Ein Gespräch mit Andreas Loepki, leitender Pressesprecher der PD Leipzig – Das lange Polizei-Interview (Teil 1): Lückenpresse oder Wie entsteht eine Polizeinachricht?

Erstveröffentlicht: 
21.05.2017

Wenn man sich in den regionalen Medien umsieht, kann man leicht auf den Gedanken kommen, Mord und Totschlag, Raub und Verbrechen lauerten praktisch hinter jeder Hecke – vor allem in ganz bestimmten Stadtteilen Leipzigs. Tagein, tagaus wird medial überfallen, niedergestochen, betrogen und gestohlen. Wenn dann einmal jährlich die offiziellen Polizeistatistiken für Sachsen und Leipzig veröffentlicht werden, staunt mancher nicht schlecht, wenn die eigentlichen Probleme zumindest einmal jährlich fassbarer werden, sich aus dem hektischen Tagesgeschäft abheben und analysierbare Zahlen liefern.

 

Andere bezweifeln schlicht die Korrektheit der darin dargestellten Verteilung der einzelnen Delikte, Täterkreise oder die eigentlichen Schwerpunkte der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Nicht ganz grundlos: Die gefühlte Bedrohungslage wird vom tagesaktuellen, medialen Trommelfeuer beeinflusst, während sich mit Blick auf Polizeistatistiken der vergangenen Jahre bis 2016 durchaus sagen lässt: Einbrüche und Diebstähle sind als stark sozial bedingte Taten ein Hauptproblem – auch im Schlepptau von Beschaffungskriminalität und gesellschaftlichen Schieflagen.

 

Computerbetrug nimmt seit Jahren stetig zu und wie zu allen Zeiten findet Gewaltkriminalität vor allem unter jungen Männern, gleich welcher Herkunft, statt.

 

Was die Frage aufwirft, wie die täglichen Nachrichten, in der Branche gern „Blaulicht-News“ genannt, überhaupt entstehen. Und vor allem – was alles nicht berichtet wird, ja nicht berichtet werden kann?


Die Polizei spielt eine zentrale Rolle bei der Auswahl der von vielen Lesern begierig aufgenommenen Meldungen von Straftaten, denn sie ist der eigentliche Herr der Informationen. Und ihre Verantwortung wächst, auch bedingt durch soziale Medien, in denen die Beamten heute teils größere Reichweiten haben als Regionalzeitungen. 

 

Interview Teil 1


Höchste Zeit also, sich mal eingehend mit Andreas Loepki, dem leitenden Sprecher der Polizeidirektion Leipzig, zu unterhalten, wie eigentlich aus etwa 300 täglichen Straftaten in Leipzig am Ende acht bis zehn Artikel in Boulevardblättern werden.

 

Wie viele Straftaten gibt es täglich tatsächlich in Leipzig?


In den Medien war von 242 Straftaten pro Tag die Rede. Allerdings hat man dabei den Fehler gemacht, die Fallzahl der Polizeilichen Kriminalstatistik zum Ausgangspunkt zu nehmen. Aber Fälle sind nicht Straftaten und die Polizeiliche Kriminalstatistik enthält zudem keine Verkehrsdelikte oder politisch motivierte Kriminalität. Das heißt, die tägliche Straftatenzahl ist deutlich höher als 242.

 

Gehen wir also mal von 300 Straftaten am Tag in Leipzig aus. Nach welchen Kriterien wird dann gefiltert, welche Straftaten in den Medieninformationen der Polizei erwähnt werden?


Wir haben ein polizeiliches Informationsverarbeitungssystem. Im Grundsatz ist das kein Rechercheprogramm, sondern dient der Bearbeitung von Straftaten. Wenn wir morgens in der Pressestelle eine rückwirkende Auskunft heranziehen, welche Straftaten in den vergangenen 24 Stunden passiert sind, dann bekommen wir nur diese Taten.

 

Was wir nicht bekommen, sind Straftaten, die zwar gestern angezeigt wurden, aber schon länger zurückliegen. Wir sehen auch nicht, was über die Online-Wache eingeht. Somit liegt die Zahl der Taten, die wir auswerten, nicht bei den 300, sondern im Regelfall bei 60 bis 80.

