglich das Halten von Transparenten stellt keine Störung von Veranstaltungen dar, sondern fällt unter den Schutz der Meinungsfreiheit.

  • Es konnte nicht nachgewiesen werden, mit welchem Wortlaut und ob der Kreisdezernent dem Angeklagten das Hausverbot mitteilte.

  • Die Zeugen sprachen zwar von „einer Gruppe von Störern“, aus deren Reihen es auch zu dem Rufen von Parolen kam, das aber eine Gruppe die sich von den anderen Teilnehmer_innen abgrenzte existierte konnte nicht nachgewiesen werden.

    Ebenso ob der Beschuldigte sich an den Rufen der Parolen beteiligte. Das Hausverbot hätte demzufolge jeder Person einzeln erteilt werden müssen.

 

Karl-C. verweigerte alle Aussagen zur Sache, dies steht aber nicht im Widerspruch mit der aktiven Beteiligung an eigenen Verfahren. Er stellte Anträge, gab politische und juristische Stellungnahmen ab und beteiligte sich an der Zeugenbefragung.

 

 

Offensive / politische Prozessführung und Selbstverteidigung vor Gericht – ein automatischer Fall ins offene Messer?

 

Entgegen vielen Behauptungen aus linken Zusammenhängen in Deutschland, macht nicht nur dieses Verfahren deutlich, dass sich durch einen politischen und offensiven Umgang mit Repression und Strafverfahren und die selbstorganisierte Aneignung von juristischem Wissen politische und persönliche Erfolge erkämpfen lassen.

 

Aber von vorne:Wir lassen uns unseren Protest nicht verbieten

Proteste bei Anhörung zu zwei neu geplanten Mastanlagen in Celle

 

Am 23.05.2012 nahmen Aktivist*innen der Critical-Mast-Fahrradtour an einer so genannten Anhörung zum geplanten Neubau von zwei Mastanlagen im Kreis Celle teil. Die Veranstaltung im Neuen Kreistagssaal von Celle sollte den Anwohner_innen und Interessierten die Möglichkeit geben, die mehr als 500 eingebrachten Einwendungen gegen das Projekt mit den Verantwortlichen des Kreises und den Vertreter_innen des Betreibers Christoph Lichthardt zu diskutieren. Hierzu kam es jedoch nicht.

 

Unter der rigiden Leitung von Kreisdezernent Gerald Höhl wurde der Großteil von Nachfragen und kritischen Anmerkungen unterbunden. Personen, die selbst keine Einwendungen gestellt hatten, wurde bereits im Vorhinein das Rederecht untersagt. Auch die Durchsuchungen von Zuhörer_innen durch die mehr als 15 anwesenden Polizist_innen zu Beginn der Veranstaltung ließen keinen Zweifel daran, worum es den Behördenvertreter_innen ging: das Projekt gegen jeden Widerspruch durchzuboxen. Während immer deutlicher wurde, dass dem Kreis wirtschaftliche Interessen mehr gelten als Bedürfnisse der betroffenen Menschen und anderer Tiere, wuchs im Saal der Unmut von Anwohner_innen und Zuhörer_innen. Als eine Aktivistin das Wort ergriff, ließ Höhl diese durch die Polizei kurzerhand aus dem Saal werfen. Im Anschluss kam es zu lautstarken Protesten. Gegner_innen der Mastanlagen zeigten Spruchbänder, die sich gegen Tierausbeutung und Umweltzerstörung richtete. Einige der Betroffenen und Zuhörer_innen solidarisierte sich mit dem Protest, manche stellten sich sogar schützend vor die Aktivist*innen, als die Polizei begann, diese aus dem Saal zu werfen.

 

Anfang 2013 erreichte uns die erfreuliche Nachricht, dass Christoph Lichthardt seinen Bauantrag für die zwei Mastanlagen zurück gezogen hat.

 

Den gesammten Bericht mit Fotos und lokaler Medienberichterstattung findet ihr hier.

