Die Akte Nicole Schneiders

Erstveröffentlicht: 
01.06.2013

Nicole Schneiders verteidigt Ralf Wohlleben im NSU-Prozess. Eine Nazi-Anwältin will sie nicht sein. Neue Akten belegen: Der Verfassungsschutz hat sie jahrelang als Teil der rechten Szene beobachtet.  

 

Wenige Stunden bevor das BKA die Wohnung von Ralf Wohlleben in Jena stürmt, ermutigt ihn eine alte Bekannte aus Karlsruhe mit einer SMS: "Denk an dich", schreibt Nicole Schneiders, "...falls ihr abstand braucht seid ihr bei uns jederzeit willkommene gäste!". Es ist der 23. November 2011. Wohllebens Name taucht seit Tagen in Medienberichten über das Terrortrio NSU auf. "was empfielst du bei einer bka-vorladung?", simst Ralf Wohlleben zurück. "Nicht ohne anwaltlichen beistand", antwortet Nicole Schneiders. Und: "Keine Angaben machen!"

 

Ralf Wohlleben bekommt keine Vorladung. Am nächsten Morgen durchsucht das BKA seine Wohnung. Fünf Tage danach wird er festgenommen, als mutmaßlicher Unterstützer der NSU-Mörder.

 

Alte Bekannte

Die alte Bekannte begrüßt er 18 Monate später mit Küsschen - links, rechts – bevor beide zusammen auf der Anklagebank in Saal A101 im Oberlandesgericht München Platz nehmen.

 

Er ist jetzt wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, er soll dem Terrortrio NSU die Tatwaffe organisiert haben; Nicole Schneiders ist sein anwaltlicher Beistand. Im NSU-Prozess verteidigt die Rechtsanwältin nun einen der bekanntesten Neonazis Deutschlands - und will doch nicht als "Nazi-Anwältin" gelten. Solche Vorwürfe seien eine "Unverschämtheit", hat sie einem Reporter der "Heilbronner Stimme" gesagt und juristische Schritte angekündigt gegen alle, die sie als solche bezeichnen.

 

Keine Nazi-Anwältin? Akten vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg, die stern.de vorliegen, zeigen: Nicole Schneiders ist seit fast 20 Jahren Bestandteil der rechten Szene. Die Unterlagen ergeben das plastische Bild einer Rechtsextremistin - und ihrer Karriere als Anwältin der Nazis.

Ein Briefwechsel legt sogar nahe, dass der Verfassungsschutz sie als Quelle in der Naziszene gewinnen wollte. Nicole Schneiders war im November 2003 noch unverheiratet, sie hieß mit Nachnamen Schäfer und studierte in Mannheim Jura. In einem Schreiben an das LfV beschwerte sie sich über ungebetenen Besuch: Ein Herr S., Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz, habe an ihrer Wohnungstür geklingelt und um ein vertrauliches Gespräch gebeten. Sie öffnete die Tür. Und stellte klar: Sie habe nichts zu sagen.

 

Am selben Tag noch schrieb sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde über Herrn S. Das Aufsuchen der Wohnung habe "bedrängenden und belästigenden Charakter" gehabt. Sie verlangte die Löschung aller gespeicherten Daten zu ihrer Person.

 

Im Antwortbrief bezeichnete das LfV die Kontaktaufnahme als "vertrauliche Ansprache" – zur "Informationsgewinnung". Die Dienstaufsichtsbeschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen. Einträge zu ihrer Person bleiben erhalten. Heute will das LfV Baden-Württemberg gegenüber stern.de zu dem Vorgang keine Stellung nehmen. Auch zur Person der Rechtsanwältin gibt es keinen Kommentar.

 

Wer ist Nicole Schneiders, 34?

 

Spitzname "Frida"

Schon als Teenager taucht die Schülerin aus Pfedelbach bei Schwäbisch-Hall in der rechten Szene auf: Als 16-Jährige nimmt sie an einer Versammlung der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) in Stuttgart teil. Da soll eine "Stuttgarter Kameradschaft" gegründet werden. Die Polizei stürmt den Saal. Nicole Schneiders, damals Schäfer, wird zum ersten Mal aktenkundig.

