Berliner Staatssekretär mit Stasi-Vergangenheit Andrej Holm tritt zurück und sieht die Schuld bei anderen

Erstveröffentlicht: 
16.01.2017

Nach wochenlanger Diskussion um seine Stasi-Vergangenheit zieht Andrej Holm Konsequenzen. Zum Abschied kritisiert er Medien sowie die Koalitionspartner - wichtige Fragen bleiben jedoch offen.

von Felix Hackenbruch und Robert Ide

 

"Ich trete heute von meinem Amt als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurück." Mit diesen Worten hat der Staatssekretär für Wohnen Andrej Holm am Montagmorgen auf seiner Homepage seinen Rücktritt erklärt. Er ziehe damit die Reißleine, nachdem SPD und Grüne in den letzten Tagen deutlich gemacht hätten, "dass sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen" werden. In dem Schreiben, das anfangs auf den 13. Januar datiert war, greift Holm insbesondere die SPD an. Er kritisierte aber auch die Rolle der Grünen und der Medien in der Debatte. 

 

"Die Koalition selbst in der Krise"


"Die Diskussionen um das Sicherheitspaket, der Verlauf der Parlamentsdebatte und der mehrfache Bruch von Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern zeigen, dass die Koalition selbst in der Krise ist. Ich werde der zerstrittenen SPD nicht den Gefallen tun, sie auf meinem Rücken zerplatzen zu lassen", schrieb Holm. Auch die Medien kritisierte Holm dafür, dass es nur "eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien" gegeben habe. Von einem eigenen Fehlverhalten findet sich in dem Eintrag von Holm nichts.

 

Holm ist überzeugt, dass es seinen Kritikern nicht um seine Stasi-Vergangenheit ging: "Die Polemik derer, die mich als Staatssekretär verhindern wollten, zeigt, dass es bei der Entlassungsforderung nicht nur um meine Zeit bei der Stasi und um falsche Kreuze in Fragebögen ging, sondern vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik." 


Für den Abend kündigte Holm außerdem eine öffentliche Veranstaltung an. Dabei soll es darum gehen, "wie wir auch ohne mich als Staatssekretär eine soziale Wohnungspolitik in Berlin am besten durch- und umsetzen können." Die Veranstaltung beginnt um 18 Uhr in der Gottschedstraße 4 in Wedding. Eine Stunde später will das kapitalismuskritische Netzwerk "Blockupy" vor dem Gorki-Theater für Holm und gegen "Müllers Basta-Politik" protestieren. 

 

Senatorin Lompscher enttäuscht


Auch die zuständige Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Kathrin Lompscher, bedauerte den Rücktritt. "Für mich ist diese Entscheidung bitter und dennoch nachvollziehbar, da der notwendige politische Rückhalt in der Koalition für ihn nicht stark genug war", teilte Lompscher in einer Pressemitteilung mit. Am Samstag war Lompscher vom Regierenden Bürgermeister Müller aufgefordert worden, Holm zu entlassen. Müller hatte Holms Umgang mit seiner Biografie kritisiert: „Seine Interviews und Aussagen in dieser Frage zeigen mir, dass er zu dieser Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen nicht ausreichend in der Lage ist.“

 

Lompscher würdigte Holm dagegen erneut als stadtpolitischen Experten und mietenpolitisch engagierten Aktivist. "Aus meiner Sicht bestanden in Würdigung aller vorliegenden Informationen über seine Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und seines Umgangs damit keine hinreichenden Gründe für eine Entlassung als Staatssekretär", sagte Lompscher und kündigte an, dass Holm ein "wichtiger Impuls- und Ratgeber" bleiben werde.

 

 

Wie berichtet, hatte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller vor allem Holms Umgang mit seiner Biografie kritisiert und dies als Grund für seine Rücktrittsaufforderung genannt. Schon vor Wochen hatte sich die Debatte um Holm verschoben. Dabei ging es kaum noch darum, dass Holm als Jugendlicher inmitten des Revolutionsherbstes 1989 eine Offizierskarriere bei der Stasi aufgenommen hatte - beginnend mit einer militärischen Grundausbildung, fortgesetzt mit einem Dienst bei der Stasi-Bezirksverwaltung, bei dem er nach eigener Erinnerung nur in einer Schreibstube saß, Betriebsberichte zusammenfasste oder verfasste und dabei nach eigener Ansicht niemand geschadet habe. In Interviews erzählte Holm, dessen Vater ebenfalls hauptamtlich bei der Stasi sein Geld verdiente, er habe damals viel Radio gehört bis zum abrupten Ende der Stasi und seiner dort durchgeplanten Lebenslaufbahn. 

 

Klaus Lederer übte Selbstkritik


Doch als viel gewichtiger als diese Erinnerungsdetails entpuppte sich die schwarz auf weiß dokumentierte Tatsache, dass Holm bei seiner Anstellung an der Humboldt-Universität 2005 seine hauptamtliche Tätigkeit vermeint und die falsche Angabe gemacht hatte, bloß Wehrdienst beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski absolviert zu haben. Die Öffentlichkeit und die Koalition, die Holm auf Druck der linken Bausenatorin Katrin Lompscher trotz dieses schon zuvor bekannt gewordenen Umstandes berufen hatte, bewegte längst die Frage: Hatte Holm wissentlich oder unwissentlich nicht die Wahrheit gesagt?