 

 

Repression gegen einen der Aktivisten

 

Einige Zeit später erhielt der Tierbefreiungsaktivist Karl-C. einen Strafbefehl von 10 Tagessätzen, gegen den er Widerspruch einlegte. Die Anklage lautete Hausfriedensbruch; ihm wurde vorgeworfen, sich an der Aktion beteiligt zu haben und der Aufforderung des Kreisdezernenten Gerald Höhl, den Kreistagssaal zu verlassen, nicht Folge geleistet zu haben.

 

Anfang 2013 erhielt der Tierbefreiungsaktivist eine Ladung zu einem Strafprozess für den 16. und 23. Januar zum Amtsgericht Celle. Am 15. Januar erklärten sich mehrere Tierbefreiungsaktivist_innen mit dem Angeklagten solidarisch und protestierten in einem Büro des Amtes für Wirtschaftsförderung, Bauen und Kreisentwicklung in Celle. Diese Behörde genehmigte im Landkreis Celle Mastanlagen für die Schlachtfabrik in Wietze und stellte Strafanzeigen gegen Aktivist_innen, die sich diesem Treiben entgegenstellten.

 

Die protestierenden Tierbefreiungsaktivist_innen verklebten Fotos von Hühnern, die das Leid in Mastanlagen dokumentierten. Zudem verteilten sie im Gebäude tausende kleine Zettel mit Botschaften wie z. B. „Hier wird lebenslange Gefangenschaft genehmigt“, „Hier wird Widerstand bestraft“ und „Tiere wollen leben“.

 

Eine vollständige Pressemitteilung über die Aktion findet ihr hier.

 

Die beiden Prozesstage am Amtsgericht waren geprägt von grenzüberschreitenden Einlasskontrollen, der Nichtzulassung der Wahlverteidigerin des Angeklagten, Befangenheitsanträge gegen die Richterin, politische Beweisanträge von Seiten des Angeklagten und lautstark protestierende Zuschauer_innen, von denen einige aus dem Saal geschmissen wurden. Zum krönenden Abschluss ließ Richterin Silja Precht den Angeklagten, der von seinem Rederecht Gebrauch machte, aus dem Saal werfen, um ihn anschließend in Abwesenheit zu 20 Tagessätzen zu verurteilen.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte legten gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Berufung ein.

 

Bericht vom ersten Prozesstag hier.

 

Bericht vom zweiten Prozesstag hier.

 

Das Urteil der Richterin wurde von unbekannten Aktivist_innen mit einer Entglasung des Celler Bauamtes beantwortet. Folgendes Bekenner_innenschreiben wurde auf der Internetplattform linksunten.indymedia veröffentlicht:

 

„in der nacht vom 24.01.13 auf den 25.01.13 haben wir das bauamt in celle entglast und mit schwarzer farbe den spruch „bis alle frei sind!“ hinterlassen. diese aktion wurde durchgeführt um unsere wut über die im celler bauamt genehmigten mastanlagen, sowie über die kriminalisierung von tierbefreiungsaktivist_innen von seiten dieser behörde auszudrücken. wer mastanlagen genehmigt, genehmigt die (massen-)tierhaltung mit allen ihren grausamkeiten, wie unter anderem regenwaldrodung für den futtermittelanbau, vergiftung von luft, boden und gewässern durch anfallende gülle oder dem einsatz von pestiziden, und die qual und tötung unzähliger lebewesen.

wer so etwas genehmigt wird selbstverständlich immer ziel solcher und ähnlicher aktionen sein!

jede zerbrochene scheibe ist eine direkte antwort auf die repression von der so viele aktivist_innen aus der tier- und umweltbefreiungsbewegung betroffen sind.

ihr könnt uns anklagen, ihr könnt uns einsperren, doch aufhalten könnt ihr uns nicht!

AUTONOME GRUPPE „CHRISTIAN PORTILLO“

(der futtermittelanbau für die europäische massentierhaltung in südamerika bringt enormen pestizideinsatz mit sich und vergiftet somit die bevölkerung und natur in diesen gebieten. christian starb an den folgen dieses pestizideinsatzes in argentinien. er wurde 9 jahre alt.)

