Amerikas ArbeiterInnen wehren sich

rotunda

Nach unserem ersten Bericht (siehe hier: „Generalstreik in Wisconsin?“) zu den größten Protesten gegen Sozialabbau und der massivsten Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit seit Jahrzehnten in Wisconsin und anderen US- Bundesstaaten folgt nun ein weiterführender Diskurs. Um einen Überblick über die Situation, die Hintergründe der Proteste und die beteiligten Gewerkschaften zu erhalten, führten wir ein Gespräch mit John Trumpbour, dem Forschungsleiter des Labor & Worklife Program der Harvard Law School.

 

FAU-IAA:
Könntest du uns einen Überblick über die an den Protesten beteiligten Gewerkschaften geben?

John Trumpbour:
Es gibt eine Reihe verschiedener Gewerkschaften, die in Wisconsin aktiv sind, zum Beispiel Bildungsgewerkschaften (Wisconsin Education Association bzw. WEAC, die Mitglied sind in der National Education Association), Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (AFSCME, die American Federation of State, County and Municipal Employees) und sogar die Gewerkschaften der Feuerwehren (Mitglieder in der IAFF, der International Association of Fire Fighters; in Wisconsin ist vor allem die Professional Fire Fighters of Wisconsin (PFFW) aktiv).

Der AFL-CIO Wisconsin (American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations), der Landesverband des größten Gewerkschaftsverbandes der Vereinigten Staaten, beteiligt sich besonders an der Koordination der Aktivitäten vor Ort. Obwohl sie nicht im AFL-CIO sind, ist auch die Service Employees International Union (SEIU) eine große Gewerkschaft, in der viele Geringverdiener_innen aus dem öffentlichen Dienst organisiert sind, und die sind sehr aktiv. Viele der Gewerkschaften und auch der AFL-CIO mobilisieren Mitglieder auch in anderen Staaten. The Teamsters, eine Gewerkschaft, in der unter anderem LKW-Fahrer_innen organisiert sind, zeigt auch hin und wieder Präsenz.

FAU-IAA:
Würdest du uns noch etwas zum Kontext dieser Bewegung sagen?

John Trumpbour:
Im Jahr 2010 waren dem Current Population Survey (CPS) zufolge 6,9% der Arbeiter_innen in der privaten Wirtschaft Mitglied in einer Gewerkschaft, im öffentlichen Dienst dagegen waren es 36%. In den 50er Jahren lagen die Dinge anders: ungefähr 33% der Arbeiterschaft im privaten Bereich waren damals organisiert, während der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst sehr gering war. US-Amerikanische Unternehmen haben damals einen regelrechten Krieg gegen die Gewerkschaften begonnen, und da sie auch den US Kongress kontrollieren, gelang es ihnen, die Gewerkschaften in der Privatwirtschaft zu zerschlagen. Douglas Fraser von den United Auto Workers (UAW) hat 1978 einen berühmt gewordenen Brief geschrieben, in dem er beschreibt, wie 'die Unternehmer, mit wenigen Ausnahmen, entschieden haben, einen einseitigen Klassenkrieg gegen die arbeitende Bevölkerung, die Arbeitslosen, die Armen, Minderheiten, die sehr Jungen und die sehr Alten und sogar viele aus der Mittelschicht unserer Gesellschaft zu führen.'

FAU-IAA:
Wie hat die sich Situation seitdem verändert?

John Trumpbour:
Gewerkschaften sind im öffentlichen Dienst seitdem wesentlich stärker geworden und einige Republikaner glaubten, die großen Gewinne bei den Kongresswahlen 2010 seien die Gelegenheit, nun einen verheerenden Schlag gegen die Gewerkschaften im staatlichen Sektor auszuführen. Ihr Vorbild ist Ronald Reagon, der ironischerweise selbst einmal Vorsitzender einer Gewerkschaft in Hollywood war, jedoch schon kurz nachdem er in das Weiße Haus kam PATCO, die Gewerkschaft der Flugleiter. 2010 gewannen die Republikaner Parlamentssitze zum Teil wegen der enttäuschten Hoffnungen, die man in Obama gesetzt hatte. Viele meinten, Obama gebe Unmengen an Geld aus, ohne dass es viel bewirken würde. Obwohl ihn viele Kandidaten der Republikaner als radikalen Sozialisten darstellten, hatte Obama die Banker freigiebig mit Milliarden aus dem Bundeshaushalt belohnt und versuchte gute Beziehungen zu vielen Konservativen zu wahren, unter anderem indem er einen Republikaner zum Chef des riesigen US-Verteidigungsministeriums machte.

FAU-IAA:
Wie würdest du die generelle politische Situation in den USA, insbesondere in Wisconsin beschreiben?

 

John Trumpbour:
Wisconsin ist ein Staat, der zwischen sehr rechten Republikanern und eher linken Demokraten hin und her zu schwanken scheint. Der anti-kommunistische Krieger Joseph McCarthy war ein republikanischer Senator aus Wisconsin in den 1950ern und in den 2000ern war Russell Feingold, ein Demokrat mit fortschrittlichen Ansichten, der einzige US-Senator, der nach dem 11. September 2001 gegen den Patriot Act gestimmt hat. Jedenfalls hat der Republikaner Scott Walker, der Sohn eines evangelischen Predigers, 2010 die Wahl zum Gouverneur gewonnen. Er hat sofort ein Bauprojekt für einen Hochgeschwindigkeitszug zwischen Madison und Milwaukee abgebrochen und der Staat Wisconsin musste die umfangreichen Bundeszuschüsse für dieses Projekt an Washington und die Regierung Obama zurücküberweisen. Walker schien dann ganz überrascht, dass die Firma, die im Wesentlichen für die Ausführung des Projektes zuständig gewesen wäre, nun den Staat Wisconsin verlassen und hier Stellen abbauen wollte. Aber Walker und seine Verbündeten haben ihre Abneigung gegen das Bahnprojekt geäußert - und da war es vom Tisch. Züge sind in den USA sehr langsam und unkomfortabel und dies war eines der seltenen Vorhaben in diesem lang vernachlässigten Bereich einen Fortschritt zu erreichen.

