Raeuberische Interessen

Industrie 4.0
Erstveröffentlicht: 
30.03.2017

"Maechtige Konzerne diktieren die politischen Spielregeln auf den Hightechmaerkten."

 

"Der Aufwand, den das Silicon Valley betreibt, um seine kommerziellen Interessen weltweit durchzusetzen, ist enorm. Sandro Gaycken, der Leiter des Digital Society Institute (DSI) an der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin, warnt seit Jahren nachdruecklich vor der verdeckten Propagandataetigkeit der nicht nur, aber vor allem in den USA ansaessigen »grossen Spieler« der Digitalwirtschaft. Denn die maechtigen Konzerne diktierten die politischen Spielregeln auf den Hightechmaerkten auch in Deutschland und Europa, vorrangig durch Konferenzen und Workshops, die sie mit dicken Konten und klaren Aufträgen organisieren, wobei sie Beiraete und Gespraechskreise mit sorgfaeltig ausgewaehlten Teilnehmern besetzen. Sie kooperieren in Deutschland gerne mit den hiesigen Stiftungen, um beispielsweise ueber Datensicherheit und Datenschutz zu sprechen. Firmen, die ein raeuberisches Interesse an Daten haben, sorgen sich um die IT-Sicherheit.

 

Gaycken war frueher Aktivist des »Chaos Computer Clubs«. Schon vor Jahren warnte er im Handelsblatt (28./29./30.11.2014) vor »Fernsteuerungsversuchen« insbesondere im Bereich der sogenannten Industrie 4.0. Denn hier gebe es einen »Kampf um digitale Deutungshoheit«, ueber »Rahmenwerke und Standards«. Es brauche unabhaengige Expertisen, um auf diesem und anderen Gebieten der Digitalisierung eine eigenstaendige Haltung zu entwickeln. Die Lage hat sich, wenn man seinem neuesten Beitrag in derselben Zeitung Glauben schenken mag, keinesfalls verbessert. »Besonders die gezielte Korruption der Wissensvermittler ist ein Problem, dass sich 2016 drastisch verschaerft hat und das 2017 noch zunehmen wird«, schreibt der Forscher erneut im Handelsblatt (22.2.2017): »Die Konzerne haben sich ein Propaganda-Oekosystem aufgebaut. Stiftungen, Thinktanks und Institute erhalten immer oefter hohe Förderungen unter der Bedingung, dass sie Non-Disclosure-Agreements (Geheimhaltungsverträge, Red.) unterzeichnen und die reine Lehre der Firmen in Sachen Privatheit, Cybersicherheit und Industriepolitik in Gutachten, auf Konferenzen und in Zeitungsartikeln verbreiten. Parallel dazu werden die grossen internationalen Wirtschafts- und Sicherheitskonferenzen gesponsert, damit dort Sprecher, Themen, Gaeste und Rahmenveranstaltungen aus dem Oekosystem gesetzt werden koennen. Nach Ansicht von Gaycken hat das Ganze absurde Ausmasse angenommen. 2016 habe es eine grosse Konferenz gegeben, bei der mehr als 25 IT-Experten unterschiedlichster Provenienz in sechs Veranstaltungen von fuenf IT-Konzernen bezahlt worden seien. »Besonders renommierte Forscher werden auch gerne mal direkt gekauft«, schreibt Gaycken. Schade, dass er Ross und Reiter nicht nennt. Hoffentlich wird das nachgereicht in den Studien, die sein Institut erstellt. Im Grundsatz hat er recht: »Die IT-Welt darf nicht von den Verursachern ihrer Probleme erklaert werden. Wir brauchen dringend mehr Unabhängigkeit und Transparenz.« In diesem Sinne sei zum Schluss noch bemerkt, dass Gaycken an einer privaten Hochschule beschaeftigt ist, die laut Wikipedia durch Stiftungsgelder zahlreicher Grossunternehmen von Airbus, Axel Springer, Bayer über Daimler, die Deutsche Bank bis Thyssen-Krupp finanziert wird. Auch McKinsey und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sind mit im Boot.