(B) Wohnen statt Lager: Überblick und Strategien

Mario Czaja (CDU)

Am Donnerstag diskutierte das Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg unter dem Motto "Lagerland Berlin" mit der Berliner Mietergemeinschaft, dem Flüchtlingsrat und Betroffenen Flüchtlingen die Strategien im Umgang mit der prekären Situation von Flüchtlingen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Seit Herbst letzten Jahres werden in Berlin faktisch keine Flüchtlinge mehr in Wohnungen untergebracht. Statt dessen werden immer mehr Sammel- und Notunterkünfte durch den Sozialsenat eingerichtet (siehe Bericht "Politik mit und gegen die Lager" 12.12.2012).

 

Mittlerweile gibt es 31 vom Senat betriebene Einrichtungen, mit knapp 6.000 BewohnerInnen. Auch das bekannte Containerlager Motardstraße (Erstaufnahmeeinrichtung) in Spandau soll nach 20 Jahren Provisorium nun noch größer werden. Die Querelen um die neuen Standorte sorgen teilweise für regionale rassistische Mobilmachungen und absurden Boykott seitens der Bezirksregierungen. Der Abend in der Kreuzberger Regenbogenfabrik sollte informieren und Interventionsmöglichkeiten auf den verschiedenen Ebenen aufzeigen. Klar geworden ist, dass die Marktposition von Flüchtlingen auf dem Wohnungsmarkt verbessert werden muss, aber auch, dass der Kampf um Wohnraum für Flüchtlinge nicht entkoppelt werden kann von den Kämpfen gegen hohe Mieten und der Diskussion um sozialen Wohnungsbau. Dabei braucht es vor allem Druck auf Immobilienbesitzer, Verwalter, BetreiberInnen der Sammelunterkünfte, Bezirksverwaltungen, die Senatsverwaltungen für Soziales und Stadtentwicklung und einen Umgang mit den rassistischen AnwohnerInnen-Protesten.

 

Die Zahlen von Asylerstanträgen entsprechen aktuell denen des Jahres 2003. Damals war es für die Stadt nicht besonders schwierig Flüchtlinge nach der Erstaufnahme (also nach spätestens drei Monaten) in eigenen Wohnungen unterzubringen. Was sich geändert hat, so das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), ist die Wohnungsknappheit im unteren Marktsegment. Die Behörde prognostiziert deshalb für Ende 2013 rund 7.000 Flüchtlinge, die in Sammelunterkünften leben müssen. Ein Unterbringungskonzept des Sozialsenators Czaja (CDU) spricht sogar von zukünftig 12.000 Plätzen, die vorgehalten werden sollen. Die Bezirke, die bisher wenig Flüchtlinge aufgenommen haben, müssen mit der zwangsweisen Einrichtung von Sammelunterkünften rechnen. In den letzten Monaten gab es dazu in Reinickendorf, Mitte und Lichtenrade nennenswerten Widerstand der dort zuständigen Baustadträte. Es gab baupolizeiliche Sperrungen (Reinickendorfs Baustadtrat Martin Lambert), es wurden Räumungsandrohungen gegen Betreiber ausgesprochen (Mittes Baustadtrat Carsten Spallek) und die AnwohnerInnen wurden um Protest nahezu angefleht.