 

Immer wieder werden daraufhin Informanten dem LfV über sie berichten. Nicole Schäfer, Spitzname "Frida", besucht den Szenetreff "Keller" in Heilbronn, sie nimmt an Treffen der "Europaburschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg" teil. Im Januar 1995 wird das Verbindungshaus der neu-rechten Burschenschaft durchsucht, Nicole Schäfers Personalien aufgenommen. Beschlagnahmt werden Hefte und Bücher mit SS-Runen und Hakenkreuzen, ebenso wie das "Liederbuch der NSDAP" und das "SS-Liederbuch". Nur das "Gesamtdeutsche Liederbuch" übersehen die Polizisten. Später wird daraus gesungen. Das Lied "Es lagen die alten Germanen" - freilich mit abgeändertem Refrain: "Drum gebt Gas, ihr alten Germanen, dann schaffen wir die siebte Million."

 

Spätestens 1996 ist Schäfer Teil des "Neonazikreises um Michael Dangel", wie das LfV die Aktivisten bezeichnet. Dangel, Gründer der rechtsextremen Hochschulgruppe "Forum 90", organisiert die "Konservativen Klubs", an denen sie regelmäßig teilnimmt. Sie bildet sich hier fort bei antisemitischen, anti-europäischen Vortragsabenden mit Themen wie: "Deutsche Dichter nach 1945", "Zukunftschancen der politischen Rechten in Deutschland" und "Geistige Situation der Deutschen". Hier wird darüber diskutiert, wie die "Ausweitung der multikulturellen Gesellschaft" verhindert werden kann, wie es gelingt, eine breite nationale Opposition zu schaffen, die "wählbar" ist. Einmal berichtet eine V-Person, "Frida" habe Mitfahrer zu einem Burschenschaftstreffen gesucht. Auf Bildern in der Akte wirkt Nicole Schäfer gelöst. Sie fällt auf zwischen den kurzhaarigen Männern auf den Observationsfotos.

 

Teil der rechten Szene

Ideologischer Nährboden der jungen Frau ist nicht der tumbe, gewaltbereite Rechtsextremismus. Sie trifft auf rechte Vordenker wie dem wegen Volksverhetzung verurteilten Publizisten Peter Dehoust, der späteren NPD-Führungsfrau Edda Schmidt und dem Liedermacher Frank Rennicke. Letzterer leitet sein Konzert in Heilbronn, an dem auch Nicole Schäfer teilnimmt, mit den Worten ein, er komme aus "Braun-schweig", das klinge fast so toll wie "Heil-bronn".

 

Nicole Schäfer ist bei Grillfesten, Parties und Mahnwachen dabei. Und bei einer "altherkömmlichen" Sonnenwendfeier der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten". Mit "Feuersprüchen und Feuersprüngen". Die Teilnehmer werden eingeregnet – und von der Polizei kontrolliert. Eine LfV-Quelle berichtet: "Hektisch wurden im Wald einige Funkgeräte, Handys sowie Messer und sonstige Schlagwerkzeuge versteckt." Auf einer weiteren Sonnenwendfeier wenige Tage später spielt die Blood & Honour-Band "Noie Werte".

 

Deren Sänger Steffen Hammer wird Jahre später Nicole Schneiders Anwaltskollege in der Rastatter Kanzlei "H3". Mit seinen Liedern "Kraft für Deutschland" und "Am Puls der Zeit" sind Vorgängerversionen des NSU-Bekennervideos unterlegt, die Ermittler im November 2011 auf einer sichergestellten Festplatte im Brandschutt des Terrorverstecks in Zwickau entdeckten. Die Texte sind menschenverachtend: "Alle die wir unsere Feinde nennen, werden wir auf ewig hassen, wir werden kämpfen, bis sie unser Land verlassen."

 

Nicole Schäfer studiert Jura, auch in Jena. "Schäfer zog zum 01.08.2001 von Pfedelbach nach Jena", heißt es in einem Aktenvermerk des LfV in Stuttgart unter der Betreffzeile: "Nationaldemokratische Partei Deutschland – Personenabklärung". Sie tritt in die NPD ein und macht schnell Parteikarriere als Vize-Kreisvorsitzende. Als Stellvertreterin von Ralf Wohlleben.

 

In Jena aktiv

Als sie Jahre später nach seiner Festnahme das Anwaltsmandat für Wohlleben übernimmt, gibt sie eine Pressemitteilung über ihre NPD-Mitgliedschaft heraus – um "Spekulationen zu meiner Person vorzubeugen". Sie sei aus Protest gegen das Parteiverbot 2000/2001 Mitglied in der NPD gewesen. Und wieder ausgetreten, weil sich der Grund für ihre Mitgliedschaft mit dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens erübrigt habe. Das Verbotsverfahren wurde vom Bundesverfassungsgericht allerdings erst 2003 eingestellt.

