Einsatznah ausbilden (I)

Erstveröffentlicht: 
28.04.2010
BERLIN (Eigener Bericht) - Die Bundeswehr orientiert sich bei der Ausbildung von Kampftruppen für Kriegseinsätze seit Jahren an der nationalsozialistischen Wehrmacht. Dies belegt ein vom Heeresamt der deutschen Streitkräfte herausgegebenes Handbuch, das "Hilfen für den Gefechtsdienst" liefern soll. Die hier zu Ausbildungszwecken referierten Fallbeispiele beziehen sich fast ausschließlich auf Operationen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Als Quellen werden zahlreiche prominente Nationalsozialisten benannt, darunter der SS-Offizier Paul Karl Schmidt ("Paul Carell"), bis 1945 Pressechef des Auswärtigen Amtes. Auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr bezieht sich in einem "Wegweiser" für die deutschen Besatzungstruppen in Afghanistan positiv auf nationalsozialistische Militärs. Über den glühenden Antisemiten Oskar Ritter von Niedermayer heißt es, er repräsentiere die "guten deutsch-afghanischen Beziehungen" vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

 


Erfordernisse des Krieges
Explizites Ziel des vom Heeresamt der Bundeswehr herausgegebenen Handbuchs "Einsatznah ausbilden" ist ein an den "Erfordernissen des Krieges" ausgerichteter "Drill" von Soldaten und Rekruten. Um diesen eine "Vorstellung von Kriegswirklichkeit" zu vermitteln, werden vier Fallbeispiele aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs referiert. Drei davon befassen sich mit Operationen der Nazi-Wehrmacht nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941.[1] Wie der Militärhistoriker Detlef Bald in einem aktuellen Aufsatz schreibt, wird das Lehrbuch "bereits seit vielen Jahren" bei der Grundausbildung von Rekruten eingesetzt; die Führung des Heeres habe ihren Ausbildern das Werk zuletzt 2006 empfohlen - "aufgrund der Erfahrungen im Einsatz".[2]

Harte Truppe
Durch den Bezug auf den "Winterkampf" der Nazi-Wehrmacht gegen die Rote Armee 1942 sollen die Ausbilder der Bundeswehr dazu angehalten werden, ihre Soldaten einer "körperliche(n) und seelische(n) Dauerbelastung" zu unterwerfen. Man müsse die "Truppe daran gewöhnen, Gefechts- und Einsatzaufträge länger als 36 Stunden zu lösen", schließlich werde bei Kriegsoperationen im Unterschied zum Manöver "kein Übungsende gegeben", heißt es im Handbuch "Einsatznah ausbilden". Verwiesen wird zudem auf einen weiteren aus Sicht der Heeresführung positiven Effekt eines strapaziösen Trainings - die Immunisierung gegen Kriegsgräuel: "Eine körperlich 'harte' Truppe ist auch seelisch belastbar."[3]

In schwierigem Gelände
Darüber hinaus, schreibt das Heeresamt weiter, habe der "Winterkampf" in Russland gezeigt, wie wichtig es sei, dass "zielstrebig unter schwierigen, wechselnden und unterschiedlichen Umweltbedingungen geübt wird": "Hitzewellen, Kälteeinbrüche, Regenwochen oder ein verschneiter Standortübungsplatz schaffen den besten Rahmen für einen einsatznahen Gefechtsdienst. Denn jetzt kommt es nicht nur darauf an, einen Auftrag zu erfüllen, sondern auch die Einsatzbereitschaft von Mensch und Gerät zu erhalten." Die Parallelen zu den Operationen der Bundeswehr in Afghanistan liegen auf der Hand: Auch hier wird unter "feindlichen" klimatischen Bedingungen in "schwierigem Gelände" Krieg geführt.[4]

