Wenn die Polizei mal Pause macht

Erstveröffentlicht: 
10.06.2012

Private Sicherheitsfirmen boomen. Wer an sie gerät, muss sich auf unliebsame Erlebnisse gefasst machen

 

Der Mann in Uniform, der Marion B. am Arm packt und ihr in Erfüllung seines Auftrags die Gelenke verdreht, ist fast noch ein Teenager. Während die bald 30 Jahre alte Aktivistin fortgezerrt wird, kann sie noch beobachten, wie gleichzeitig ein weiterer Uniformierter gerade einen ihrer Freunde an den Haaren über den Rasen schleift. Ringsum Protestrufe: »Wir sind friedlich, was seid ihr?« Es sind die gewohnten Szenen bei einer Räumung, wie sie sich in diesem Fall beim Einsatz gegen die sogenannte Landbesetzung des Lehrgartens der Universität für Bodenkultur Ende April in Wien-Jedlersdorf abspielten.

 

Vertraute Bilder – bis auf ein Detail: Nicht Polizisten sind es, die ein Areal von unrechtmäßigen Nutzern befreien, sondern Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma. Zwar sind Polizisten anwesend, doch während die 25 Beschäftigten der Firma Hel-Wacht handgreiflich werden, beobachtet die Staatsgewalt den Tumult aus sicherer Entfernung. Es gibt nämlich keinen Räumungsbescheid, der sie zu einem Einsatz verpflichten würde. Das Rektorat hat deshalb einfach eines der größten Bewachungsunternehmen Österreichs beauftragt, »das Hausrecht zu wahren«. Die Privaten machen sich die Hände schmutzig, die Polizei guckt derweil untätig zu – staatliches Gewaltmonopol hin oder her.

 

Diese seltsame Rollenverteilung von Staat und Privat in Jedlersdorf ist Symptom einer still, aber beständig fortschreitenden Entwicklung: Immer mehr hoheitsstaatliche Aufgaben werden an private Sicherheitsfirmen ausgelagert. Deren lukratives Geschäft besteht längst nicht mehr nur aus Portierdiensten oder nächtlichen Kontrollgängen durch leere Firmengebäude. Privates Personal in Uniform konfisziert Regenschirme und verdächtige Objekte an den Sicherheitsschleusen von Bezirksgerichten. Es verscheucht wärmesuchende Obdachlose aus Bankfoyers, verteilt Verkehrsstrafen und greift im Ernstfall auch zur Waffe. Die Angebotspalette des Marktführers Group4S kennt noch exotischere Dienstleistungen: »Präventionsarbeit durch verdeckte Ermittlungen und Observationen« wird hier ebenso feilgeboten wie »die Sicherung von Beweismaterial in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten durch moderne Technik und internationale Kontakte«.

 

Wie weit reicht der Arm der privaten Sicherheitsfirmen? Wer schützt die Subjekte vor den Objektschützern? Und sind sie gar ein Sammelbecken für Waffennarren und Rechtsextreme?

 

Das Umsatzvolumen von Group4S, Securitas und der rund 200 anderen privaten Sicherheitsfirmen in Österreich stieg allein zwischen 2004 und 2009 von 212 Millionen auf 347 Millionen Euro (aktuellere Zahlen gibt es nicht). Wo starke Gewerkschaften gute Rahmenverträge ausgehandelt hatten, versuchen nun immer öfter staats- und gemeindenahe Unternehmen auf private Billiganbieter auszuweichen. In Graz planten die Verkehrsbetriebe gar, das Lenken von öffentlichen Bussen an einen Sicherheitsdienst auszulagern. Erst als Betriebsrat Horst Schachner polternd von »Lebensgefahr« für die Fahrgäste sprach, wurde der Plan verworfen. Securitas-Mitarbeiter sind heute trotzdem in den Bussen unterwegs, wenn auch nur als Fahrscheinkontrollore. »Am Anfang habe ich mich auch dagegen gewehrt«, sagt Schachner, »aber das habe ich aufgegeben. Securitas ist einfach viel billiger.«