 

Nachzulesen ist das Schreiben auch hier.

 

Ein paar Monate später folgte eine Ladung vom Landgericht Lüneburg, in dem das Verfahren am 18. Juli, in zweiter Instanz, weitergehen sollte.

 

Richter Bendtsen verhielt sich um einiges gefasster als Richterin Precht und zeigte, dass ihm zumindest die Rechte, die Angeklagten zugestanden werden, etwas bedeuten. So wurde gleich zu Beginn die Wahlverteidigerin von Karl- C. durch Richter Bendtsen zugelassen. Außerdem ließ der Richter schon bald erkennen, dass er bereit wäre das Verfahren einzustellen. Die Verteidigung, der Richter und die Schöffinnen waren sich einig, dass die Beweislage für einen Hausfriedensbruch nicht ausreiche. Doch Oberstaatsanwalt Vogel wollte trotz der Vernehmung des Kreisdezernenten Gerald Höhl, der nichts Belastendes vorzutragen hatte, einer Einstellung nicht zustimmen und beantragte die Ladung eines weiteren Zeugen: des Staatsschützers Herr Möller von der Ohe aus Celle. Dieser war angeblich anwesend, als gegen Karl-C. das Hausverbot ausgesprochen worden sein soll.

 

Am zweiten Verhandlungstag zeigten die Erinnerungen des Zeugen große Lücken und es stellte sich durch eine intensive Befragung heraus, dass er zu dem Zeitpunkt, als das Hausverbot gegen den Angeklagten angeblich ausgesprochen wurde, gar nicht mehr anwesend war und nur mutmaßte, mit welchen Worten der Kreisdezernent Gerald Höhl das angebliche Hausverbot aussprach. Die somit schwach bleibende Beweislage führte dann schließlich zum Freispruch.

 

„Dieses Verfahren zeigte für mich noch einmal, dass es sich auch vor Gericht zu kämpfen lohnt. Ich hoffe das dieses Verfahren vielen Menschen kraft geben konnte weiterhin für eine Gesellschaft frei von Unterdrückung und Ausbeutung zu streiten. Ich möchte mich hiermit bei allen bedanken, die dieses Verfahren verfolgt, begleitet, kritisch kommentiert, mit vorbereitet und dafür Soliaktionen durchgeführt haben. Daraus konnte ich sehr viel Kraft und Mut schöpfen“, so der Tierbefreiungsaktivist Karl-C.

 

 

 

Der Widerstand gegen Tierfabriken geht weiter:Vom 2. bis 4. August macht die Reclaim Power Tour z.B. einen Zwischenstopp in Wietze.

Mehr Infos unter: reclaimpowertour.org

 

Mehr Informationen zur Kampagne gegen Rothkötters Schlachtfabrik in Wietze bei Celle und gegen den Ausbau von Wiesenhofs Schlachtfabrik in Wietzen-Holte bei Nienburg findet ihr hier:

antiindustryfarm.blogsport.de

 

Dies ist nicht der einzige Erfolg in jüngster Vergangenheit, den Angeklagte durch ihr politisches und offensives Vorgehen vor Gericht erstreiten konnten.

 

17.Juli 2013 Teilerfolg bei einem Castorblockadeverfahren.

Nach einer Ankettaktion beim Wendlandcastor 2010:

In Celle hatte der Doppelvorwurf der Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe noch zu einer Verurteilung zu 60 Tagessätzen geführt. Die Staatsanwaltschaft hatte unbedingt 90 Tagessätze sehen wollen und deshalb Berufung eingelegt, ebenso wie der Angeklagte, der weiterhin Freispruch forderte. Und nun konnte der Vorwurf halbiert (Nötigung wurde eingestellt) und die Strafforderung von 90 auf 40 Tagessätze heruntergesetzt werden. Da sag noch eine_r, es lohne sich nicht, Prozesse offensiv zu führen. http://castorblockadedalle.wordpress.com/2013/07/17/aufklarung-und-urtei...

