Trump und die AfD: Aus Wählern werden Stammeskrieger

Erstveröffentlicht: 
29.01.2017

Hinter dem Kampfbegriff "linksgrün versifft" steckt eine heimliche Strategie der AfD: Das Land soll in zwei verfeindete Lager gespalten werden - so wie in den USA. Dagegen gibt es ein Mittel.

 

Der neue Präsident der USA ist nicht das erste, aber ein sehr plakatives Beispiel für den Tonfall, der in der US-Politik mittlerweile gängig ist. Seine Gegnerin im Wahlkampf bezeichnete Donald Trump gerne und routinemäßig als "betrügerisch". Mit den Medien liegt er seiner eigenen Einschätzung zufolge "im Krieg", sein Chefstratege Steve Bannon, selbst bis vor Kurzem Medienmacher, betrachtet die Presse jetzt als "die Opposition".

 

Wer sich einmal ansehen will, was die treuen Anhänger und bezahlten Trolle des neuen Präsidenten aus solchen Vorlagen machen, braucht nur einmal auf Twitter nach Hashtags wie #crookedhillary oder #DishonestMedia zu suchen. Der Hass, der sich da weiterhin über Hillary Clinton und ihre Anhänger, aber auch über Journalisten ergießt, ist atemberaubend. Und nein: "Hass" ist hier kein zu starkes Wort.

 

Tatsächlich ist die Trump-Präsidentschaft aber nur der Gipfelpunkt einer langen Entwicklung. In deren Verlauf ist die Neigung, eine bestimmte Partei zu unterstützen, in den USA zu einer Art religiöser Überzeugung oder gefühlter Stammeszugehörigkeit geworden.

 

Während in Deutschland die traditionelle Parteibindung seit Jahrzehnten auf dem Rückzug ist, von einem jeweiligen harten Kern abgesehen, hat in Amerika die gegenläufige Entwicklung stattgefunden: Die politische Einstellung ist keine Privatsache mehr, nicht eine Eigenschaft unter vielen, wie das früher einmal war. Sie ist ein zentrales Wesensmerkmal geworden, das familiäre Gefühle für die eigene Seite und Ablehnung, manchmal Hass gegen die andere bedingt.

 

Parteizugehörigkeit wirkt stärker als Hautfarbe


Das haben Politikwissenschaftler in den USA kürzlich sogar mit Methoden gezeigt, die ohne das Abfragen von Gefühlen und Einstellungen auskommen, sich also kaum verfälschen lassen. Shanto Iyengar aus Stanford und Sean Westwood aus Princeton verweisen in einer schon 2015 erschienenen Studie zunächst auf Literatur, die zeige, dass die "affektive Polarisierung hinsichtlich der eigenen und der anderen Partei in den vergangenen vier Jahrzehnten substanziell angewachsen ist". Das Zweierteam glaubt, dass die Diskriminierung des politischen Gegners sogar mächtiger ist als Rassismus.

 

Iyengar und Westwood zeigten das, indem sie bekennende Anhänger der Republikaner und der Demokraten zum Beispiel angebliche Stipendien an in Wahrheit fiktive Highschool-Abgänger vergeben ließen. Die Noten der fiktiven Bewerber erwiesen sich dabei als zweitrangig, die angebliche Parteizugehörigkeit dagegen spielte bei den Entscheidungen eine zentrale Rolle: Republikaner vergaben Stipendien an Republikaner, Demokraten an Demokraten. Ob der Bewerber dagegen schwarz oder weiß war, spielte kaum eine Rolle.

 

In weiteren Aufgaben, bei denen Geld an wiederum fiktive Spielpartner verteilt oder eben nicht verteilt werden musste, zeigte sich das gleiche Bild: Republikaner waren ihresgleichen gegenüber großzügiger, Angehörigen der anderen Partei gegenüber signifikant knauseriger, für Demokraten galt das Gleiche.

Auch hier spielte die Hautfarbe von Versuchspersonen und fiktiven Mitspielern eine untergeordnete Rolle. Die Versuchspersonen diskriminierten politisch Andersdenkende also deutlich stärker als Menschen mit einer anderen Hautfarbe.