 

Zwei Tage Ausbildung genügen, um Sicherheitsmann zu werden

Wie der konkurrenzlos günstige Preis der privaten Sicherheitsfirmen zustande kommt, weiß der Grazer Alex P. allzu gut. 6,50 Euro brutto pro Stunde verdiente er, als er während seines Jus-Studiums bei Securitas jobbte. Sein Vater war unerwartet gestorben, und er brauchte eine schnell sprudelnde Geldquelle. »Irgendwas, wo ich möglichst schon am nächsten Tag beginnen, nachts arbeiten und nebenbei für Prüfungen lernen konnte.« Securitas bot das alles. Ein Anruf genügte, tags darauf hatte der den Job. Auf Baustellen dirigierte er bei Regen, Schnee und Kälte den Verkehr, als Wachmann verbrachte er seine Nächte allein in einem weitläufigen Bürokomplex, büffelte zwischen den Kontrollgängen und schrieb Seminararbeiten. 230 Arbeitsstunden im Monat, viel zu wenig Schlaf, kaum Privatleben. »Traumjob ist das keiner«, sagt der Jurist heute, »aber für zwei Jahre war es okay.«

Die Fluktuation im Sicherheitsgewerbe ist extrem hoch, die Qualifikation der Beschäftigten gering. Eine maximal zweitägige Grundausbildung auf eigene Kosten mit abschließender Multiple-Choice-Prüfung, mehr wird nicht verlangt. »Ein richtiger Dodel-Test war das«, erzählt Alex P. Der Ausbildner habe sogar erzählt, bei diesem Auswahlverfahren sei »noch niemand durchgefallen«. 

 

Immer wieder stehen Sicherheitsfirmen wegen der mangelhaften Ausbildung ihres Personals in der Kritik. Auch Securitas-Chef Robert Wiesinger weiß diese Vorwürfe nicht zu entkräften. »Ich kann Ihnen unser Lehrbuch schicken«, bietet er an, »aber mehr kann ich leider nicht verraten.« Geschäftsgeheimnis.

 

»Ausbildung? Welche Ausbildung?«, lacht Gerald H., ebenfalls ehemaliger Beschäftigter bei einem Sicherheitsdienst. Auch der Wiener hatte während seiner Ausbildung nach einer kurzfristigen und zeitflexiblen Linderung seiner Geldsorgen gesucht und sie gefunden. Ein Anruf genügte, am nächsten Tag fing er an. Bis zu 18 Stunden am Tag, 120 Stunden in der Woche hütete er Parkgaragen, bewachte Einfahrtstore. »Mindestens einmal am Tag ist jemand ausgerastet«, erzählt H. Beispielsweise seien Casino-Kunden, die ihre letzten Groschen verspielt hatten, kopflos durch die Schranken der Parkhaus-Ausfahrt gebraust. Solche Ausnahmesituationen werden nicht trainiert. »Ich hab’ halt Glück gehabt, dass mich nie jemand angegriffen hat«, sagt H. Und Alex P. meint, seine Kollegen seien »schon sehr unsicher gewesen, was sie in der Praxis tun dürften und was nicht«.

 

Der Schusswaffengebrauch ist bei privaten Diensten nicht streng geregelt

Viele der privaten Sicherheitsorgane überfordert der Druck, in heiklen Situationen einschreiten zu müssen, aber nicht zu wissen, welche Maßnahmen noch zulässig sind. Auch die Mischung aus miserabler Entlohnung, geblockten Nachtdiensten und schlechtem Arbeitsklima macht ihnen zu schaffen. Alex P. erinnert sich an zwei Selbstmorde in den zwei Jahren seiner Wachdienstkarriere. Beide Kollegen hatten sich erschossen, einer davon mit seiner Dienstwaffe.