Erschwerter Zugang zum Wohnungsmarkt
Auf der Veranstaltung berichtete ein Flüchtling von seiner erfolglosen Wohnungssuche. Dieser lebt seit etwa einem Jahr in Berlin und ist in drei verschiedenen Lager untergebracht gewesen. Er erfuhr von anderen BewohnerInnen von der Möglichkeit eine eigene Wohnung anzumieten. Unterstützung bei der Suche und Vertragsabschluss bekam er aber keine. Neben rassistischen Ressentiments und Sprachbarrieren sorgen die Fiktionsbescheinigungen der Ausländerbehörde, also die zeitliche Beschränkung des Aufenthalts bis zur nächsten turnusmäßigen Prüfung, für Unruhe bei VermieterInnen. Diese würden einen sicheren Aufenthalt von mindestens zwei Jahren verlangen, bevor sie überhaupt an Flüchtlinge vermieten. Gescheitert ist die Anmietung bisher aber eher an den engen Vorgaben des Sozialamtes an die Wohnungen.
Der vom LaGeSo eingerichtete Kooperationsvertrag "Wohnen für Flüchtlinge" sollte formale Probleme umgehen und war als Selbstverpflichtung der städtischen Wohnungsbauunternehmen gedacht (die besitzen rund 270.000 Wohnungen). Ein Pool von 275 Wohnungen sollte jährlich zuerst Flüchtlingen angeboten werden, bevor sie auf den freien Markt gebracht würden. Die Folge dieses Vertrags ist, dass sich die Unternehmen damit begnügen und anfragende Flüchtlinge vertrösten, sie hätten bereits ihren Beitrag geleistet. Ähnliche Erfahrungen haben andere soziale Gruppen gemacht, für die ein geschützte Marktsegment gilt: Die Kontingente reichten nicht aus; die im Pool enthaltenen Wohnungen sind die schlechtesten im Portfolio der Unternehmen und das Marktsegment dient als "social washing"-Legitimation der städtischen Wohnungsbaugesellschaften (20 Jahre Bilanz).
Flüchtlinge sind also nicht die einzige Gruppe, die auf der Suche nach billigem Wohnraum ist. Vielmehr reihen sie sich in der langen Kette der LeistungsbezieherInnen (in Berlin rund 600.000) ganz hinten ein. Denn neben den Mietobergrenzen, für die das Amt (mittlerweile) Mietübernahmebescheinigungen ausstellt, sind Flüchtlinge mit unsicherem Aufenthaltsstatus und ohne Arbeitserlaubnis mehrfach auf dem Mietmarkt diskriminiert.
Einen wichtigen Beitrag in dieser Debatte konnte Joachim Oellerich (Audio) vom Mieterecho leisten. Nicht die steigenden Mieten seien das Problem, sondern der verschlafende Wohnungsbau. Um dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden, müssten jährlich 1% Wohnungen hinzukommen. Bei 1,9 Mio. Wohnungen wären das mehr als die maximal 3.000, die es in den letzten Jahren waren. Seit der Jahrtausendwende ist eigentlich klar, dass Berlin ein Wohnungsproblem haben wird. Die Stellschraube Leerstand ist seit fünf Jahren aufgebraucht. Verdichtung ist die Folge. Dazu gehört, dass immer mehr Menschen, in immer kleineren Wohnungen, immer länger zusammenleben. Eine Kennzahl ist die Anzahl an Wohnungen im Verhältnis zu Haushalten. Während diese jahrelang bei 106 Wohnungen für 100 Haushalte stagnierte, sind wir mittlerweile bei 96 Wohnungen für 100 Haushalte. Das merken natürlich erst die Leute mit geringem, oder gar keinem Einkommen. Die weitere Entwicklung ist schon in osteuropäischen Staaten zu beobachten. Dort werden massenhaft Containersiedlungen errichtet, um das niedrige Marktsegment zu bedienen. Der einzige Weg aus dieser Entwicklung ist die Vergesellschaftung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die Entkopplung der Mieten vom Marktgeschehen. Die Politik macht es sich einfach, wenn sie die Sammelunterkünfte mit dem Mietmarkt begründet. Gerade den hat sie in der Hand. Die rund 15.000 Ferienwohnungen sind nur ein Symptom der deregulierten Wohnungspolitik.
Aber auch vor einer umfassenden Restrukturierung der Wohnungspolitik könnten Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt bessergestellt werden. Das Mittel "Wohnberechtigungsschein" als Belegungsrecht der Sozialämter gegenüber den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften wäre leichter umzusetzen als eine Sozialquote im Neubau. Laut Auskunft des Flüchtlingsrates fehlt es vor allem an qualifizierter Beratung und schneller Bearbeitung (rechtzeitige Kautionsübernahme usw.).