 

Nicole Schäfer ist auch in Jena sehr engagiert. Videoaufnahmen zeigen sie bei NPD-Veranstaltungen mit Ralf Wohlleben und bei einer NPD-Demo in Leipzig mit dem verurteilten Volksverhetzer Horst Mahler. Sie lacht, während die Aktivisten Slogans brüllen: "Ruhm und Ehre der Waffen-SS!" Frank Schwerdt, damals NPD-Landesvorsitzender in Thüringen, wird später als Zeuge im NSU-Ermittlungsverfahren aussagen: Beate Zschäpe sei ihm nicht bekannt gewesen, als Frau sei ihm da die Frau Schneiders aufgefallen.

 

Ihre Spur nimmt das LfV Baden-Württemberg wieder auf, als sie 2002 nach Mannheim zieht. Sie landet in einer Gesinnungs-WG: Ihr Mitbewohner ist damals Christian Hehl, ein mehrfach vorbestrafter Neonazi-Schläger, der einst in Haft von der 2011 verbotenen Gefangenenhilfsorganisation HNG betreut wurde. Im Haus lebt auch Dominik Schneiders, Mitglied der Kameradschaft Karlsruhe. Und späterer Ehemann von Nicole Schäfer. Das Paar wird intensiv vom LfV beobachtet, jeder Umzug unter dem Betreff "Neonazismus" in den Akten vermerkt: von Mannheim nach Bad Herrenalb, von dort nach Muggensturm.

 

Mitglied in der Kameradschaft Karlsruhe

Die Jurastudentin ist enger in der freien Kameradschaftsszene verwoben als vor ihrer Zeit in Jena. Der Verfassungsschutz bezeichnet sie nun als "Mitglied in der Kameradschaft Karlsruhe", einer sehr aktiven gewaltbereiten Neonazigruppe. Einige Mitglieder werden tagelang observiert, ihre Autos vom LfV mit Peilsendern ausgestattet, um Szene-Treffpunkte ausfindig zu machen. Außerdem vermerkt der Verfassungsschutz 2003, Nicole Schäfer sei "aktiv in der NPD/JN in Karlsruhe tätig".

 

Schäfer selbst wird dabei nie straffällig. Auffällig dagegen schon: 2003, beim "4. Swastika-Cup" - Englisch für Hakenkreuz - im Elsaß. Einem Neonazi-Fußballturnier ihrer Kameradschaft, bei dem Mannschaften wie "Strikeforce", "Sturmfront" und "Jägermeister" antreten. Hier registriert eine LfV-Quelle keine nennenswerten Vorfälle - außer, dass Nicole Schäfer "aus privaten Gründen ausrastete".

 

Auf überregionalen Kameradschaftstreffen und Treffen der NPD und JN hält sie Vorträge über Waffen- und Versammlungsrecht – "sehr verständlich und umfangreich", kommentieren Zuträger des LfV, "frei und absolut gekonnt". Gemeinsam mit ihrem Partner Dominik Schneiders ist Nicole Schäfer Ansprechpartnerin für die Polizei bei einer Demonstration der "Kameradschaft Karlsruhe". Als Redner ist der Hamburger Neonazi Christian Worch geladen. Schäfer und Schneiders fahren nach Wunsiedel zum "Rudolf-Heß Gedenkmarsch", zu einem Skinhead-Konzert im Elsaß und 2005 nach Schweden, zum wichtigsten nordeuropäischen Neonazi-Trauermarsch im Stockholmer Vorort Salem.

 

Pikantes Detail: Auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe haben womöglich am Treffen in Salem teilgenommen. Es gibt ein Video des Gedenkmarsches, das unter dem Dateinamen "salem2005.wmv" auf einer ihrer Computerfestplatten abgespeichert ist. Darauf fanden sich auch die Vorgängerversionen des NSU-Bekennervideos. Den Ermittlern zufolge liegt nahe, dass die Ersteller der Videodateien an der Veranstaltung teilnahmen. Ob sie die gespeicherten Videos allerdings selbst dokumentiert haben, könne nicht abschließend geklärt werden.