Pressechef
Die Quellen, die das Heeresamt zur Bebilderung der gewählten historischen Fallbeispiele heranzieht, stammen zum großen Teil von prominenten Nationalsozialisten. So wird unter anderem aus dem Buch "Unternehmen Barbarossa" über den deutschen Überfall auf die Sowjetunion zitiert. Dessen Autor Paul Karl Schmidt ("Paul Carell") fungierte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Pressechef des Auswärtigen Amtes und bekleidete einen hohen SS-Rang ("Obersturmbannführer"). In dieser Funktion schlug er dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Gustav Steengracht von Moyland, am 27. Mai 1944 vor, die "Anlässe und Begründungen" für die geplante Deportation der Budapester Juden in die deutschen Vernichtungslager selbst zu schaffen - durch "Sprengstofffunde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen, Sabotageorganisationen, Umsturzpläne, Überfälle auf Polizisten, Devisenschiebungen großen Stils mit dem Ziele der Untergrabung des ungarischen Währungsgefüges". In seinem in den 1960er Jahren entstandenen Buch "Unternehmen Barbarossa" griff Schmidt dann integrale Elemente der von ihm mitgestalteten NS-Propaganda wieder auf: die Lüge vom "Präventivkrieg", der zufolge die deutsche Wehrmacht lediglich einem bereits detailliert geplanten Angriff der Roten Armee zuvorkam, und die Behauptung, Deutschland habe an der Spitze einer "sich gegen die Russen verteidigenden europäischen Völkerfamilie" gestanden. Deutsche Kriegsverbrechen und die Massenvernichtung von Juden und Kommunisten kommen bei Schmidt/Carell folgerichtig nicht vor.[5]

Keine Zukunft ohne den Nationalsozialismus
Als Referenzlektüre gilt dem Heeresamt auch das Buch "Panzer - Marsch!" des NS-Militärs Heinz Guderian. In seiner Funktion als General der Panzertruppen war Guderian an allen Aggressionshandlungen Nazideutschlands maßgeblich beteiligt; für seine "Erfolge" im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erhielt er 1941 das Ritterkreuz mit Eichenlaub, einen der höchsten militärischen Orden des NS-Regimes. Noch am 25. August 1944 schrieb Guderian in einem Befehl an die ihm unterstellten Generalstabsoffiziere: "Niemand darf fanatischer an den Sieg glauben und mehr Glauben ausstrahlen als Du (...). Es gibt keine Zukunft des Reiches ohne den Nationalsozialismus. Deshalb stelle dich bedingungslos vor das nationalsozialistische Reich." Dem britischen Geheimdienst zufolge blieb Guderian der NS-Ideologie auch nach 1945 treu und engagierte sich in neonazistischen Untergrundzirkeln.[6]

Forschungsabteilung Judenfrage
Analog dem Heeresamt bezieht sich auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr positiv auf prominente NS-Offiziere. In dem vom MGFA herausgegebenen "Wegweiser" für die deutschen Besatzungstruppen in Afghanistan wird Generalmajor Oskar Ritter von Niedermayer ausdrücklich gelobt; er repräsentiere die "guten deutsch-afghanischen Beziehungen" vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, heißt es.[7] Niedermayer war Mitglied im Beirat der "Forschungsabteilung Judenfrage" des NS-Reichsinstituts für "Geschichte des neuen Deutschlands" und wurde 1945 von der Sowjetunion als Kriegsverbrecher inhaftiert.[8] Der ursprüngliche Autor des MGFA-Beitrags, in dem Niedermayers Biografie systematisch schöngefärbt wird, ist Dietrich Witzel. Witzel gehörte vor 1945 der NS-Sondereinheit "Brandenburg" an, die für zahlreiche Kriegsverbrechen und Massenmorde an jüdischen Menschen verantwortlich ist.


[1] Heeresamt: Einsatznah ausbilden. Hilfen für den Gefechtsdienst aller Truppen. Köln (Nachdruck) 2001
[2] Detlef Bald: Bedingt einsatzbereit. "Realistische Ausbildung" der Bundeswehr oder mit der Wehrmacht in den Hindukusch. In: Detlef Bald/Hans-Günter Fröhling/Jürgen Groß (Hg.): Bundeswehr im Krieg - wie kann die Innere Führung überleben? Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Nr. 153, Dezember 2009. Auszüge finden Sie hier.
[3], [4] Heeresamt: Einsatznah ausbilden. Hilfen für den Gefechtsdienst aller Truppen. Köln (Nachdruck) 2001
[5] s. dazu Rezension: Wigbert Benz: Paul Carell
[6] Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt/M. 2005
[7] Militärgeschichtliches Forschungsamt/Bernhard Chiari (Hg.): Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan. 3. Auflage. Paderborn u. a. 2009
[8] Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt/M. 2005