Antisemitismus der Vernunft - Über Fakten, Meinungen und kollektiven Wahn

Vortrag und Diskussion mit Philipp Lenhard (München)

 

Die gesamte deutsche Presselandschaft war sich einig in ihrer Unterstützung Jakob Augsteins gegen den Vorwurf, dieser sei ein Antisemit. Schließlich benenne er doch nur Fakten, während Henryk Broder den Holocaust instrumentalisiere, um legitime Israelkritik zu deckeln. Und ehe man sich versah war aus der Augstein- eine Henryk M. Broder-Debatte geworden. Die Berliner Zeitung beklagte, dass letzterer „bis heute frei herumläuft“. Stolz bekannte ein Autor des Tagesspiegels, wenn das, was Augstein schreibe, Antisemitismus sei, wolle auch er Antisemit genannt werden. Schneller also als es noch die ärgsten Pessimisten prophezeit hatten, ist das Wort „Antisemit“ wieder salonfähig geworden. Die Grenzen des Sagbaren lösen sich auf, nahezu jedes Ressentiment gilt heute als freie Meinungsäußerung, gegen die zu sprechen undemokratisch und intolerant sei. So brachte es der Spiegel sogar fertig zu fragen, was eigentlich so schlimm daran sei, zu behaupten, dass die Juden zu viel Einfluss in der Welt haben. Parallel zu diesen antijüdischen Bekenntnissen existiert ein umso emphatischer vorgetragenes Unbehagen gegenüber den „dumpfen Hassgefühlen“ und „irrationalen Ängsten“ des neonazistischen Straßenmobs. Kritik an Israel und den Juden müsse rein sachlich orientiert sein und sich auf Fakten stützen, heißt es, nur dann könne denen, die die Israelkritik für ihre Propaganda „missbrauchten“, das Wasser abgegraben werden. Damit schließt das deutsche Feuilleton unbewusst an die Antisemitismuskritik eines Adolf Hitler an, der den spontanen antijüdischen Gefühlen der Massen einen „Antisemitismus der Vernunft“ entgegenstellte, welcher sich an wissenschaftlichen Fakten zu orientieren habe.

Um dem etwas entgegenzusetzen, bedarf es einer Reflexion auf die Grenzen der Aufklärung. Anstatt faktenhuberisch Gegenargumente anzuführen und damit in den Diskurs der Meinungen, der schon immer dem „Gerücht über die Juden“ (Adorno) Vorschub geleistet hat, einzusteigen, wäre zu fragen, welche gesellschaftliche Konstellation den kollektiven Wahn – das dringende Bedürfnis, die Juden zu dämonisieren – immer aufs Neue hervorbringt und perpetuiert. Der Ausgangspunkt dafür ist und muss nach Auschwitz die ketzerische Frage sein, ob nicht der Zionismus mit seiner Behauptung vom „ewigen Antisemitismus“ Recht hatte.

 

Philipp Lenhard ist Redakteur der Zeitschrift Prodomo und Mitherausgeber sowie Autor des Bandes „Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft“ (ça ira Verlag: Freiburg i. B. 2011).

 

Mittwoch, 17. April 2013
20 Uhr
Hörsaal 8 (Hauptgebäude der Universität Bonn)

 

Veranstaltet vom AStA-Referat für politische Bildung im Rahmen der Vortragsreihe "Zur Kritik des Antisemitismus".

http://www.antisemitismuskritik.wordpress.com

 


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