 

Mit Kinderwagen auf rechten Treffen

Nicole Schäfer heiratet 2005 Dominik Schneiders. Bei der Hochzeit bemerkt das LfV "keine Störungen oder Auffälligkeiten" und notiert nur: "Schäfer hat den Namen ihres Ehemannes angenommen." Der Verfassungsschutz kennt auch ihre Emailadressen: mistreat@.....- Misshandlung – notieren sie für Nicole Schneiders und für ihren Ehemann das Pendant: ultra-brutale@....Bei einem Vortrag über das korrekte Verhalten bei Hausdurchsuchungen ist Nicole Schneiders hochschwanger, die Kameraden dürfen während ihres Workshops nicht rauchen. Später bringt sie ihr Kind zu den rechten Treffen mit: Ein Observationsfoto in der Akte zeigt sie 2009 bei einem Volleyballturnier der "Kameradschaft Rastatt" mit Kinderwagen.

 

Auch den Fortgang ihres Jura-Studiums beobachtet das LfV. "Ihr Referendariat absolviert sie bei einer Justizbehörde in Karlsruhe", berichtet eine V-Person. "Der Nicole fehlt nur noch eine Prüfung, dann ist sie eine richtige Anwältin", steht 2005 in einem anderen Vermerk. Die Rechtsanwaltskammer Freiburg gibt der Jung-Anwältin 2007 die Zulassung, sie wird nach eigenen Angaben Mitglied im Deutschen Anwaltsverein. Sie absolviert einen Fachanwaltslehrgang in Strafrecht. Ihre Schwerpunkte unter anderem: Polizei- und Versammlungsrecht, Presse- und Persönlichkeitsrecht, Verkehrsrecht.

 

In Neonazi-Foren des "Aktionsbüros Rhein-Neckar", einem Knoten- und Koordinierungspunkt der Freien Kameradschaften aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, bietet Nicole Schneiders einem Kameraden ihre juristischen Dienste an – mit dem Hinweis: "wäre dir auch verbunden, wenn du im Forum nicht schreiben würdest: Nicole's Kanzlei übernimmt das umsonst – glaube nicht, dass die abrechnungsmethodik den mitlesenden Staatsschutz etwas angeht".

 

Es ist ihr späterer Mandant Ralf Wohlleben, der als technischer Ansprechpartner für diese Website fungiert. Die Foren wurden 2005 von Antifa-Aktivisten gehackt. Sie enttarnten, dass neben Schneiders auch André K. und Thomas G. angemeldet waren - Aktivisten des Thüringer Heimatschutzes, aus dem auch die NSU-Terroristen hervorgingen. Nicole Schneiders ist offenbar für einen weiteren Neonazi aus Jena Kontaktperson: Ihr Name steht jedenfalls an erster Stelle einer Briefkontaktliste des Thüringer NPD-Funktionärs Patrick Wieschke, als er 2003 in der JVA Hohenleuben einsaß.

 

Rechtsextreme Mandanten

Der mutmaßliche Terrorhelfer Ralf Wohlleben ist nur einer von Schneiders rechtsextremen Mandanten: Zuletzt vertrat sie eine der Angeklagten im sogenannten Gartenlauben-Prozess. Dabei ging es um die Hetzjagd auf Migranten in Winterbach 2011. Aktuell verteidigt sie parallel zum Münchner NSU-Prozess einen Neonazi im Verfahren gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein" in Koblenz.

 

Aus der Rastatter Anwaltskanzlei "H3", wo sie mit dem Ex-Noie-Werte-Sänger Steffen Hammer arbeitete, ist sie mittlerweile ausgeschieden. Ihr Chef Klaus Harsch sah sich im Dezember 2011 "aufgrund des enormen öffentlichen Drucks" gezwungen, Nicole Schneiders zu kündigen. Dabei hatte sie ihn selbst einmal gegen öffentliche Vorwürfe verteidigt: Als ein CDU-Parteikollege ihn 2008 für seinen rechten Mandantenkreis kritisierte, klagte Harsch auf Unterlassung. In einem leidenschaftlichen Schriftsatz kämpfte Nicole Schneiders für ihren Chef: Als "unabhängiges Organ der Rechtspflege" mache sich ein Rechtsanwalt die "Interessen und Ansichten seiner Mandanten nicht zu eigen" .

 

Und sie führte weiter aus: Das "Schlimmste", was einem Rechtsanwalt vorgeworfen werden könne, sei, "ein Nazi-Anwalt zu sein".