Lagerland: Die Berliner Sammelunterkünfte
Die Vertreterin des Flüchtlingsrats schilderte die Unterschiede bei den 31 Lagern (vor drei Jahren waren es nur sechs) in Berlin. Die "Wohnqualität" ist abhängig von der stadträumlichen Lage, der baulichen Beschaffenheit und Ausstattung, der Größe der Unterkunft und den Beratungsangeboten und persönliche Einstellung des dort eingesetzten Personals. Insofern sind die Notunterkünfte besonders zu kritisieren. Die Betreiber sind nicht an Standards gebunden, da in katastrophenartigen Situationen wichtiger ist dass Obdachlosigkeit verhindert wird. Die Folge sind meist Überbelegung, ungeeignete Sanitäranlagen oder Doppelnutzungen mit Sportvereinen, fehlende Möblierung und fehlendes Personal (v.a. SozialarbeiterInnen). Die panische Einrichtung der acht Notunterkünfte sorge andererseits für große Freude bei den Betreiberfirmen PeWoBe/Gierso, PRISOD und der AWO. Während einige eher langfristig planen und viel Geld investieren um die Notunterkunft später zu einer ordentlichen Sammelunterkunft umzubauen, setzen andere auf das schnelle Geld. Die PeWoBe würde, so der Verdacht, strukturell weniger Personal einsetzen als sie per Vertrag mit dem Land verpflichtet sind.
Wesentlichen Einfluss auf die Bedingungen haben in allen Lagern aber auch die dort zuständigen SozialarbeiterInnen und LagerleiterInnen. Ihrem Engagement und Improvisationsvermögen obliegt es, ob Kinder eingeschult werden können, ob sich umliegende Krankenhäuser um die Notfallbehandlungen kümmern oder ob unterstützungswillige AnwohnerInnen eine Struktur vorfinden.

Neubau in der Motardstraße
Bisher unveröffentlicht ist das Ansinnen des Kreisverbandes Mitte der Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Erstaufnahmeeinrichtung Motardstraße in einem Industriegebiet in Spandau nicht zu schließen. Vielmehr will die AWO-Mitte, die schon vier Sammelunterkünfte betreibt, das Gelände von OSRAM/Siemens kaufen und dort eine größere Erstaufnahmeeinrichtung bauen. Die Idee wurde schon verklausuliert vom LaGeSo-Chef Franz Allert Ende November 2012 im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses vorgetragen. Dem Vernehmen nach findet der Bezirk Spandau es praktisch, dass mit der Motardstraße das bezirkliche Kontingent an unterzubringenden Flüchtlingen abgegolten ist, ohne weitere Unterkünfte in Wohngebieten stellen zu müssen. Andererseits will sich die AWO KV Mitte mit der Motardstraße auf dem wachsenden Markt der Sammelunterkünfte gegen private Betreiber behaupten. Geplant ist wieder Billigbau,wahrscheinlich Container. Der Leiter des Kreisverbandes Manfred Nowak sprach im März 2013 noch davon, dass die Motardstraße geschlossen wird und deshalb das Marie-Schlei-Haus in Reinickendorf betrieben werde. Dabei ist offensichtlich egal, dass das AWO-Jugendwerk im April eine Reform des Berliner Unterbringungskonzepts forderte: "Wichtig ist uns hierbei jedoch, dass sich Berlin um dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten bemüht, um den Lagercharakter möglichst zu vermeiden." Möglich gemacht werden Sammelunterkünfte in Industriegebieten übrigens durch die Baunutzungsverordnung, die "Anlagen mit sozialen Zwecken" in Ausnahmefällen zulässt. Die Ausnahmeregelung wird in Berlin standardmäßig erteilt.

