Angst vor Rache - Mehr Asylsuchende werden als Opfer rechter Gewalt betreut

Erstveröffentlicht: 
11.06.2016

Manche Zeugen fürchten sich, vor Gericht auszusagen. Vor allem bei Gewalttaten haben sie die Rache der Täter vor Augen. Das gilt auch für Flüchtlinge. In Sachsen gibt es jedoch Unterstützung für sie.

 

Immer öfter müssen Flüchtlinge als Opfer und Zeugen rechter Gewalt bei Polizei und vor Gerichten betreut werden. „Die Asylsuchenden sind bei uns mittlerweile die Mehrheit“, sagte die Geschäftsführerin der Opferberatung RAA, Andrea Hübler, in Dresden. Der Verein berät vor allem Menschen, die von rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt betroffen sind. Diese hätten oft Angst vor der Rache der Täter oder nur wenig Vertrauen in den Rechtsstaat, berichtete Hübler.

 

Viele Gerichte in Sachsen vermitteln inzwischen Zeugen, die eine Aussage scheuen, an Gesprächspartner bei der Opferhilfe, dem Weißen Ring oder dem Verein RAA Sachsen. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Bei schwersten Straftaten steht der Staat Zeugen mit Polizei und Schutzprogrammen zur Seite.

 

Am Landgericht Chemnitz drehen sich nach eigenen Angaben die meisten Anfragen um Dinge wie die Pflicht zum Erscheinen, den Ablauf der Vernehmung, die Entschädigung, das Zeugnisverweigerungsrecht sowie die Rechte als Geschädigter im Strafverfahren. 2015 hat es am Chemnitzer Landgericht etwa 50 solcher Anfragen gegeben, 2014 seien es rund 30 gewesen, hieß es.

 

Das Landgericht Dresden vermittelt auf Wunsch den Kontakt etwa zur Opferhilfe Sachsen oder zum RAA Sachsen. Es organisiert Räume, in denen sich die Zeugen aufhalten können, damit sie dem Angeklagten oder etwaigen Sympathisanten nicht zuvor im Gerichtssaal begegnen müssen. Vor der Verhandlung können sich die Zeugen den Sitzungssaal ansehen, um sich auf die Situation einzustellen. 

 

Anschrift wird geschützt


„Beim Zeugenschutz hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan“, sagte Andrea Hübler von RAA Sachsen. So könnten die Betroffenen jetzt eine Vertrauensperson zur Vernehmung bei der Polizei mitnehmen. In Verfahren mit rechtsextremen Verdächtigen werde die Anschrift der Opfer und Zeugen geschützt.

 

Hübler zufolge sucht der RAA Sachsen bei rechten oder rassistischen Übergriffen von sich aus den Kontakt zu den Betroffenen. „Viele haben Angst. Wir erklären ihnen die rechtlichen Möglichkeiten, vermitteln Anwälte oder Trauma-Experten zur ärztliche Betreuung.“ Laut eigener Statistik stieg die Zahl rechtsextremistischer Angriffe in Sachsen 2015 verglichen mit dem Jahr zuvor von 257 auf 477. Das entspricht einem Plus von 86 Prozent. 287 Menschen wurden beraten (2014: 285). 

 

Zeugenschutzprogramm


In Fällen von Schwerstkriminalität - Mord und Totschlag, organisierte Kriminalität, Terrorismus - kann ein Zeugenschutzprogramm das Leben der Betreffenden grundlegend verändern. „Das reicht von einer Namensänderung bis zur Umsiedlung ganzer Familien und vielem mehr“, erläuterte der Sprecher des Landeskriminalamtes, Tom Bernhardt. „Diese Menschen sind dann einfach weg und nur ganz, ganz wenige wissen, wo sie geblieben sind. Wir wollen ihnen so ein fast normales Leben ermöglichen.“

 

Hält der Staatsanwalt einen Zeugen für unverzichtbar und ist dieser gefährdet, kann das ganze Familien treffen - eventuell ein Leben lang. Die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm sei immer freiwillig. „Diese Fälle sind häufiger als angenommen“, bemerkte Bernhardt, ohne eine Zahl zu nennen. Laut Bundeskriminalamt gab es 2014 bundesweit 516 auf diese Weise geschützte Personen. 239 davon waren Zeugen, die anderen Familienangehörige.

 

Doch der Schutz beginnt schon früher, etwa mit einer Polizeibegleitung im Gerichtssaal - und kann gesteigert werden: gepanzerte Limousinen, Scharfschützen auf dem Dach und Kontrollen in der Nähe des Gerichtsgebäudes. Bernhardt: „Das ganze Programm. Dann herrscht eine Sicherheitsstufe wie bei Regierungsmitgliedern oder hohen Staatsgästen.“

 

Von Ralf Hübner