 

"Die Bereitschaft, den Gegner zu verunglimpfen"


Iyengar und Westwood befürchten, dass sich ein Teufelskreis zwischen den Aktivitäten von Politikern und denen der Wählerschaft entwickelt hat:

 

"Die Rhetorik und das Handeln politischer Anführer zeigen ja, dass Feindseligkeit gegenüber der Gegenseite akzeptabel, ja angemessen ist. Parteigänger haben deshalb das Gefühl, Animositäten gegenüber den Parteigängern der anderen Seite freimütig ausdrücken und diese diskriminieren zu können."

 

Das hat übrigens auch mit dem Thema Fake News zu tun: Wer den politischen Gegner hasst und der eigenen Seite gegenüber Stammeszugehörigkeit empfindet, der teilt eben auch bizarre oder auch fragwürdige Informationen in den sozialen Medien, wenn es passt.

 

"Sie wollen ja zeigen, dass sie ein gutes Stammesmitglied sind", sagte Sean Westwood kürzlich der "New York Times". Von da aus ist der Weg zur wütenden Ablehnung einer Berichterstattung, die für solche Stammesbekenntnisse ungeeignet ist, natürlich nicht weit.

 

In Deutschland ist die Situation bislang zum Glück eine andere. Aufgrund unseres Wahlsystems haben wir nicht zwei Parteienblöcke, die einander unversöhnlich gegenüberstehen. Die Notwendigkeit, sich Koalitionsmöglichkeiten offenzuhalten, zivilisiert den demokratischen Diskurs ganz automatisch. Und auch das "Stammesverhalten" der Wähler ist deshalb nicht so ausgeprägt. Mit einer Ausnahme.

 

Wir sind gegen die, und die sind alle anderen


Man kann bei den Vertretern der AfD und ihren glühendsten Anhängern in Echtzeit beobachten, wie sie versuchen, das Stammesdenken, das die USA so tief gespalten hat, auch hierzulande einzuführen. Mit toxischer Rhetorik, Verallgemeinerungen und bislang im politischen Diskurs unbekannter Aggression.

 

Das Stichwort "linksgrün versifft" ist exemplarisch, denn es handelt sich erstens um eine eindeutig zu identifizierende Beschimpfung und zweitens um den Versuch, mindestens drei Parteien und deren Anhänger zu einem angeblich homogenen Block zusammenzufassen: Linke, SPD und Grüne. Für manchen AfD-Anhänger ist mittlerweile ja sogar die CDU-Bundeskanzlerin "linksgrün versifft".

 

Für die AfD ist dieses "Wir gegen die, und die sind alle anderen" überlebenswichtig, denn nur so kann sie die Wut- und Protestwähler an sich binden, die sie braucht, um nicht wieder in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

 

Auswüchse wie die um Nazi-Sympathien buhlenden Reden von Björn Höcke sind da keine Ausrutscher, sondern Methode: Die AfD bemüht sich redlich, hierzulande die gleiche Dynamik von Agitation durch Berufspolitiker und zunehmender Aggressivität gegenüber der Gegenseite beim Wähler in Gang zu bringen, die die USA gespalten hat. Da wirft man jemanden wie Höcke natürlich nicht hinaus, das wäre ja kontraproduktiv.

 

Die Polarisierung kann ihr aber nur gelingen, wenn auch die anderen Parteien mitmachen. Die Lehre aus den Studien von Westwood und Iyengar und vielen ihrer Kollegen in den USA für deutsche Parteien jenseits des rechten Randes ist klar: Wer sich nicht in den Wettstreit um die geschmackloseste Attacke auf den politischen Gegner hineinziehen lässt, wer an einem zivilisierten demokratischen Diskurs auch im Angesicht des Widerwärtigen festhält, der kann den Teufelskreis durchbrechen. Doch wenn rechtsnationale Giftspucker den Tonfall der politischen Debatte bestimmen können, sind demokratische Gesellschaften in Gefahr.