Walker hat die Wahl zum Teil wegen seiner Versprechen die Staatsausgaben zu reduzieren gewonnen. Gewerkschaften deuteten an, dass sie bereit wären, in Zeiten der Wirtschaftskrise einige Zugeständnisse zu machen. Walker hat den Wähler_inne_n aber nicht gesagt, dass er vorhabe, die Tarifverträge im öffentlichen Dienst abzuschaffen. Tatsächlich behauptet Walker, die Tarifverträge gar nicht abschaffen zu wollen, da er auch weiterhin Tarifverträge zulassen will, solange die Angestellten keine Lohnerhöhungen fordern, die über dem Anstieg des Verbraucherpreisindexes (CPI) liegen. Aber für alle anderen Dinge und Probleme am Arbeitsplatz würden Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und staatlichen Arbeitgebern illegal. Das wäre eine Verletzung der Vereinigungs- und Gewerkschaftsfreiheit, die auch Teil der UN-Menschenrechtscharta (die auch die USA unterschrieben haben). Aber das ist diesen Typen egal.

FAU-IAA:
Sind an den Protesten weitere Gruppen und Organisationen beteiligt?

John Trumpbour:
Um den aktuellen Aufstand in Wisconsin zu verstehen, muss man sehen, dass die Gewerkschaften sich mit einigen Bewegungsaktivist_inn_en in Madison, Wisconsin, zusammengetan haben, einer Universitätsstadt mit einer langen radikalen Tradition. Die Universität von Wisconsin in Madison war eine wichtige Hochburg der Neuen Linken in den 1960ern und 1970ern und die Universität ist bekannt geworden durch die Leistungen William Appleman Williams' (1921-1990), der die Rolle der USA in der Nachkriegsgeschichte neu deutete. Er war einer der Hauptkritiker des Politik des Kalten Krieges und dessen, was er "Imperialismus als Lebensstil" bezeichnet hat. Williams ging eigentlich schon in den späten 1960ern Jahren von Wisconsin nach Oregon, aber er hat in Madison eine ganze Generation von Aktivist_inn_en geprägt. In Madison gibt es eine engagiertere Aktivistenszene als in vielen anderen Universitätsstädten der USA.

FAU-IAA:
Wie bewertest du die Proteste?

John Trumpbour:
Die aktuellen Aufstände könnten nun die größte Welle von Gewerkschaftsprotesten in den USA seit der Zeit des Vietnamkrieges werden.
In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren erschütterte die Militanz der Arbeiterbewegung Manager_innen und auch viele Gewerkschaftsfunktionär_innen, die die Kontrolle über die wild streikende Basis verloren. 1970 gab es 381 Arbeitsniederlegungen mit mindestens 1000 beteiligten Arbeiter_innen, wodurch 52.761.000 Streiktage zusammenkamen. Auch 1974 waren die Zahlen ähnlich dramatisch: 424 Streiks mit mindestens 1000 Beteiligten, wodurch 31.809.000 Streiktage zusammenkamen. Im Jahr 2002 konnte die US-amerikanische Arbeiterbewegung jedoch nur 19 Streiks mit mindestens 1000 Beteiligten verzeichnen, wodurch nur noch 660.000 Streiktage zusammenkamen, und im Jahr 2003 gab es nur noch 14 solcher großen Streiks. Streik als Waffe im Arbeitskampf schien auf dem Weg zu sein, beinahe ganz auszusterben. Angesichts der geringen Schlagkraft der Arbeiter_innen drücken die Unternehmen Löhne und Sozailleistungen immer weiter. Jetzt haben also Scott Walker und einige andere Gouverneure begonnen, die Bewegung der Arbeiter_innen im staatlichen Sektor ein für alle Mal zu erdrosseln, und bedrohen damit ihren Status als Angestellte der Mittelschicht.

FAU-IAA:
Wie sieht der Rückhalt der Gewerkschaften in der Bevölkerung aus?

John Trumpbour:
Die US-amerikanische Rechte und ihre von Fox News beherrschten Medienorgane behaupteten regelmäßig, Angestellte im öffentlichen Dienst seien viel zu hoch bezahlt und führten ein viel angenehmeres Leben als Menschen, die in der Privatwirtschaft arbeiteten. Sie schürten ständig Resentiments gegen angeblich verhätschelte Staatsangestellte. Viel von dieser Propaganda war nur Mythos und Klischee, aber sie hat weite Teile der US-amerikanischen Öffentlichkeit davon überzeugen können, dass sie von räuberischen Gewerkschaften und Staatsangestellten ausgenommen werden.

FAU-IAA:
Wir danken für dieses Gespräch.

 

Quelle und links zum weiterlesen: http://www.fau.org/artikel/art_110301-234958