Mit Handschellen gegen Lippenstifte

Mit Handschellen gegen Lippenstifte

Ein Kommentar zur „Rallye gegen Knast und Strafe“ am 28. Juli 2017

Am Freitag, dem 28. Juli, fand in Görlitz eine angekündigte „Rallye gegen Knast und Strafe“ statt. In Reaktion darauf waren bei der Sächsischen Zeitung und im Netz empörte Artikel zu finden, die von „Chaoten“ sprechen und das Faetzig-Camp hinter der ganzen Sache sehen. Als Menschen, die bei der Rallye teilgenommen haben, möchten wir unsere Sicht der Ereignisse schildern.

 

Zur der Rallye war nicht vom Faetzig-Camp aufgerufen worden, auch die Vorbereitung war vom Camp unabhängig. Dass ein Teil von uns auch an dem Wochenende das Faetzig-Camp besuchte, gibt dem Camp keine Verantwortung für die Rallye. Im Gegenteil: wir freuen uns, dass Menschen eigenverantwortlich politisch aktiv wurden, ohne eine Organisation im Rücken zu haben.

 

Wir haben an der Rallye in Görlitz teilgenommen, um auf die alltägliche Gewalt dieser Gesellschaft aufmerksam zu machen. Wie überall in Deutschland leben wir auch und in gerade einer so „ruhigen“ Stadt wie Görlitz in Verhältnissen, die durch Belohnung und Bestrafung befriedet werden. Für viele Menschen, die als normal gelten, zum Beispiel weil sie einen deutschen Pass oder eine Arbeit oder genug Geld haben, scheint dieses System aushaltbar. Aber diejenigen, die nicht zum deutschen „Wir“ der Normalen zählen, müssen tagtäglich Gewalt erfahren, sie werden gegängelt, übergangen, bedroht und fertig gemacht. Diese Gewalt findet nicht offen statt, sondern ist verborgen hinter Bürokratien und den Mauern schmucker Gründerzeitvillen.

 

Mit der Rallye wollten wir auf diese Verhältnisse aufmerksam machen und sie mit einfachen und harmlosen kreativen Mitteln – Kreide, Lippenstift und Konfetti – für einen Moment in Stocken bringen. Wir haben fünf Orte ausgesucht, die exemplarisch für die Gewalt des deutschen Staates stehen: Die Polizei, das Jobcenter, das Landratsamt, die Ausländerbehörde und das Amtsgericht mit dem Gefängnis. Und einige Teilnehmende besuchten spontan noch einen Ort, der sich die pure Menschenverachtung hässlich ins Gesicht geschrieben hat, das AfD-Büro.

 

Die Reaktion des Staates und der AfD war so erschreckend wie bezeichnend: Auf Kreideschiftzüge wurde mit Beschimpfung und Bedrohung, auf Konfetti mit Verhaftung und auf Lippenstiftmalereien mit Anzeigen reagiert. Verhältnismäßigkeit und die Einhaltung von Grundrechten? Fehlanzeige. Das Verhalten der Polizei? Ähnlich selbstherrlich und autoritär wie in der DDR. Die Polizei hat in der Verfolgung von Rallye-Teilnehmenden umstehende Passanten verletzt, willkürlich in der ganzen Stadt Personenkontrollen durchgeführt und sieben Menschen bis in den Abend in Gewahrsam genommen und unrechtmäßig abfotografiert. Im AfD-Büro wurden Rallye-Teilnehmende von Mitarbeitern körperlich angegriffen und verletzt.

 

Das Verhalten der Polizei zeigt uns, wie sehr wir mit unserer Kritik an den Verhältnissen Recht haben, weil die einzige Antwort des Staates auf Menschen, die nicht tadellos nach seinen Regeln spielen, Gewalt ist. Dass die Medien in ihrer Berichterstattung der AfD nach Mund reden und nur von „randalierenden Chaoten“ schreiben, zeigt, wie wenig demokratisches Bewusstsein auch sie haben. Der Tag zeigt uns aber auch, wie wenig Menschen mit wie einfachen Mitteln es braucht um Behörden und Polizei zu binden und den scheinbaren Frieden einer Kleinstadt durcheinander zu bringen.

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Korrigiere: Es war ein Justitzler, der eine ältere Dame auf Krücken umriss, die sich dabei eine Schürfwunde zuzog. Im Nachhinein unterstellte man es dann den Linken:

http://www.sz-online.de/nachrichten/fetzt-ueberhaupt-nicht-3753816.html