 

Auch die Linke, die den Gentrifizierungskritiker aufgestellt, ja ihn wohl erst zu dem Wagnis überredet hatte, hatte sich auf die in der einstigen Mauerstadt Berlin erwartbare Stasi-Debatte nicht ausreichend vorbereitet. „Wir hätten wohl die Akte besser lesen müssen“, gestand Kultursenator Klaus Lederer, der wichtigste Linke im Senat, am Wochenende erstmals ein. So war man offenbar davon ausgegangen, die Sache durchzustehen, zumal Holms Unterstützer aus der sozialen Mieterszene und der linken Bürgergesellschaft mehr als 15.000 Unterschriften unter der Marke #holmbleibt zu sammeln vermochten. Aber offenbar war nicht mal die Linke, die noch am vergangenen Freitag geschlossen und fast ultimativ Holms Verbleib im Amt gefordert hatte und damit insbesondere Michael Müller herausforderte, genau im Bilde, welche Dienste Andrej Holm bei der Stasi abgeleistet hatte. Sie war aber auch, obwohl als Nach-Nach-Nachfolgepartei der DDR-Staatspartei SED unter besonderer Beobachtung in dieser Frage, nicht sensibel genug, genau hinzuschauen und Holm zu helfen, die richtigen Worte zu finden – etwa nicht erst ganz am Schluss eine Bitte um Verzeihung bei den DDR-Opfern. 

 

Holm beantwortete weitere Nachfragen nicht


Michael Müller war anfangs ebenfalls ungenügend informiert: Er ließ vor Holms Ernennung wissen, er habe die kursierende Stasi-Akte Holms auch mal gegoogelt. Dabei war die im Netz auffindbare Personalakte Holms gar nicht mal vollständig; erst weitere von der Stasi-Akten-Behörde freigegebene Unterlagen zeigten zuletzt, dass Holm bereits einen Schulungskurs für seine Offizierslaufbahn absolviert hatte; dass er also wusste, auf welche Karriere er sich da einließ. Auf Nachfrage konnte sich Holm dann erinnern; an „ein Wochenende wie im Wehrlager“.

 

Und es gab Gerüchte, Holm habe doch nicht nur in einer Stasi-Schreibstube gesessen, sondern sei im stürmischen Wendeherbst auch selbst in Betriebe und möglicherweise noch zu anderen oppositionellen Brennpunkten geschickt worden, um eigenhändig Berichte zu schreiben. Nachfragen des Tagesspiegels dazu, gestellt am vergangenen Donnerstag, ließ Holm bisher unbeantwortet.

 

In seiner Erklärung vom Montag schrieb Holm, dass es in der öffentlichen Debatte um seine Person aber eigentlich um etwas anderes gegangen sei. So schrieb Holm: "Mir ist bewusst, dass meine Biographie mit vielen Widersprüchen nicht in das Bild des klassischen Staatssekretärs passt. Doch wer einen gesellschaftlichen Aufbruch und eine Veränderung will, wird auch biografische Brüche und das Unangepasste akzeptieren müssen." 

 

"Herber Rückschlag im Bemühen um einen spürbaren Politikwechsel"


Auch die Chefin der Berliner Linke, Katina Schubert sowie die beiden Vorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus Carola Bluhm und Udo Wolf bedauerten die Umstände des Rücktritts. Insbesondere beim "sozialdemokratischen Koalitionspartner" habe der politische Rückhalt gefehlt. "Für die rot-rot-grüne Koalition ist das ein herber Rückschlag im Bemühen um einen spürbaren Politikwechsel."

 

Gleichzeitig kündigten die Spitzenpolitiker an, dass der Fall Holm mit dem Rücktritt nicht vom Tisch sei. "Wir werden jetzt mit unseren Koalitionspartnern beraten müssen, ob und wenn ja wie wir zu einer Arbeitsweise kommen, die auf den Prinzipien von Augenhöhe und Gleichberechtigung beruht und wie wir tatsächlich in einen Arbeitsmodus kommen, der es zulässt, dass wir die Ziele des Koalitionsvertrags politische Praxis werden lassen." Zeitnah soll nun erneut ein Koalitionsausschuss zum Fall Holm und den Folgen für die Koalition tagen. 

 

"Gutes Regieren und Rot-Rot-Grün wie Nord- und Südpol"


Die Opposition im Abgeordnetenhaus sieht im Rücktritt Holms hingegen einen überfälligen Schritt und sieht die junge Koalition vor dem Scheitern. "Die Krise des Linksbündnisses hält unvermindert an mit dem ungeklärten Machtkampf der SPD, der desaströsen koalitionsinternen Stimmung, gegenseitiger Blockade etwa beim Sicherheitspaket zur Videoüberwachung", sagte CDU-Fraktionschef Florian Graf. Die Wortwahl Holms gegen die SPD zeige, wie zerrüttet die Koalition sei. "Gutes Regieren und Rot-Rot-Grün liegen so weit auseinander wie Nord- und Südpol und das Klima in der Koalition erinnert an die dortige eisige Kälte", so Graf.

Die AfD sieht die Verantwortung der Regierungskrise vor allem beim Regierenden. "Führungswillen und eine sichere Hand bei der Einstellung geeigneter Führungskräfte sind augenscheinlich nicht seine Stärke", sagte AfD-Chef Georg Pazderski. Trotz des Rücktritts von Holm bleibe die Koalition "höchst instabil", weswegen Pazderski bilanzierend sagte: Diese Koalition ist eine Zumutung für die Wähler."

Die Rücktrittserklärung von Andrej Holm im Wortlaut dokumentieren wir hier.