Was zu tun ist
Im Anschluss an die Veranstaltung wurde themenspezifisch in kleineren Runden diskutiert und danach die Ergebnisse zusammengetragen. Eine Gruppe beschäftigte sich mit der rassistischen Mobilmachung in den Bezirken. Sich im Streit zwischen den Bezirken und dem Land bzgl. der Einrichtung von Sammelunterkünften zu positionieren ist schwierig. Einerseits sind die Bemühungen der Bezirke Flüchtlinge aus ihrer Nachbarschaft fernzuhalten zu kritisieren und Position für die Aufnahme von Flüchtlingen zu beziehen. Andererseits sollte dabei aber auch nicht das Unterbringungskonzept des Senats, das fast ausschließlich auf Sammelunterkünfte setzt, unkritisch unterstützt werden.
Den AnwohnerInnenversammlungen, die meist durch die Bezirksämter initiiert werden, kommt eine wichtige Funktion für die Meinungsbildung zu. CDU und NPD haben das mittlerweile verstanden. Im Vorfeld sollte darauf geachtet werden, dass dorthin auch Vereine eingeladen werden, die Unterstützung für Flüchtlinge organisieren wollen. Wenn sich bei Versammlungen rassistische Stimmungen Bahn brechen, dann liegt das meist auch an fehlender Gegenöffentlichkeit. Rassistische Bürgerinitiativen (mustergültig die Reinickendorfer Initiative "Pro-Marie-Schlei-Haus") muss klar werden, dass ihre Position auf Gegenwehr trifft. Wenn die Sammelunterkunft eingerichtet ist, kann eine kontinuierliche Vernetzung der Unterstützungsgruppen (z.B. Runder Tisch) dabei helfen auch den Betreibern auf die Finger zu schauen und Interessen der Flüchtlinge gemeinsam durchzusetzen.
Eine andere Diskussionsgruppe beschäftigte sich mit der Unterstützung bei der Wohnungssuche. Hierzu sollen Informationsmaterialien direkt an die BewohnerInnen von Sammelunterkünften gebracht werden und Begleitung für Wohnungsbesichtigungen o.ä organisiert werden. Solange die Wohnungspolitik Berlins so aussieht, muss dafür gekämpft werden die Marktposition von Flüchtlingen auf dem Wohnungsmarkt durch gezielte Unterstützung zu verbessern. Dazu gehört beispielsweise auch freie WG-Zimmer oder frei werdende Wohnungen direkt an Beratungsstrukturen zu melden.
Der Kampf gegen Lager wurde in Verbindung zu MieterInnenkämpfen diskutiert. Die Segregation der einzelnen Gruppen, die dem Mietmarkt ausgeliefert sind, sollte überwunden werden. Dafür würde helfen die Positionen nicht nur inhaltlich sondern auch in den Kämpfen auf der Straße zusammenzubringen. Neben den städtischen Wohnungsbauunternehmen könnten auch die privaten EigentümerInnen mehr in die Pflicht genommen werden (die Forderung nach straffreier Besetzung von leerstehenden Wohnungen bleibt aktuell). Hinsichtlich der Lagerbetreiber sind die Forderungen nach Einhaltung der Mindeststandards nicht ausreichend. Den privaten Betreibern, die meist noch in der Unterbringung von Senioren dick im Geschäft sind, müsste es zunehmend unangenehm werden solche schäbigen Sammelunterkünfte zu betreiben. Auf der anderen Seiten müssten die Wohlfahrtsverbände, wie die AWO, gezwungen werden ihre Strategie zu ändern. Beispielsweise könnten diese problemlos nicht mehr Heimplätze für 20 Euro die Nacht anbieten, sondern Wohnungen anmieten, die sie dann an Flüchtlinge weitervermieten. Eine Form von betreutem Wohnen gibt es für andere Gruppen schließlich auch. Auch ein Fonds zur Anschubfinanzierung von Wohnungen für Flüchtlinge könnte der organisierten Verantwortungslosigkeit des LaGeSo das Zepter aus der Hand nehmen. Denn eines ist sicher, die kleineren Protestaktionen in der Sache werden nicht ausreichen um genügend Druck auf die unterschiedlichen Akteure auszuüben.

Audio Joachim Oellerich (Berliner Mietergemeinschaft) spricht zur Verbindung von Berliner Wohnungspolitik und Wohnraumknappheit für Flüchtlinge. 16.05.2013, Berlin-Kreuzberg, Veranstaltung: Lagerland Berlin.