 

Von diesen 80 wiederum wählen Sie dann zirka acht aus, die in den täglichen Medieninformationen landen?


Das ist grob richtig, wobei wir durchaus häufig bei einem Pressemeldungsanteil von über 10 Prozent liegen. Zum Beispiel lagen heute Morgen, 6 Uhr für den Tatzeitraum der letzten 24 Stunden 87 Straftaten vor. Ich schaute mir dann jede einzelne von oben nach unten an.

 

Da Dinge wie häusliche Gewalt oder Trunkenheit im Verkehr für die Presse regelmäßig keine Relevanz haben, filterte ich diese Sachverhalte heraus. Das war schon mal jede Menge. Übrig blieben öffentlichkeitswirksame Delikte – zumindest nach meiner bzw. unserer Einschätzung.

 

Nach welchen anderen Kriterien filtern Sie die Straftaten noch?


Da können beispielsweise Präventionsgedanken im Vordergrund stehen, die uns veranlassen, verstärkt auf ein Deliktsfeld hinzuweisen. Zuletzt war dies bei betrügerischen Bettelmaschen oder bei den sogenannten Antänzerdelikten der Fall.

 

Konkret heute war mir ein Wohnungseinbruch wichtig. Das ist in Sachsen und in Leipzig aktuell ein Schwerpunktthema mit in Leipzig teils mehr als zehn Fällen pro Tag. Da sind wir schwer belastet. Mit der Meldung zum heutigen Fall habe ich einen Hinweis verbunden, wie man sich mit relativ einfachen Mitteln besser vor Einbruch schützen kann.

 

Ein anderes Schwerpunktthema waren gehäufte Diebstähle von Navigationsgeräten. Davon ist Leipzig in regelmäßigen Wellen betroffen – heute war es mal wieder an der Zeit, darauf hinzuweisen und die Nutzung von Garagen oder gesicherten Objekten zu empfehlen. Unsere Pressemitteilungen umfassen zudem auch Ereignisse, die im Vorfeld ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit stehen – wie Versammlungs- und Fußballgeschehen.

 

Über Suizide berichten wir nur und auch da nicht grundsätzlich, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfanden. Und natürlich geben wir auch Vermisstenmeldungen und Fahndungen heraus.

 

Werden manche Straftaten bewusst nicht erwähnt?


Ja. Einige sind mangels Gewichtung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit einfach nicht berichtenswert und in manchen Fällen, zum Beispiel bei Mord oder Wirtschaftskriminalität, berichten wir häufig nicht, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Tatverdächtige sollten mitunter nicht zu früh und schon gar nicht zu viele Details aus der Presse erfahren.

 

Verschiebt sich durch die Priorisierung von Polizei und Medien nicht die öffentliche Wahrnehmung dahingehend, dass der Eindruck entsteht, man könnte zu jeder Zeit an jeder Ecke überfallen werden, obwohl zum Beispiel Wirtschaftskriminalität oft zu extremen Schäden führt?


Es geht um das subjektive Sicherheitsgefühl – besonders derer, die eigentlich gar nicht direkt von Kriminalität betroffen sind, sondern sie nur über Medien erfahren. Das fällt ja dann auf uns als Polizei zurück. Nehmen Sie das Beispiel Eisenbahnstraße, angeblich die „gefährlichste Straße Deutschlands“.

 

Dort scheinen ja im Sekundentakt Straftaten zu geschehen, so dass man sich nicht mehr sicher bewegen kann. Aber dieses Bild ist vollkommen falsch und die beiden Stadtteile, durch die die Eisenbahnstraße läuft, werden stigmatisiert. Wenn da eine falsche Wahrnehmung stattfindet, müssen wir als Polizei gegensteuern – auch wenn es ein kriminal-geographischer Schwerpunkt ist. Aber das ist die Innenstadt auch.

 

Das Interview wurde erstmals in der LEIPZIGER ZEITUNG-Ausgabe Nr. 42 im April 2017 veröffentlicht.