 

Bei Gerald H. hatte die Kombination aus hohem Druck und nervtötender Langeweile zwischendurch andere Folgen. Im Nachtdienst machten Alkohol, aber auch Kokain und Amphetamine die Runde. »Viel Geld ist dafür draufgegangen, erspart habe ich mir nichts«, sagt er und führt mit zitternder Hand seine dritte Tasse Milchkaffee zum Mund. Sein Alkoholentzug liegt erst kurz zurück, derzeit ist er arbeitslos und muss sein Leben neu ordnen. »Wir haben alle gesoffen«, erzählt er und kramt ein paar Gruppenfotos von einstigen Kollegenbesäufnissen hervor. Sie zeigen Mittdreißiger mit alkoholgetrübtem Lächeln – Stillleben mit zwei Promille. »Wenn du stundenlang herumsitzt, ist dir einfach fad im Hirn, dann greifst du halt zur Flasche«, sagt H. »Da war ich nicht der Einzige.«

 

Nur wenige halten den Job lange aus. Meist sind es Menschen, die am Arbeitsmarkt als schwer vermittelbar gelten. Es gibt aber auch manche, die ganz gezielt in die Sicherheitsbranche streben: »Wir wissen aus Deutschland, dass solche Jobs Waffenhungrige oder Rechtsextreme anziehen«, sagt Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien, das die rechtsextreme Szene erforscht, registriert starke personelle Verflechtungen: Viele einschlägig bekannte Gesichter seien bei Security-Dienstleistern tätig.

 

Manche Sicherheitsfirmen bieten solch hochmotivierten Bewerbern sogar eigene Anreize. Ein früherer Securitas-Beschäftigter erzählt von Firmenrabatten für bestimmte Pistolentypen und einem erleichterten Zugang zum Waffenpass. »Manche haben das gerne genutzt.« Und Alex P. erzählt von einem Vorgesetzten, der zur Arbeitskontrolle nie ohne Revolver erschienen sei.

 

Wann und wie eine Waffe verwendet werden darf, ist bei privaten Sicherheitsdiensten weit weniger streng geregelt als bei der Polizei. »Privaten wird zu einem gewissen Grad zugestanden, dass sie überreagieren, wenn sie angegriffen werden, einem Polizisten nicht«, erklärt Kriminalsoziologe Walter Fuchs. Die Möglichkeiten, sich gegen Missbrauch der Waffe zu wehren, sind beschränkt. 

 

Wehren möchte sich auch Marion B. Die Landbesetzerin von Jedlersdorf wirkt beunruhigt. »Wir überlegen noch, was wir tun sollen. Es war Gewalt, ganz eindeutig«, berichtet sie von der Räumung. Drei Rechtsanwälte habe sie konsultiert und erfahren, dass sie zwar einzelne Securitys anzeigen könne – sich gegen den Einsatz an sich zu wehren ist nicht möglich. Gegen Polizeigewalt könnte sie sich beim Unabhängigen Verwaltungssenat beschweren. Überschreiten jedoch private Wachdienste ihre Befugnisse, so bleibt nur eine Anzeige wegen Körperverletzung.

 

Ein Rechtsmittel gegen den Einsatz selbst gibt es nicht: Wo kein Amt, da keine Amtsgewalt und kein Mittel, sich dagegen zu wehren. Das ist auch für die Securitys selbst riskant: Es gibt keine Amtshaftung, der einzelne Beschäftigte haftet selbst. Jeder Regelverstoß, der vom Gericht bestätigt wurde, schlägt sich im individuellen Vorstrafenregister nieder.

 

Wenn es zu Gewaltanwendung kommt, bleibt diese deshalb meist folgenlos. Dass scheint manchen Security-Firmen durchaus bewusst zu sein. Als der junge Uniformierte am Jedlersdorfer Areal ihren Arm in unsanfte Biegung brachte, rief die Besetzerin Marion B.: »Du machst dich gerade strafbar.« Doch der Privatsheriff ließ nicht ab. Während er unverzagt weiterzerrte, murmelte er bloß: »Jo, waaß i eh.«