Dicke, dumme Neonazis

Erstveröffentlicht: 
03.06.2017
NSU-Ausschuss des Landtags befasst sich erneut mit der Nationalen Bewegung

 

Der Skinhead beherrschte kein Englisch. Den Brief an einen Kumpan in Kanada musste die Freundin übersetzen. Darin stand die Bitte um ein T-Shirt der »Blood&Honour«-Bewegung aus Kanada, Größe XXL. Ein dummer, dicker Skinhead. Das Vorurteil trifft auf ihn zu. Einige Zuhörer im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags müssen lachen, als die Abgeordnete Isabelle Vandré (LINKE) aus dem Brief vorliest.

 

Der Ausschuss befasst sich am Freitag ein weiteres Mal mit der ominösen Nationalen Bewegung, die 21 Taten verübt haben soll, darunter in der Nacht zum 8. Januar 2001 einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam.

 

Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hatte am 18. November 2016 im NSU-Ausschuss bezweifelt, dass es die Nationale Bewegung jemals gegeben hat. Damit brachte er Nachforschungen ins Rollen. Am 28. April legte Bundesanwalt Wolfgang Siegmund im Ausschuss dar, was ihm damals rätselhaft erschien.

 

Nun sind am Freitag mehrere Kriminalpolizisten als Zeugen geladen. Befragt wird zuerst eine 57-jährige frühere Lehrerin, die 1982 als Quereinsteigerin zur Kriminalpolizei stieß und kurz nach der Jahrtausendwende mit den Fällen 1 bis 14 der Nationalen Bewegung befasst war. »Es sind mir keine Informationen bekannt geworden, dass es Zweifel an der Existenz der Nationalen Bewegung gegeben hätte«, bemerkt sie trocken. Eine 48-jährige Kollegin sagt anschließend aus: »Für mich war die Nationale Bewegung existent.« Über sich selbst erzählt die 48-Jährige: »Ich habe Rechtsextremismus bearbeitet, auch Linksextremismus, querbeet. Da gab es keine strikte Trennung.«

 

Namen von Tatverdächtigen fliegen hin und her, aus Datenschutzgründen abgekürzt, zum Beispiel Uwe M. und Dirk H., und es ist schwer, dabei den Überblick zu behalten, auch für den SPD-Abgeordnete Björn Lüttmann, wie dieser freimütig einräumt. Die Rechtsrockband »Preussenheads« kommt ins Spiel. Sänger Uwe Menzel wird in diversen Publikationen als außergewöhnlich dick beschrieben. In der Szene habe er den Spitznamen »Uwocaust« gehabt. Aber warum die Nachforschungen zu den »Preussenheads« nicht weitergetrieben worden sind und warum die Ermittlungen insgesamt trotz einiger Hinweise und Durchsuchungen im Sande verliefen, dass können die beiden Polizistinnen nicht erklären.

 

Aufhorchen lässt jedoch, dass die 48-Jährige damals von einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf ihrem Dienstapparat angerufen wurde. Er habe komischerweise ihren Namen gewusst und sie nach Tatverdächtigen gefragt. Sie habe aber keine Auskunft erteilt, sagt sie. Denn das werde »grundsätzlich« nicht telefonisch gemacht. Sie habe ja nicht wissen können, wer wirklich am anderen Ende der Leitung sitzt. Außerdem sei es ungewöhnlich gewesen, dass der Geheimdienst direkt an eine kleine Sachbearbeiterin herantritt. Sie habe deswegen extra einen Aktenvermerk über diesen Vorgang angefertigt. 2003 habe es dann auch noch eine schriftliche Anfrage des brandenburgischen Verfassungsschutzes gegeben.

 

Das nährt dann wieder den Verdacht, es habe in der Nationalen Bewegung einen außer Kontrolle geratenen V-Mann gegeben, was der Verfassungsschutz habe vertuschen wollen. Die Spekulationen reichen sogar so weit, dass der Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam als ein neues Celler Loch angesehen wird. 1978 hatte der niedersächsische Verfassungsschutz ein Loch in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle gesprengt und so eine Befreiungsaktion der Rote Armee Fraktion (RAF) vorgetäuscht - angeblich mit dem Ziel, einen Informanten in die RAF einzuschleusen.

 

Einige Fragen blocken die Kriminalpolizisten ab. In einem Fall reicht ihnen ein Ausschluss der Öffentlichkeit nicht aus. Sie verlangen, für die Antwort in den abhörsicheren Geheimnisschutzraum im Keller des Parlaments zu gehen.