 

08.07.2013 Feldbefreiung Gatersleben: Keine Urteile mehr!

Erstmals werden FeldbefreierInnen, die eine militante Aktion gegen ein Genversuchsfeld starteten, ohne Verurteilung bleiben. Die drei von sechs AktivistInnen, die 2008 den gv-Weizen in Gatersleben zerstörten und nach dem erstinstanzlichen Schuldspruch in Berufung und dann in Revision gingen, haben nach ihrem Revisionserfolg beim OLG Naumburg nun ein Einstellungsangebot auf Staatskosten erhalten - und angenommen. Es ist ein Triumph einer klaren Kritik an den dubiosen Forschungsfeldern der Agrogentechnik und einer offensiven Prozessführung. Mehr dazu: https://linksunten.indymedia.org/en/node/90366

 

25.06.2013 [B] Prozess wegen Gentech-Protest eingestellt:

Fast vier Jahre nach einer Protestaktion gegen Gentechnik, ging am Dienstag dem 25. Juni im Amtsgericht Tiergarten ein langwieriger Prozess zuende. Einer Gentechnikgegnerin war vorgeworfen worden, sich widerrechtlich auf dem Gelände des Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Berlin-Dahlem aufgehalten zu haben. Im Rahmen von Aktionstagen im Sommer 2009 war vor dem Institut, gegen dessen Rolle bei der Genehmigung von Gentechnik-Freisetzungen protestiert worden. Das Verfahren wurde am Dienstag gegen Auflage eingestellt.

https://linksunten.indymedia.org/en/node/89729

 

25. Juni 2013 Containerprozess in Aachen ohne Verurteilung eingestellt:

Am Dienstag, dem 25. Juni 2013, wurde am Aachener Landgericht die Berufungsverhandlung gegen Aktivist*innen, die angeblich bei Rewe zur Entsorgung bereitgestellte Lebensmittel entwendet hatten, weitergeführt. Am diesem Morgen erst zog der Rewe-Konzern den Strafantrag zurück. Als dann auch die Staatsanwaltschaft aufgrund einer nur angeblich veränderten Sachlage plötzlich kein öffentliches Interesse an einer Verurteilung mehr behauptete, gab es keine Verhandlungsgrundlage mehr. Der Prozess wurde ohne Auflagen eingestellt. https://linksunten.indymedia.org/en/node/89721

 

21.06.2013 Prozess wegen Castor-Kletteraktion Altmorschen 2010 eingestellt.

Unerwartete Wendung am Amtsgericht Potsdam:

Nach 3 Verhandlungstagen stellte Richterin Ahle das Bußgeldverfahren wegen unerlaubten Betretens der Bahnanlagen per Telefon ein. “Die Verhandlung hätte am letzten Tag vor ihrem Urlaub stattgefunden. Zugunsten des Urlaubs musste der Termin entfallen und das Verfahren wurde eingestellt.” so der Betroffene Christof N. “Wie so oft zählen vor Gericht nicht juristische Argumente, sondern Lust und Laune der Götter in Robe.” http://nirgendwo.info/blog/2013/06/21/prozess-wegen-castor-kletteraktion...

 

Laienverteidigungs-Netzwerk

gegenseitige Verteidigung auf Augenhöhe

Um nicht allein auf der Anklagebank zu sitzen, können Beschuldigte auch nicht studierte Verteidiger_innen (Laienverteidiger_innen). Dieses ist nach der Strafprozessordnung (§ 138 II StPO) möglich, kann aber von Richter_innen abgelehnt werden.

Um u.a. den wissensaustausch zu fördern und um der Vereinzelung entgegen zu wirken, gründete sich im Mai 2011 das Laienverteidigungs-Netzwerk, in dem gegenseitige Hilfe von Aktivist_innen organisiert wird. z.B. Verteidigung vor Gericht weitergabe von Wissen in Form von Prozesstrainings Workshops, Broschüre, …

Kontakt und Mehr Infos unter: www.laienverteidigung.de.vu