Damals Räumung – heute Räumungsverkäufe

Erstveröffentlicht: 
30.01.2012

Regina Schaaber vertrat als Anwältin die Interessen von Bewohnerinnen und Bewohnern des „Dreisameck“

 

Menschen zu begegnen, über die er schon vor 30 bis 35 Jahren schrieb – mit diesem Ansinnen hat unser Redakteur Gerhard M. Kirk jetzt einige von ihnen noch einmal besucht. Das Ergebnis ist eine 15-teilige Serie über Themen und Menschen zwischen damals und heute.

 

So etwas hatte Freiburg bis dahin noch nicht erlebt: Zehntausend Menschen demonstrierten am 9. Juni 1980 friedlich gegen die Räumung des "Dreisameck". Am Tag zuvor, einem Sonntag, hatten in den frühen Morgenstunden 1200 Polizisten die letzten Besetzerinnen und Besetzer aus den Häusern an der Ecke Kaiser-Joseph-Straße/Schreiberstraße vertrieben. Der Abschnitt zwischen Kaiserbrücke und Holzmarkt war mit großen Mengen Nato-Draht abgesperrt. Viele fassungslose Freiburgerinnen und Freiburger wähnten sich unversehens in eine Art Bürgerkrieg geraten.

Gut ein Jahr lang hatten die etwa sechzig Bewohnerinnen und Bewohner der Kaiser-Joseph-Straße 282 und 284 sowie der Schreiberstraße 4 zuvor versucht, die Räumung mit juristischen Mitteln zu verhindern. Nach der Besetzung im Juni 1977, mir der sie auch auf die Wohnungsnot in Freiburg aufmerksam machen wollten, hatten sie später Mietverträge bekommen. Sie wurden ihnen dann zum 30. April 1979 gekündigt. Von Rechtsanwalt Bernt Waldmann, dem Konkursverwalter über das Vermögen des Unternehmers Alois Selz. Also holte sich ein Teil der Mieterinnen und Mieter rechtlichen Beistand. Und fanden ihn in Regina Schaaber, einer der damals noch sehr wenigen Rechtsanwältinnen in der Stadt. "Wir kamen über gemeinsame Bekannte zueinander." Und der jungen Anwältin gelang gleich ein Erfolg: Im Prozess um die Räumungsklage der Selz-Konkursverwaltung erklärte der Amtsrichter die vorausgegangene Kündigung für formal unwirksam. Bernt Waldmann nämlich hatte das Schreiben vom 31. Januar 1979 nicht persönlich unterschrieben.

 

"Es ist eben enorm wichtig, sich im Recht auszukennen", sagt die 62-Jährige heute, "Engagement allein reicht nicht." Das brachte sie allerdings auch mit. Schließlich entschloss sie sich nach dem Abitur 1968 in Bremen aus gutem Grund, in Freiburg Jura zu studieren. Geprägt von jener Zeit, "sah ich darin die Möglichkeit, mich für die Rechte von Menschen einzusetzen, die nicht so viel Macht haben". Und Spaß hat es Regina Schaaber obendrein gemacht, "Sachen zu finden und einer Übermacht ein paar Nadelstiche zu versetzen". Sachen wie die fehlende Unterschrift zum Beispiel.

Freilich sei es den Bewohnerinnen und Bewohnern schon klar gewesen, dass ihr Widerstand auf Dauer nicht erfolgreich sein konnte. "Doch sie wollten ja auch ein Zeichen setzen, indem sie sich für preiswerten Wohnraum und eine lebendige Innenstadt stark machten." Die zweite, diesmal korrekt unterschriebene, Kündigung zum 30. November 1979 und ihre Durchsetzung waren jedenfalls nicht mehr zu verhindern. Trotz einiger juristischer Versuche. Von den damit einhergehenden Verhandlungen ist Regina Schaaber am lebhaftesten ein Versprecher eines Anwalts der Gegenseite in Erinnerung. Als er den schon schon erteilten Baufreigabeschein ins Gespräch bringen wollte, sprach er "in Loriotscher Manier" von einem "Fraubeigabeschein".

Bei der Räumung an jenem Juni-Sonntag 1980 war die Anwältin dann nicht dabei. Sehr wohl aber bei der großen Demonstration am nächsten Tag, "die trotz der unglaublich martialisch wirkenden Polizeipräsenz friedlich verlief". Was sie einerseits dem Bemühen der Freiburger Polizeiführung zuschreibt, das Ganze nicht eskalieren zu lassen. Und andererseits der Stimmung in der Bevölkerung. "Da hatten viele Verständnis für die Dreisameck-Bewohner und -Bewohnerinnen, damals waren viele Bürgerinnen und Bürger, nicht zuletzt durch die Besetzung des Bauplatzes für das geplante Atomkraftwerk in Wyhl, politisch wach und interessiert."

Ab und zu begegnet Regina Schaaber noch heute manchen, die sie damals als Dreisameck-Mieterinnen rechtlich vertrat. Einer Professorin der Evangelischen Hochschule. Einer führenden Stadträtin der Grünen. Einer Lehrerin. Und manches Engagement in der Gegenwart erscheint ihr als Folge von damals. Den Bürgerentscheid gegen den von OB Dieter Salomon geplanten Verkauf städtischer Wohnungen. Die Baugruppen im Quartier Vauban. Das Mietshäusersyndikat als eine Folge der Hausbesetzungen vor mehr als drei Jahrzehnten. Das allgemeinpolitische Engagement jener und der folgenden Zeit hat nach ihrer Ansicht einiges erreicht. Zumal im Familienrecht, dem sich die Anwältin heute vor allem widmet, in einer verbesserten Gesetzgebung für Opfer sexueller Gewalt.

Während Regina Schaaber einst die Anlaufstelle für vergewaltigte Frauen mitgründete und deren Rechte gegen große Widerstände durchsetzen musste, sind heute in Freiburg das Frauenhaus, die Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt, Anlaufstellen wie Frauenhorizonte gegen sexuelle Gewalt, Wildwasser und Wendepunkt längst selbstverständlich und geschätzt. "Da haben sich nachhaltig Dinge verändert."

Nicht zuletzt im Dreisameck, hinter dessen Jugendstil-Fassade nichts mehr geblieben ist, wie es vor dem Juni 1980 war. Da prangt der blaue Schriftzug der Zürich-Versicherung (ohne Ü-Pünktchen), die den Gebäudekomplex damals nach der Räumung für ihre Tochtergesellschaft Vita-Lebensversicherung umbauen ließ. Von der ist heute längst keine Rede mehr. Die "Zurich" selbst begnügt sich mit einigen Räumen in einer Etage der Schreiberstraße 4. In der Kaiser-Joseph-Straße 284 residiert derweil eine große Anwaltskanzlei. Die Nummer 282 bietet ein Sammelsurium von Italienischem Konsulat, Frisörsalon, Eiscafé, Brautmoden und Teppichhaus. Ansonsten macht die Zurich-Passage vor allem mit "Räumungsverkäufen" von sich reden.

Eines aber hat sich aus jener Zeit bis heute erhalten: das damals für die Kaiser-Joseph-Straße zum ersten Mal aufgekommene Kürzel "KaJo".