"Die Wärme, die vermisse ich"

Erstveröffentlicht: 
10.09.2016

Der Fotograf Mahmoud Dabdoub hat den DDR-Alltag dokumentiert – als Flüchtling, der aus dem Libanon kam. Jetzt werden seine Bilder neu entdeckt.

 

DIE ZEIT: Herr Dabdoub, Sie sind 1981 aus dem Libanon nach Leipzig gekommen, um Fotografie zu studieren. Was war in Leipzig Ihr erstes Motiv?

 

Mahmoud Dabdoub: Das war völlig klar: der Hauptbahnhof. Ich kam mit dem Zug in Leipzig an, und er hat sofort großen Eindruck auf mich gemacht. Der Trubel hat mich fasziniert, ich habe so viele Typen und Szenen gesehen, die normalen, einfachen Menschen. Die haben mich interessiert.

 

ZEIT: Wenn man Ihre Fotos betrachtet, wirkt der Blick zurück, auf den Alltag in der DDR, eher heiter. Haben Sie das damals auch so empfunden?

 

Dabdoub: Leipzig war für mich ein Ort des Friedens. Ich hatte als palästinensischer Flüchtling im Libanon gelebt, kam als Student hierher. Ich erhielt ein Stipendium, eine gute Ausbildung, konnte als Fotograf arbeiten. Ich hatte keine Sorgen. In der DDR habe ich mich geborgen gefühlt, sie wurde meine neue Heimat. Damals habe ich Hunderte Fotos gemacht, sie waren aber nie für die Öffentlichkeit gedacht. Es war eher eine Art Seminaraufgabe an der Hochschule: einmal in der Woche bin ich losgezogen und habe fotografiert, was ich gesehen habe. Mit den Menschen bin ich ganz einfach in Kontakt gekommen. Es gab aber auch vieles in der DDR, das mir fremd geblieben ist.

 

ZEIT: Eine Torte mit SED-Symbol zum Beispiel, die man auf einem Ihrer Bilder sieht?

 

Dabdoub: Überhaupt die skurrilen Inszenierungen, das bizarre Aufeinandertreffen von Schein und Sein. Einmal stand ich vor einer Ruine, an der jemand den Schriftzug "Für das Wohl des Volkes" angebracht hatte. Ein anderes Mal sah ich im Schaufenster eines Schuhladens, dass die DDR-Fahne als Deko in Stiefeln steckte. Wie kommt man dazu, eine Fahne in Schuhe zu stecken? Das fand ich sehr eigenartig.

 

ZEIT: Sie haben auch andere Szenen festgehalten, Betrunkene auf der Straße zum Beispiel. Solche Fotos gehörten nicht zum offiziellen Bild, das die DDR von sich zeigen wollte.

 

Dabdoub: So etwas gab es natürlich, aber Sie haben recht, das passte nicht zum Land der Werktätigen. Der Staat war getragen vom Gedanken an Fortschritt und Arbeit, da schlief man nicht in der Öffentlichkeit seinen Rausch aus. Mich hat einfach dieser Moment interessiert, den hätte ich so auch in einem kapitalistischen Land fotografiert. Mein Thema waren Menschen, ihr Alltag. Ich habe damit keine politische Aussage verbunden.

 

ZEIT: Hatten Sie Angst, Probleme zu bekommen?

 

Dabdoub: Ich wollte jedenfalls niemanden provozieren. Ich habe mich in der DDR immer als Gast gesehen und es nicht als meine Aufgabe betrachtet, das Land und das System zu bekämpfen. Schließlich habe ich ja auch auf Kosten der Werktätigen studiert. Am Hauptbahnhof stehen zwei Schwäne aus Bronze, einer reißt den Schnabel auf, als würde er losplappern. Genau dahinter war ein Wahlplakat der SED angebracht, irgendeine sozialistische Losung. Das habe ich damals auf einem Foto kombiniert und meinem Professor gezeigt. Er meinte: Mahmoud, pass bloß auf, das könnte kritisch gesehen werden. Also habe ich es für mich behalten.

 

ZEIT: Wenn man sich heute Ihre Fotos anschaut, wirkt alles sehr weit weg. Geht Ihnen das auch so?

