Gericht verurteilt Lawrence-Mörder 18 Jahre nach der Tat

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Erstveröffentlicht: 
03.01.2012

Es war ein Verbrechen, das die britische Gesellschaft verändern sollte: Der junge Schwarze Stephen Lawrence wurde 1993 von fünf weißen Männern in London erstochen. Erst jetzt wurden zwei Täter wegen Mordes verurteilt - nach einer beispiellosen Kampagne der Familie des Ermordeten.

 

Es war kurz nach halb elf an einem kalten Abend im April. Der 18-jährige Student Stephen Lawrence wartete mit seinem besten Freund Duwayne Brooks an einer Bushaltestelle im Südlondoner Stadtteil Eltham, als plötzlich fünf weiße junge Männer auf die beiden Schwarzen losstürmten. "Nigger" riefen sie, griffen sich Lawrence und stachen auf ihn ein. Die Attacke dauerte keine Minute, Lawrence schleppte sich noch gute hundert Meter, dann brach er zusammen und verblutete.

 

Die Tat ereignete sich 1993, doch erst jetzt, fast 19 Jahre später, wurden zwei der Täter verurteilt. Am Dienstag sprach eine Jury in London Gary Dobson, 36, und David Norris, 35, des Mordes für schuldig. Der Richter wird das Strafmaß am Mittwochvormittag verkünden.

Der Mord an Stephen Lawrence ist einer der bekanntesten Kriminalfälle der jüngeren britischen Geschichte. Das "Hate Crime" gegen den jungen Schwarzen hat im Laufe der Jahre für wütende Demonstrationen gesorgt, Gesetze verändert und die britische Gesellschaft zutiefst erschüttert. Es hat den Rassismus der britischen Polizei entlarvt und zu weitreichenden Reformen geführt.

 

Es sei "einer der bedeutendsten Fälle in einer Generation", sagte die Staatsanwältin Alison Saunders vom Crown Prosecution Service am Dienstag. Die öffentliche Debatte über den Lawrence-Mord habe dazu geführt, dass Großbritannien heute zu den tolerantesten Ländern in Europa gehöre, sagte der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna.

 

Polizei hatte nach dem Mord stümperhaft ermittelt

Doch hatte kaum jemand noch an die Verurteilung der Täter geglaubt, so stümperhaft war die ursprüngliche Polizeiarbeit. Nur dank neuer forensischer Methoden wurden Dobson und Norris nun überführt. Haare, Fasern und ein winziger Blutfleck von 0,25 Millimetern mal 0,5 Millimetern an ihren damals sichergestellten Klamotten wurden per DNA-Analyse identifiziert - und machten ihre Beteuerungen, nicht am Tatort gewesen zu sein, hinfällig.

 

Für Stephens Eltern bedeutete das Urteil das Ende eines 18 Jahre langen Kampfes. Sie hatten unermüdlich für die Wiederaufnahme der Ermittlungen geworben, nachdem die Polizei damals schnell aufgegeben hatte. Stephens Mutter, die Sonderschullehrerin Doreen Lawrence, erschien nach der Urteilsverkündung vor dem Gericht und sagte mit tränenerstickter Stimme, sie sei erleichtert, dass es endlich Gerechtigkeit gebe. Stephens Vater Neville Lawrence wollte nicht reden, er ließ sein Statement von einer Anwältin verlesen: Er werde nicht ruhen, bis auch die drei anderen Täter verurteilt seien.

 

Im Gerichtssaal war zuvor der mangelhafte Einsatz der Polizei rekonstruiert worden. Bereits am Abend nach der Tat war ein Skinhead in die lokale Polizeiwache gekommen und hatte die fünf Mitglieder einer bekannten Gang, darunter Dobson und Norris, als wahrscheinliche Täter benannt. Die Gang, benannt nach ihrem Anführer Neil A., sehe eine Messerstecherei als Initiationsritus, sagte der Zeuge damals. Auch andere Hinweise deuteten auf die Gruppe hin. Doch die Polizei nahm sie nicht gleich fest, sondern begnügte sich mit verdeckter Beobachtung der Verdächtigen. Erst zwei Wochen später erfolgte der Zugriff. Gegen zwei Männer, Neil A. und Luke K., wurde auch Anklage erhoben, doch mangels Beweisen wieder fallengelassen.

 

Immerhin stellten die Beamten bei Dobson eine Bomberjacke mit der Aufschrift "Supertramp" sicher. Diese lieferte 15 Jahre später bei einer DNA-Analyse einen entscheidenden Beweis - einen winzigen Flecken Blut, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu einer Milliarde von Stephen Lawrence stammt.

 

"Schwarze aufschlitzen und bei lebendigem Leib verbrennen"

Die Polizei überwachte in den Monaten nach der Tat auch Dobsons Wohnung. Eines der Schwarz-Weiß-Überwachungsvideos aus dem Jahr 1994 bekam die Jury nun zu sehen. Darin ließen vier der fünf Gang-Mitglieder ihrem Hass auf "Nigger" und "Pakis" freien Lauf. Er werde Schwarze aufschlitzen und bei lebendigem Leib verbrennen, brüstete sich Norris. Gang-Anführer Neil A. führte mit einem riesigen Messer Stoßbewegungen vor.

 

Die Medien berichteten jahrelang über jede neue Entwicklung in dem Fall, und die fünf genossen offenbar ihren neuen Ruhm. Sie ließen sich im Fernsehen interviewen und beteuerten ihre Unschuld. Niemand schien ihnen etwas anhaben zu können. Ein privat von der Lawrence-Familie angestrengter Mordprozess gegen drei der fünf platzte, weil es Zweifel am Hauptzeugen Duwayne Brooks gab. Dobson wurde 1996 freigesprochen.

 

Die öffentliche Empörung über den ungeklärten Fall rief 1997 die neue Labour-Regierung auf den Plan, gleich nach dem Wahlsieg wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt. Der Vorsitzende Lord Macpherson benannte in seinem Abschlussbericht die fünf Gang-Mitglieder als Hauptverdächtige und warf der Londoner Polizei "institutionellen Rassismus" vor. Dies führte zu neuen Gesetzen und Polizeireformen - nicht aber zur Aufklärung des Lawrence-Mordes.

 

Die Verurteilten beharren dennoch weiter auf ihrer Unschuld

Erst 2006 nahm die Polizei einen neuen Anlauf und untersuchte mit modernen Methoden die 30 sichergestellten Kleidungsstücke der Gang-Mitglieder. Sie wurde fündig, allerdings nur an den Sachen von Norris und Dobson. Der Prozess wurde wieder aufgerollt und endete nun mit der Urteilsverkündung in einem mucksmäuschenstillen Gerichtssaal.

 

Dank einer Gesetzesänderung, die die "double Jeopardy"-Regel aufhebt, konnte Dobson für ein Verbrechen verurteilt werden, für das er bereits einmal freigesprochen worden war.

Die beiden Verurteilten konnten die Entscheidung nicht fassen. Dobson schüttelte den Kopf, als das Urteil verlesen wurde. Norris starrte vor sich hin. Beim Hinausgehen sagte Dobson in Richtung Journalisten: "Ihr habt hier heute einen unschuldigen Mann verurteilt. Ich hoffe, ihr könnt damit leben."

 

Draußen vor dem Gericht sagte die Mutter von Stephen Lawrence, sie sei erleichtert, dass der zähe Kampf endlich vorbei sei. Aber ein Tag zum Feiern sei dies nicht. "Wie kann ich feiern, wenn mein Sohn unter der Erde liegt?"