Humanistischer Hass. Ein Abend mit Thomas Ebermann über Sinn und Unsinn von Militanz im Berliner Mehringhof

Humanistischer Hass. Ein Abend mit Thomas Ebermann über Sinn und Unsinn von Militanz im Berliner Mehringhof
Erstveröffentlicht: 
09.06.2017

Wie sinnvoll ist Militanz? Diese Frage stellten die Veranstalter eines Diskussionsabends im Berliner Autonomenzentrum Mehringhof am vergangenen Mittwoch. Als Referent war Thomas Ebermann geladen, ein ehemaliges Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB), der zu den Gründern der Grünen Partei und später zu deren ökosozialistischen »Dissidenten« zählte. Von Oliver Rast

 

Ebermann ist eine echte Hausnummer im theoretisch vorgebildeten linksradikalen Milieu, mehr als hundert Interessierte folgten seinen Ausführungen. Er begann seinen Beitrag mit einem Abriss der Rolle revolutionärer Gewalt in emanzipatorischen Bewegungen, speziell der »Propaganda der Tat«. Wichtige Referenz war ihm dabei der Philosoph Herbert Marcuse (1898–1979), einer der bekanntesten Vertreter der Kritischen Theorie. Der wurde seinerzeit von konservativen Wissenschaftlern der »geistigen Urheberschaft« der Stadtguerillastrategie der Roten Armee Fraktion (RAF) bezichtigt, obwohl er sich ablehnend gegenüber »physischer Liquidation« geäußert hatte.


»Wir leben in einer Zeit ohne Revolutionserwartung«, betonte Ebermann. In einer solchen Situation sei die kritische Negation des Status quo die angemessene Haltung. Dies bedeute allerdings keine bloße Text­exegese. Ein linker Intellektueller habe einzugreifen, er müsse als »Verteidiger der Militanz« auftreten. Ebermann erkennt in dieser vorrangig »ein symbolisches, existentielles, vielleicht exemplarisches Handeln.« Konkrete, praktische Schlussfolgerungen überlässt er allerdings »jüngeren Akteuren«, er sei dazu schlichtweg »zu alt geworden«. Doch bezog er sich positiv auf eine »Alltagsmilitanz«, die täglich ohne große öffentliche Beachtung geübt würde, etwa durch stille Sabotage am Arbeitsplatz, Beschaffung von amtlichen Dokumenten für Menschen ohne Papiere oder allein schon das Begreifen der »stummen Gewalt der Produktionsverhältnisse«. Aus seiner Sympathie für einzelne militante Aktionen machte der ehemalige Bundestagsabgeordnete keinen Hehl. Die Versenkung einer zur Auslieferung bereitgestellten Fregatte im Hamburger Hafen für das faschistische Salazar-Regime in Portugal Anfang der 1970er Jahre findet weiterhin seinen Beifall.


Skeptischer blickte Ebermann auf bestimmte Kreise heutiger Militanter, denen er den »Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik« nicht abnehme. Deren radikales Gehabe sei nicht nur eine »kleinbürgerliche Kinderei«, sondern ein Akt maßloser »Selbststilisierung«. Diese Generalisierung blieb nicht unwidersprochen. Dennoch nahmen die Zuhörer Ebermanns kalkuliert eingestreute Aufreger und Lacher dankend auf. So, wenn er sich etwa darüber mokierte, dass sich Blockierer bei Naziaufzügen aus »Protest« freiwillig wegtragen lassen. Oder dass Teilnehmer an Demonstrationen gegen Castortransporte demütig ein überdimensionales Kreuz auf den Rücken tragen.


Aber was macht den ehemaligen Grünen-Bundessprecher eigentlich zum profunden Erklärer linker Militanz im Jahre 2017? Der Veranstaltungsablauf lieferte keinen Aufschluss. Im Gegenteil: Ebermann drückte mehrfach seine Distanz zu den aktuellen Diskussion in der radikalen Linken aus. Er vermochte weder Bezüge zur breit angelegten Militanz-Debatte der »militanten gruppe« (mg) aus dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends herzustellen, noch Positionsversuche von autonomen Zellen im Rahmen der »militanten Kampagne« zum bevorstehenden G20-Gipfel in Hamburg einzuschätzen. Grübelnd fragte sich Ebermann, ob er künftig Einladungen zu derlei Themen noch annehmen solle.


Die Veranstalter schrieben in ihrer Vorankündigung, »aus einer rein frontalen Konsumveranstaltung ausbrechen« zu wollen. Deshalb seien Einwürfe und Vorgaben ihrerseits nicht vorgesehen. Dem Wunsch der Veranstalter, Texte für den Abend beizusteuern, die dann dem Publikum vorgelesen werden sollten, kamen nur eine Gruppe und eine Einzelperson nach. Ein roter Diskussionsfaden fand sich nicht. Es ist deshalb fraglich, ob die Veranstaltung ein geeigneter Auftakt war, um über Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen linker Militanz ergebnisorientiert weiter zu diskutieren.


Mit den vorgetragenen Texten wollte der Referent jedenfalls nichts anfangen. Er zeigte sich desinteressiert und verzichtete auf einen Kommentar. Doch formulierte er eine Art Quintessenz des Abends. Bei aller gerechtfertigten Wut sei es entscheidend, dass diese nicht in »Grausamkeiten« umschlage, sondern als »humanistischer Ausdruck« die Subversion im Handgemenge des »beschissenen Alltags« befördere. Er werde auf seinen Hass auf die bestehenden Verhältnisse nicht verzichten.