 

Dabdoub: Ich habe meine alten Bilder erst vor einigen Jahren wieder ausgepackt. Plötzlich war alles wieder so nah. Ich weine der DDR nicht nach, aber ich sehne mich nach der schönen Zeit damals, nach den Kontakten mit den Menschen.

 

ZEIT: Was ist heute anders?

 

Dabdoub: Die Wärme, die man in den Fotos von damals sieht, die vermisse ich. Die Menschen sind viel mehr mit sich selbst beschäftigt. Früher waren die meistens Leute freundlich, es war überhaupt kein Problem zu fotografieren. Heute gibt es so viele Regeln, das Recht am eigenen Bild, so etwas ist den Leuten heute viel wichtiger.

 

ZEIT: Sie leben immer noch in Leipzig. Wie sehen Sie die Stadt heute?

 

Dabdoub: Extrem positiv. Ich habe die Erinnerungen an früher, aber freue mich, dass Leipzig noch besser, noch schöner geworden ist. Ich bin glücklich mit meiner Familie. Meine Frau stammt auch aus dem Libanon, unsere drei Töchter sind erwachsen, haben sich in Deutschland ein Leben aufgebaut.

 

ZEIT: Haben Sie sich in der DDR eigentlich willkommen gefühlt?

 

Dabdoub: Ja. Als die Mauer fiel, war das auch für mich ein krasser Umbruch, wie für die meisten Ostdeutschen. Viele wussten nicht, wie es weitergeht. Bei mir waren diese Gedanken vielleicht sogar noch stärker, weil ich nicht wusste, ob ich überhaupt im Land bleiben darf. Aber ich durfte.

 

ZEIT: War es ein Thema, dass Sie Muslim sind?

 

Dabdoub: Überhaupt nicht. Dafür hat sich niemand interessiert, also vor allem nie in einem negativen Sinn. Man hat mich einfach mein Leben leben lassen. Ich esse ja kein Schweinefleisch, gleich an meinem ersten Tag in Leipzig bin ich in Auerbachs Keller gegangen und habe dort Broiler gegessen. Ich weiß noch, Broiler war für mich damals ein wichtiges Nahrungsmittel.

 

ZEIT: Wie erleben Sie es, dass nun in Deutschland wieder viele muslimische Flüchtlinge ankommen?

 

Dabdoub: Ich habe mir mein Leben damals selbst aufgebaut, aber der Staat hat mir geholfen, man hat mich finanziell unterstützt. Bei den Flüchtlingen heute ist die Versorgung ebenfalls gut. Was es bei mir damals allerdings nicht gab: diese verrückten Leute, die Heime angreifen oder Flüchtlinge attackieren. Heute spüren die Flüchtlinge diese Unsicherheit. Das bekomme ich oft erzählt. Ich arbeite zusammen mit einem Leipziger Verein und biete in Heimen Wegweiserkurse an, also erkläre den Flüchtlingen, wie das Zusammenleben in Deutschland funktioniert.

 

ZEIT: Welche Regeln erklären Sie denn?

 

Dabdoub: Man soll in der Straßenbahn nicht schwarzfahren, in der Öffentlichkeit nicht so laut reden, pünktlich zu Terminen gehen, beim Arzt erst mal bei der Anmeldung warten, solche Sachen. Man soll die Sprache lernen, sich bilden. Viele Flüchtlinge, die ich treffe, fühlen sich noch fremd, sie sind überfordert von all den Papieren und Behörden. Sie fragen mich, Mahmoud, bist du wirklich glücklich hier? Ich antworte: Ja, das bin ich.

 

ZEIT: Fotografieren Sie in Flüchtlingsheimen?

 

Dabdoub: Leider nicht, das ist streng verboten. Jetzt habe ich ein anderes Projekt: Ich fotografiere Paare, die aus verschiedenen Ländern stammen, in ihren deutschen Wohnzimmern.

 

Mahmoud Dabdoubs Bilder sind jetzt in einem Fotoband erschienen: "Neue Heimat Leipzig – Fotografien 1982–1989" (Lehmstedt Verlag 2016; 144 S., 19,90 €)